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Stephan Lanz und Jochen Becker: Metropolen.

Zum Bild der Zukunft gehören Mega-Städte wie Mexiko-City, New York, Tokio, Bombay. Sie präsentieren, wie der 11. September gezeigt hat, eine verwundbare Seite, eine offene Flanke der modernen Gesellschaft. Aber nicht nur gegenüber dem Terrorismus, sondern auch gegen- über sich selbst. Das Zusammenleben in diesen Mega-Cities wird zunehmend mechanisti-scher, in ihrer hektischen Betriebsamkeit verdunstet viel Menschlichkeit.

Lutz Rathenow |
    Die Welt verstädtert zunehmend. Immer mehr Menschen zieht es in das, was sich Metropole nennt. Der Rotbuch-Verlag versucht in seiner Reihe 3000, aktuelle Themen in komprimierten Büchern zu präsentieren und den Leser diskursfähig zu machen. Stephan Lanz und Jochen Becker befassen sich mit der Metropolisierung der Welt:

    Metropolen sind Mittelpunkt eines Städtesystems, das dominante Zentrum einer Region oder die Hauptstadt eines Landes. Metropolen sind Bühne und Kontakthof der Eliten, Arbeitsplatz und Zuflucht für die Marginalisierten. (...)

    Das Autorenpaar möchte dieses Thema nicht amerika- und europafixiert betrachten und will kritisch an seine Umwelt herangehen. So protestiert es schon gegen den ihnen zugewiesenen Buchumschlag:

    Weit mehr als die dort abgebildete Skyline von New York sind für uns die Modellstädte des Künstlers (...) aus Zaires Hauptstadt Kinshasa populärer Ausdruck des Mythos Metropole.

    Dann wird das Buch faktenreicher und setzt sich anhand von Paris, Berlin und New York mit der Entwicklung des Begriffs auseinander. Dieser Begriff 'Metropole’ im Sinne von Weltstadt sei zuerst um 1840 auf Paris angewandt worden. Der Stadtumbau des Präfekten Hausmann um 1850 wird als Anspruch der bürgerlichen Klasse auf die Metropole gedeutet. Interessant die Anmerkung zum Aufstand der Pariser Commune 1871:

    Der Aufstand war eine Demonstration der aus der Provinz geflüchteten neuen Städter gegen ihren Ausschluss aus der Kernstadt.

    Die Autoren schreiben knapp und meist präzise und verbergen ihre Vorurteile kaum. Sie gelten auch Berlin, das doch eher als Möchtegern-Metropole betrachtet wird. Laut UNO würden bis 2015 ca. 33 Mega-Städte mit über acht Millionen Einwohnern existieren. Die Dynamik zum Beispiel Bombays sei immens, in 30 Jahren habe sich seine Einwohnerzahl vervierfacht.

    Lanz und Becker schwärmen von den urbanen Kulturen und städtischen Landschaften, die das (...) Modell der europäischen Stadt auf eine eher unbedeutende regionale Variante zurückstufen. Das könnte nun selbst ein zu positiver eurozentrierter Blick sein, denn das Wachsen der Städte in den Ländern der Dritten Welt ist oft doch nur der blanken Armut der meisten Hinzuziehenden geschuldet. Es spricht wenig dafür, dass die Bedeutung von Städten vorrangig durch ihre Einwohnerzahl definiert wird. Aufschlussreich sind da die Ausführungen zu der übersehenen Metropole Afrikas: Lagos. Die Autoren zitieren und variieren Soziologen, Architekten und verschaffen dem Leser ein Bild über den aktuellen Stand der Diskussion. Eine Soziologin verweist auf die Welt-Städte als "entnationalisierte Plattform für das globale Kapital". Wichtig sind die Bemerkungen über die Netzwerke der Migration, die Varianten der Dienstbotengesellschaft.

    Der Staat verschwindet aus vielen Wirtschaftsbeziehungen in den großen Metropolen und taucht erst wieder auf, wenn es Gewalt zu bekämpfen und Sicherheit herzustellen gilt. Große Teile der städtischen Ökonomie in Mega-Cities bestehen aus unregulierten Arbeitsbeziehungen. Dieser so genannte informelle Wirtschaftssektor der Straßenmärkte und Kleinstbetriebe entzieht sich auch den traditionellen steuerrechtlichen Zugriffsmöglichkeiten des Staates. Das vielleicht schockierendste Ergebnis dieses kleinen Buches: die fast unvermeidliche Auflösung des traditionellen Begriffs von Arbeit. Dem durch keine Sicherheit und keinen Vertrag gebundenen Arbeitsverhältnis gehört die Zukunft, die Auslagerung von Arbeitsmöglichkeiten per Internet in jeden beliebigen Teil der Welt erledigt den Rest. Globalisierung und Konzentration der Zuwanderung auf bestimmte Länder und Orte scheinen sich plausibel zu ergänzen. Dagegen entwickeln sich dann die abgesicherten Vorstädte der Wohlhabenderen als Gegenmodell. Sie geraten zunehmend zur Festung und schränken die Lebensmöglichkeiten ihrer Bewohner ein.

    Lanz und Becker versuchen eine Wiedereroberung der Stadtmitte zu skizzieren, aber viel mehr als eine Vermarktung des Städtemythos haben sie nicht anzubieten. Das Schlusskapitel versucht dann, Ansätze vom Regieren in den Metropolen zu entwickeln. Denn unser Jahrhundert wird das erste 'urbane Jahrhundert’ sein. Vorschläge zum Überwinden sozialer Spaltungen werden immer wieder variiert, der Schlusssatz des Buches lautet:

    Während lokale Regierungen dies mit Sicherheitspolitik und Imageförderung beantworten, propagiert der 'Weltkongress zur Zukunft der Städte’ Selbsthilfe und Solidarität als Ersatz für öffentliche Leistungen.

    Das ist gut gemeint. Aber können sich Millionen Verarmte wirklich helfen? Wäre nicht eine Gegenbewegung zum ungehemmten Auswuchern der Metropolen der einzige Weg, noch Chancen für eine soziale Kontrolle globaler Entwicklungen herzustellen?

    Stephan Lanz und Jochen Becker: "Metropolen". Erschienen ist das kleine Nachschlagewerk im Rotbuch-Verlag in Hamburg. Es hat 96 Seiten und kostet 8,60 Euro.