Mittwoch, 24. April 2024

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Sterblichkeit durch COVID-19
"Es ist wichtig, dass wir die ältere Bevölkerung schützen"

Eine neue Untersuchung zeigt: Von den Patienten, die wegen eines schweren Verlaufs von COVID-19 in einer Klinik beatmet werden mussten, haben nur knapp 50 Prozent überlebt. Intensivmediziner Christian Karagiannidis sagte im Dlf, der Hauptrisikofaktor sei dabei das Alter.

Christian Karagiannidis im Gespräch mit Ralf Krauter | 29.07.2020
Ein Patient liegt während seines Aufenthalt im Krankenhaus Großhadern in einem Intensivzimmer an einem Beatmungsgerät und einem Dialysegerät.
"Ich bin guter Hoffnung, dass wir die Sterblichkeitsraten doch etwas senken können", sagt Intensivmediziner Christian Karagiannidis (dpa / Peter Kneffel)
Die neuen Zahlen sind Ergebnis einer Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und der Technischen Universität Berlin, die jetzt im medizinischen Fachmagazin "The Lancet Respiratory Medicine" veröffentlicht wurde. Für die Studie haben Wissenschaftler um den Intensivmediziner Prof. Christian Karagiannidis von den Kliniken Köln den Krankheitsverlauf von über 10.000 Patienten ausgewertet, die zwischen dem 26. Februar und 19. April 2020 mit Diagnose COVID-19 in 920 deutsche Krankenhäuser eingeliefert wurden. Im Interview mit dem Dlf erklärt Karagiannidis unter anderem, wieviele dieser Patienten die Infektion mit SARS-CoV-2 nicht überlebt haben.
Hohe Zahl zeigt, "wie schwer diese Erkrankung verlaufen kann"
Christian Karagiannidis: Bezogen auf alle Patienten, die ins Krankenhaus gegangen sind, waren von den 10.000 in der Tat 22 Prozent, die das Krankenhaus nicht mehr lebend verlassen hatten. Wenn man das weiter aufsplittet, dann sieht man, dass 16 Prozent der Patienten eben nicht beatmet wurden und das dann meistens auf der Normalstation im Krankenhaus nicht überlebt haben, und von den beatmeten Patienten in der Tat 53 Prozent gestorben sind.
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Sterblichkeit bei COVID-19-Patienten nach Beatmungsstatus
Sterblichkeit bei COVID-19-Patienten nach Beatmungsstatus (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V.)
Krauter: 53 Prozent bei denen, wo ein besonders schwerer Verlauf es notwendig machte, sie künstlich zu beatmen, weil die Lunge so schwer geschädigt war. Ist das eine hohe Sterblichkeitsrate aus der Sicht des Intensivmediziners?
Karagiannidis: Ja. Wir kennen das ja bei anderen Erkrankungen auch, die mit einem schweren Lungenversagen einhergehen, wie zum Beispiel bei der Grippe, dass doch einige Patienten versterben. Wir bewegen uns aber in vielen Studien häufig so im Bereich von 30 bis 40 Prozent Sterblichkeit, sodass das bei Covid mit über 50 Prozent schon eine Besonderheit ist und auch zeigt, wie schwer diese Erkrankung verlaufen kann.
Krauter: Gehen wir noch mal einen Schritt zurück: Welche Risikofaktoren entscheiden denn darüber, ob ein Patient dann letztlich beatmet werden muss oder nicht?
Karagiannidis: Was wir gefunden haben an Hauptrisikofaktoren, ist das, was wir auch so aus den internationalen Berichten von vorher kennen. Da unterscheidet sich die deutsche Bevölkerung nur wenig von dem, was wir aus China und Amerika wissen. Einer der Hauptrisikofaktoren ist der Bluthochdruck, Zuckerkrankheit spielt eine große Rolle. Chronische Lungenerkrankungen kommen eher seltener vor, sind schon ein Risikofaktor, aber nicht in dem Maße, wie wir es am Anfang gedacht haben. Was sehr auffällig ist, sind die Patienten, die ein akutes Nierenversagen entwickeln, die haben eine besonders hohe Sterblichkeit.
