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Sterntaler und himmlisches Elend

Das arme Waisenmädchen hat nichts außer den Kleidern am Leib und ein Stück Brot. Es wandert durch die Welt und verschenkt selbstlos alles an Bedürftige - bis es nackt im dunklen Wald steht. Da fallen plötzlich die Sterne als Silbertaler vom Himmel und das Mädchen hat ein edles Leinenhemd an, um die Taler aufzufangen.

Von Dirk Lorenzen |
    Die Sterntaler gehören zu den bekanntesten Märchen der Brüder Grimm. Dagegen kennt kaum jemand die düstere Abwandlung, die Georg Büchner in seinem Drama Woyzeck die Großmutter erzählen lässt.

    Danach ist das arme Mädchen ganz allein auf der Welt, weil alle tot sind. Als es auf der Erde niemanden mehr findet, sucht es beim Mond weiter, der so freundlich lächelt.

    Doch aus der Nähe betrachtet ist der Mond nur ein Stück verfaultes Holz. Das Mädchen geht weiter zur Sonne, die aber nicht strahlend schön ist, sondern eine verwelkte Sonnenblume.

    Also bleiben die Sterne: Doch die sind kleine goldene Mücken, die an Dornen aufgespießt sind, so wie es der Vogel Neuntöter mit seiner Beute macht. Als das Mädchen zurück zur Erde will, ist unser Planet eine einzige Ödnis. Es setzt sich hin und weint bitter.

    Die himmlischen Protagonisten dieser traurigen Geschichte lassen sich heute alle beobachten: Der Mond steht mitten im Winterhimmel zwischen Orion und Zwillingen.

    Das staubige Mondgesicht lächelt wirklich - und seien Sie sicher, dass dort kein fauliges Holz zu sehen ist. Gleiches gilt für die funkelnden Sterne: Sie sind glühende Gaskugeln und keine toten Mücken.

    Erfreuen Sie sich am Firmament: Denn Mond und Sternen verdanken wir unser Leben - mit seinen traurigen und glücklichen Momenten.

    Das Drama Woyzeck von Georg Büchner

    Das Märchen Sterntaler der Brüder Grimm