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Sterbebegleitung
"Wir sehen uns wieder auf Wölkchen sieben"

Sterbenskranke haben Fragen, die Mediziner nicht beantworten können: Wie überstehe ich die Nacht? Welchen Sinn hat mein Leiden? Was kommt nach dem Tod? Spiritual Care geht darauf ein.

Von Gabriele Höfling |
    Hände halten in einem Hospiz, Offenburg, Deutschland.
    "Haben Sie viel grübeln müssen die Nacht, was hat Sie denn so beschäftigt?" (imago / Ute Grabowsky)
    Es ist ein früher Sommermorgen, auf einer geräumigen Terrasse sitzt ein älterer Herr entspannt an einem schattigen Tisch, unter dem karierten Hemd blitzt eine Kette hervor. Auf den ersten Blick wirkt es fast so, als sei der Ort eine Hotelterrasse und jemand genieße seinen Urlaub. Tatsächlich jedoch gehört das Terrain zur Palliativstation des Malteserkrankenhauses in Bonn. Walter – wie er fürs Radio genannt werden will – ist 65 Jahre alt. Er macht einen fitten Eindruck, doch das täuscht. Er hat nicht mehr lange zu leben. Sein Lungenkrebs hat in die Leber gestreut. Die Tage auf der Palliativstation sind für ihn ein Abschiednehmen.
    Er sagt: "Ich fühle mich sehr gut umsorgt. Man hat mir gesagt, man würde alles tun, um es mir so angenehm wie möglich zu machen. Also Schmerztherapie in erster Linie, ich hab ziemlich viel mit Übelkeit zu tun und auch der Arzt hat mir versichert, man ist bei mir und wird im Grunde genommen alles versuchen, damit die Leidensfähigkeit nicht zu stark beansprucht wird."
    Damit das gelingt, arbeitet das Malteser-Krankenhaus nach einem ganzheitlichen Konzept: der Palliativ-Versorgung, ursprünglich entwickelt von der britischen Krankenschwester Cicely Saunders. Zu diesem Konzept gehört nicht nur die medizinische Versorgung. Auch soziale und psychische Aspekte werden berücksichtigt, genauso wie die Spiritualität des Patienten. "Spiritual Care" heißt dieses Teilkonzept in der Fachsprache, erklärt der katholische Theologe Stefan Gärtner von der niederländischen Tilburg-University:
    Körper, Geist, Seele
    "Wenn man ins Krankenhaus kommt, dann wird auch gefragt natürlich: Was haben Sie für Probleme, wie können wir Ihnen helfen? Und da wird auch gefragt: Was Sie jetzt erfahren, Schmerzen oder Aussichtlosigkeit, hat das auch Aspekte, die mit Ihrem Glauben, Ihrer Weltanschauung zu tun haben und können wir Ihnen da auch helfen? Und das ist eigentlich der Ausgangspunkt der Spiritual Care."
    Spiritualität ist ein schillernder Begriff, er kann eine religiöse Praxis beschreiben, eine Hinwendung zum Göttlichen, muss es aber nicht. Spiritual Care richtet sich dezidiert an alle Sterbenden, ob sie gläubig sind oder nicht. Umgesetzt wird das Konzept zunächst nicht von Seelsorgern, sondern vom Pflegepersonal. Für Astrid Conrad, Stationsleiterin am Bonner Malteser-Krankenhaus, bedeutet Spiritual Care vor allem eine besondere Geisteshaltung.
    "Wenn man selber die Haltung hat, dass jeder Mensch aus Körper, Geist und Seele besteht, dann begegnen wir den Patienten schon anders im Sinne von: "Haben Sie viel grübeln müssen die Nacht, was hat Sie denn so beschäftigt?" Dann kommt man ins Gespräch, das diesen rein körperlichen Sektor auch verlassen kann und das dann andere Ebenen des Menschseins betrifft."
    Genau für solche Gespräche ist auch Krebspatient Walter dankbar. Er erzählt: "Die Erfahrung zum Beispiel mit einer Nachtschwester, die dann doch das Zeitfenster hatte, wo man sich mal mitten in der Nacht so hier draußen hinsetzt und ne halbe, dreiviertel Stunde reden kann."