Prof. Christian Karagiannidis 
Prof. Christian Karagiannidis (Felix Schmitt)
"Hauptrisikofaktor scheint in der Tat das Alter zu sein"
Krauter: Schauen wir noch mal speziell auf die Patienten, die dann beatmet werden müssen, weil eben dann oft schon mehrere solcher Risikofaktoren zusammenkamen: Woran entscheidet sich dann, wer von denen stirbt – mehr als jeder Zweite überlebt das ja offenbar nicht –, welche Parameter, welche Faktoren konnten Sie da dingfest machen?
Karagiannidis: Der Hauptrisikofaktor bei dieser Erkrankung scheint in der Tat das Alter zu sein. Wir haben eine Sterblichkeit von über 70 Prozent gehabt bei Patienten, die mehr als 80 Jahre alt sind, und bei den unter 60-Jährigen lag die Sterblichkeit unter 30 Prozent. Das ist ein sehr klarer Hinweis darauf, dass ältere Patienten besonders schwere Verläufe erleiden. Was man aber dazu sagen muss, gerade wenn man diese Sterblichkeit auch mit dem vergleicht, was wir in Italien hatten oder in der Lombardei oder auch in New York, dann sieht man an unseren Daten auf der anderen Seite auch sehr schön, dass wir zu jeder Zeit in der Lage waren, die Patienten in Deutschland zu versorgen. In der Lombardei war es so, dass Patienten über 75 Jahre gar nicht mehr ans Beatmungsgerät angeschlossen worden sind. Bei uns in den Daten sieht man in Deutschland wirklich sehr schön, dass das eigentlich die stärkste Altersgruppe ist, so zwischen 75 und 80 Jahren, sodass man als positive Nachricht trotz der hohen Sterblichkeit schon sagen kann, dass wir niemandem eine Therapie vorenthalten mussten.
Begleiterkrankungen von COVID-19-Patienten nach Beatmungsstatus
Begleiterkrankungen von COVID-19-Patienten nach Beatmungsstatus (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V.)
Krauter: In Ihre Studie flossen ja Daten von Intensivpatienten aus dem Zeitraum 26. Februar bis 19. April 2020 ein, wenn ich es richtig gelesen habe, das ist ja jetzt auch schon wieder über drei Monate her, also das Ende der Datennahme. Was hat sich denn inzwischen getan, sehen Sie da weitere Fortschritte, die sich positiv auf die Überlebenschancen auswirken?
Karagiannidis: Ich glaube gerade, dass wir bei der Sterblichkeit der beatmeten Patienten in einer möglichen zweiten Welle doch etwas besser werden können. Wir haben zum einen die Daten von dem Remdesivir, die zeigen, dass wenn die Patienten sehr frühzeitig ins Krankenhaus kommen und wir die Erkrankung wirklich ganz am Anfang erwischen, wahrscheinlich schon die Sterblichkeit ein bisschen senken können. Wir haben mit der zweiten Studie aus Großbritannien mit der Gabe von Cortison bei den beatmeten Patienten noch einmal einen deutlichen Hinweis darauf, dass wenn wir das machen, dass die Sterblichkeit vielleicht noch mal um 5 oder 10 Prozent sinken kann.
Krauter: Das heißt, es wäre durchaus zu erwarten, dass die Zahlen inzwischen auch schon etwas besser wären, wenn man so eine Analyse jetzt noch mal machen würde.
Karagiannidis: Ich denke, ja. Wir haben ja auch im Rahmen der ersten Welle noch viele andere Details gelernt um die Patienten herum – wie wir sie beatmen und vor allen Dingen, wann wir damit anfangen. Wir sehen das jetzt, glaube ich, auch mit den Daten etwas differenzierter, als das noch ganz am Anfang der Fall war, sodass ich guter Hoffnung bin, dass wir die Sterblichkeitsraten doch etwas senken können.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Wichitg, die ältere Bevölkerung zu schützen
Krauter: Ein Trend, der sich abzeichnete, war ja auch, dass man inzwischen die Patienten möglichst spät beatmet, anders, als man das anfangs gemacht hat. Wird sich das fortsetzen?
