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Sterbehilfe in Italien
Kommt das Biotestamento?

Italiens Parlament debattiert über die Einführung einer Patientenverfügung - eigentlich. Doch bei der ersten Sitzung war der Saal fast leer, denn das Thema wird vermischt mit einer öffentlichen Diskussion um den assistierten Suizid. Befürworter der Patientenverfügung müssen damit rechnen, als Anhänger der NS-"Euthanasie" beschimpft zu werden.

Von Thomas Migge | 29.03.2017
    Ein Demonstrant bei einer Pressekonferenz in Rom zeigt ein Schild
    In Italien finden angesichts der Debatte im Parlament und des Suizids des DJs Fabo Basta Demonstrationen für und gegen die Einführung von Patientenverfügungen statt (imago stock&people/Andrea Ronchini/Pacific Press Agency)
    "Vor rund 20 Jahren wurde ich auf dem Zebrastreifen von einem PKW angefahren und war so schwer verletzt, dass die Ärzte mir keine Chancen mehr gaben. Zu 99,99 Prozent, hieß es, würde ich den Unfall nicht überleben."
    Doch Albertina Monti aus dem sizilianischen Palermo überlebte. Wie durch ein Wunder. Zum Glück, sagt die Mutter dreier Kinder, habe es damals noch nicht die Möglichkeit einer Patientenverfügung gegeben, die in Italien Biotestamento genannt wird. Eine solche Verfügung, sagt sie, hätte sie vor dem Unfall sicherlich unterzeichnet. Heute würde sie das nicht tun:
    "Es geht doch nicht, dass da jemand für den Patienten entscheidet. Man ist es jedem Kranken schuldig, dass man ihn nicht einfach abschreibt, sondern mit Würde behandelt."
    Und deshalb ist Albertina Monti in diesen Tagen nach Rom gekommen. Um zu demonstrieren. Vor dem Pantheon. Zusammen mit anderen Italienern, von denen viele Mitglied in Lebensschutzorganisationen sind. Albertina gehört keiner dieser Gruppen an. Aber auch sie findet es unerhört, dass das italienische Parlament über das sogenannte "Biotestamento" diskutiert und bald auch darüber entscheiden wird.
    Aufgeheizte Stimmung
    Die parlamentarische Diskussion um die Einführung einer Patientenverfügung begann nur kurze Zeit nachdem der Fall des ehemaligen DJ Fabo Basta Italiens Öffentlichkeit aufzuwühlen begann. Basta war seit Jahren in Folge eines schweren Autounfalls nahezu komplett gelähmt und blind. Vor seinem Suizid in der Schweiz, wohin ihn seine Angehörigen Ende Februar gebracht hatten, wandte er sich mit einer ergreifenden Videobotschaft an die Italiener:
    "Es ist eine Schande, dass keiner unserer Volksvertreter den Mut hat, sich offen zu diesem Gesetz zu bekennen. Ein Gesetz, das denjenigen helfen kann, die leiden und nicht sterben dürfen, die in andere Länder reisen müssen, um die Möglichkeit eines Gesetzes in Anspruch zu nehmen, das es auch in Italien geben müsste."
    Die ohnehin erregte Stimmung angesichts der parlamentarischen Debatte zum Thema Patientenverfügung wurde durch dieses Video angeheizt. So sehr, dass bei der ersten Sitzung im Parlament bis auf die Abgeordneten der Sozialdemokraten, der Kommunisten und der Radikalen niemand präsent war. Das Foto des fast leeren Parlaments wurde von den Verteidigern der Patientenverfügung als Kotau vor der katholischen Kirche und als Skandal kritisiert.
    Rocco Berardo von der Organisation Coscioni, die sich seit Jahren für die Einführung der Patientenverfügung einsetzt:
    "Über dieses Gesetz wird in Italien seit vielen Jahren diskutiert. Dabei dürfte doch die Verabschiedung eines Gesetzes zur Einführung der Patientenverfügung kein Problem sein, denn Artikel 32 unser Verfassung sieht vor, dass jeder Italiener das Recht hat, darüber zu entscheiden, wie er im Fall von Krankheit behandelt wird oder darauf verzichten möchte."
    Das sehen viele praktizierende Katholiken in Italien ganz anders. Und sie tun ihre Meinung kund - auch aggressiv. So tauchen an den Hauswänden aller Großstädte fast täglich Poster auf, auf denen die Befürworter der Patientenverfügung als Anhänger der Euthanasie verunglimpft werden.
    Die katholische Kirche schweigt
    Ein besonders lautstarker Vertreter der Euthanasiethese ist der Ex-Politiker und Journalist Mario Adinolfi. In einem Telefoninterview mit einer populären Radiostation setzte er vor kurzem die Befürworter der Patientenverfügung mit den Nationalsozialisten gleich, die in den 1930er-Jahren die Euthanasie einführten. Adinolfi ist keine x-beliebige Stimme am Rand der italienischen Gesellschaft. Der Präsident der "Popolo della Famiglia", zu Deutsch "Bewegung des Volkes für die Familie", bringt immer wieder zehntausende von katholischen Gläubigen gegen bestimmte Gesetzesprojekte auf die Straße. Wie zuletzt gegen die Einführung des Partnerschaftsgesetzes für gleichgeschlechtliche Paare und jetzt gegen die Patientenverfügung.
    Während die Parteien im Parlament zum Thema Patientenverfügung seit Tagen heftig miteinander streiten, schweigt die katholische Kirche. Zum umstrittenen Thema gibt es keine offizielle Stellungsnahme seitens der italienischen Bischofskonferenz oder des Papstes. Es scheint, so Vatikanexperten, dass Papst Franziskus die Order gegeben habe, keine direkte Position zu beziehen. Dass aber die meisten Bischöfe und Kardinäle entschieden gegen das Gesetzesprojekt sind, machen zahllose indirekte Stellungsnahmen in Interviews deutlich.