    "Aber jetzt, wo es eng wird..."
    Um das Pflegepersonal nicht allein zu lassen, setzt Spiritual Care auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit der verschiedenen Berufsgruppen im Krankenhaus. Das erklärt Traugott Roser, evangelischer Theologieprofessor in Münster, der intensiv zu Spiritual Care forscht.
    "Es gibt ein abgestuftes Modell, wir nehmen die Situation des Patienten wahr, sind dabei offen für auch spirituelle Aspekte, teilen die im Team mit und vereinbaren dann gemeinsam, wie sichergestellt ist, dass dem Patienten auf dieser Ebene auch Unterstützung zukommt. Und dann kann es sein, dass die Seelsorge dazu kommt, um den Patienten, die Patientin zu begleiten."
    Spiritual Care statt Seelsorge?
    Es ist also eine Zusammenarbeit der weltanschaulich offenen Spiritual Care und der konfessionell gebundenen Seelsorge gefragt. Das funktioniert laut den Experten oft gut. Doch vonseiten der Seelsorge gibt es auch Verlustängste. Stefan Gärtner:
    "Da wird stark von einem Konkurrenzdenken ausgegangen und da ist die Sorge, dass wenn das Christentum aufgeht in einem allgemeinen Konzept von Spiritualität, dass dann doch das eigene verloren geht, und dass dann das Christum verwässert, der Glaube verwässert. Ich denke dagegen, dass es nur eine Bereicherung ist, wenn der Glaube sich nun mehr auch in einem pluralen Kontext ausdrückt."
    Gerade als Theologe ist Gärtner davon überzeugt, dass es die Spiritual Care in den Krankenhäusern braucht:
    "Weil Menschen halt nicht mehr so gläubig sind, wie sie das noch vor 20, 30 Jahren in Deutschland waren. Weil eben Religion, Spiritualität pluraler, individueller geworden ist und dafür passt eben nicht mehr nur ein Deckel auf den Topf."
    Gebete, Liturgiefeiern oder auch die Krankensalbung sind Elemente, die den Patienten nur die konfessionelle Seelsorge bietet. Diese Arbeitsteilung zwischen Pflege und anderen Berufsgruppen ist auch Stationsleiterin Astrid Conrad ein Anliegen:
    "Wenn wir im Gespräch mit vielleicht zwei Professionen merken, da kommen wir an eine Grenze oder das haben wir keine Idee oder es wäre es einfach super, da jetzt nochmal den Profi in Anführungsstrichen zu hören, dann holen wir den auch mit dazu."
    Für die Zukunft wünscht sich Roser, dass das Konzept der Spiritual Care neben der palliativen Versorgung auch in anderen medizinischen Bereichen Anwendung findet. Etwa in der Geburtsmedizin – dann wenn Babys zu früh auf die Welt kommen und Eltern Unterstützung brauchen – oder auch im Bereich der ambulanten Pflege.
    "Das ist die Aufgabe von Spiritual Care, aus dem sicheren Schutz der Palliativcare, wo es eigentlich selbstverständlich ist, herauszukommen und auch Forschung und Lehre in diesen anderen Bereichen zu stärken. Deswegen braucht es mehr Spiritual Care im Gesundheitswesen."
    Nicht immer muss es dann gleich um die großen Fragen des Lebens gehen. Walter spricht gern auch über Alltägliches – gute Restaurants zum Beispiel oder seinen Lieblingsurlaubsort. Dennoch ist er am Lebensende nachdenklicher als früher.
    "Ich hatte bis zu meiner Diagnose ein relativ entspanntes Verhältnis zur Religion. Aber jetzt wo es eng wird, dann stellt man doch Wankelmütigkeit fest. Man kommt dann so ein bisschen ins Trudeln, nicht. Da fehlt mir so ein bisschen dieses Element zu sagen, ach wir sehen uns ja bald wieder, auf Wölkchen sieben oder sowas."