Karagiannidis: Ich glaube, das wird sich zu einem gewissen Grad schon fortsetzen, aber die Wahrheit liegt, glaube ich, wie so häufig im Leben irgendwo in der Mitte. Bei den Patienten, die viel zu früh beatmet werden, ist es wahrscheinlich schädlich, auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass wenn man viel zu lange wartet, dass dann die Sterblichkeit auch wieder ansteigt bei den Patienten. Ich glaube, die Kunst wird sein für die zweite Welle, dass man diese goldene Mitte rechtzeitig erwischt und dass man weder zu viel noch zu wenig macht.
Krauter: Sie haben das Stichwort zweite Welle schon genannt. Nach Meinung vieler Experten wird die kommen, spätestens im Herbst, wahrscheinlich mehr oder weniger unvermeidlich. Was können wir denn aus den Daten aus dieser Studie, die Sie jetzt vorlegen, ableiten, um uns auf diese zweite Welle bestmöglich vorzubereiten?
Karagiannidis: Ich glaube, ganz wichtig ist, dass wir zum einen die ältere Bevölkerung schützen, und wir haben ja auch in der Studie schon gesehen, dass die Sterblichkeit bei den über 70-Jährigen deutlich hoch geht. Das bedeutet für mich insbesondere, dass wir Patienten zum Beispiel in Alten- und Pflegeheimen besonders schützen, und da sind auch die Städte und Kommunen gefragt, dass wir Interventionsteams haben, die sehr frühzeitig in die Heime fahren, gucken, wie es um die Hygiene bestellt ist, Patienten helfen zu isolieren und personell etwas aufstocken in diesen Bereichen. Ich glaube, damit können wir schon sehr viele Menschenleben retten im Rahmen von einer zweiten Welle.
Was ich auch noch sehr auffällig fand, war die hohe Zahl von Nierenversagen und die extrem hohe Sterblichkeit dieser Patienten, wenn sie denn so weit waren, dass sie eine Dialyse gebraucht haben. Da könnte man für die zweite Welle schon auch an die Bevölkerung appellieren und sagen, wenn es so ist, dass hohes Fieber auftritt, wenn es den Patienten wirklich schlecht geht, der trockene Husten dazukommt und vielleicht auch noch Luftnot, dann nicht warten, bis gar nichts mehr geht und den Notarzt rufen, sondern dann auch wirklich frühzeitig zum Hausarzt oder in die Notaufnahmen gehen. Weil wenn wir es vermeiden können, dass die Niere versagt, dann haben wir, glaube ich, auch noch mal Chancen, die Sterblichkeit deutlich zu senken.
Männer werden doppelt so häufig beatmet
Beatmete COVID -19-Patienten in Prozent
Beatmete COVID -19-Patienten in Prozent (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V.)
Krauter: Jetzt haben wir schon einiges über den Risikofaktor Alter gesagt, wie sieht’s mit dem Geschlecht aus? Das stand auch immer mal wieder im Raum, dass Männer etwas häufiger betroffen sind und schwerer betroffen sind als Frauen. Zeigen das Ihre Zahlen auch?
Karagiannidis: Ich fand, das war eins der spannendsten Ergebnisse, die diese Studie gebracht hat. Wir haben über alle Patienten hinweg eine gleichmäßige Geschlechterverteilung, also unter diesen 10.000 Patienten zwischen Mann und Frau. Was aber sehr auffällig ist, ist, dass unter den beatmeten Patienten die Männer doppelt so häufig vertreten waren wie die Frauen. Also da spielt das Geschlecht ganz offensichtlich eine große Rolle. Wenn die Patienten aber einmal beatmungspflichtig sind, dann ist die Sterblichkeit zwischen Mann und Frau gleich. Das finde ich insgesamt doch schon interessant, dass man sagen kann, Männer haben zwar das höhere Risiko, aber wenn sie einmal auf der Intensivstation liegen, dann scheint die Therapie und alles, was damit in Zusammenhang steht, zwischen Mann und Frau gleich zu sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

[*] Anmerkung der Redaktion: Wir haben die ursprünglich fehlerhafte Grafik durch eine korrigierte Fassung ausgetauscht.