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Steuerparadies Niederlande

Viele Großkonzerne haben ihre europäische Zentrale in den Niederlanden. Denn dort bekommen internationale Unternehmen große Steuervorteile. Deswegen sind diese Zentralen oft auch nur Briefkastenfirmen. Vielen EU-Ländern ist dies zunehmend ein Dorn im Auge.

Von Kerstin Schweighöfer | 12.09.2013
    Amsterdam, Rembrandtplein. Hier hat der amerikanische Kaffee-Gigant Starbucks seine größte europäische Filiale. Auf 460 Quadratmetern, mit einer 17 Meter langen Kaffeebar.

    Insgesamt hat der Konzern in den Niederlanden 20 Filialen - und: seine europäische Zentrale. Aus gutem Grund: Sobald jemand in Europa eine Tasse Starbucks-Kaffee trinkt, muss die betreffende Filiale dafür Lizenzgebühren an die Zentrale in Amsterdam zahlen. Sechs Prozent des Umsatzes. Dadurch kann die Filiale ihren Gewinn drosseln - und braucht weniger Steuern zu zahlen. Die Zentrale in Amsterdam wiederum muss für die eingenommenen ausländischen Lizenzgebühren nur ganz wenig und manchmal sogar gar nichts an den niederländischen Fiskus abführen.

    "Wir sind ein Steuerparadies!”, schimpft Jesse Klaver, Finanzexperte und Abgeordneter von GroenLinks, den niederländischen Grünen:

    "Deshalb hat nicht nur Starbucks hier seine Zentrale. Auch die Rolling Stones nutzen das aus, U2, Google und Ikea: Alle Ikea-Filialen auf dieser Welt zahlen für jedes Produkt, das sie verkaufen, Lizenzgebühren an die Zentrale in Delft."
    Aufgrund von internationalen Verträgen und steuerlichen Sonderregelungen werden ausländische Konzerne in den Niederlanden bevorzugt behandelt und brauchen weitaus weniger Abgaben und Steuern zu zahlen als heimische Firmen. Jeder Unternehmer, der sich für den Standort Holland entscheidet, kann mit dem Finanzamt für eine individuelle Regelung einen Termin ausmachen. Jeder - vorausgesetzt, es geht um einen multinationalen Konzern:

    "Leute wie Sie und ich, wir brauchen natürlich nicht beim Fiskus anzuklopfen, wir bekommen keine Privilegien. Ein niederländischer Durchschnittsbürger zahlt 39 Prozent an Steuern, multinationale Konzerne wie Google nur ganze zwei Prozent. Das muss ein Ende haben!"

    Und deshalb steht im niederländischen Parlament eine Anhörung an. Im Finanzausschuss wollen sich die Abgeordneten ein Bild machen, mit Hilfe von Experten und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen. Auch Vertreter von Google, Ikea, Starbucks und den Rolling Stones wurden eingeladen.

    Insgesamt machen 12.000 ausländische Firmen von den besonderen fiskalen Regelungen Gebrauch, darunter 800 deutsche. So sparen sie jedes Jahr 30 Milliarden Euro an Steuern. Das ergab im Sommer ein Bericht der Stiftung für wirtschaftliche Forschung SEO.

    Von den 12.000 Firmen sind 85 Prozent reine Briefkastenunternehmen, sprich: mitarbeiterfrei. Die restlichen 15 Prozent allerdings sorgen in den Niederlanden immerhin noch für gut 13.000 direkte und indirekte Arbeitsplätze. Und alle Unternehmen zusammen für Einnahmen von rund 3 Milliarden Euro pro Jahr:
    "”Darauf zu verzichten, können wir uns nicht leisten”,"

    betont Staatssekretär Frans Weekers vom niederländischen Finanzministerium.

    "Weder auf die 13.000 Arbeitsplätze noch auf die 3 Milliarden.” Schließlich befinden sich die Niederländer in der schwersten Rezession seit 40 Jahren."

    Den anderen EU-Ländern allerdings sind die steuerlichen Privilegien, die Den Haag ausländischen Konzernen einräumt, zunehmend ein Dorn im Auge. England zum Beispiel, weil Kaffeegigant Starbucks dort 2011 so gut wie keine Steuern zahlte - trotz eines Umsatzes von 460 Millionen Euro. Auch das krisengeschüttelte Portugal muss auf Millionen verzichten: Die 20 größten portugiesischen Firmen haben ihr - fiktives - Hauptquartier in den Niederlanden, klagt der portugiesische EU-Abgeordnete Rui Tavares.

    Im niederländischen Parlament hat sich inzwischen eine Mehrheit dafür ausgesprochen, reine Briefkastenfirmen ohne Mitarbeiter zu verbieten.

    Die Sonderregelungen selbst abzuschaffen, dafür gibt es derzeit keine Mehrheit, mit dem Argument, dass die Konzerne dann auf andere Länder ausweichen würden - denn diese locken ebenfalls mit Sonderregelungen. Die Kritik der Engländer zum Beispiel halten viele Niederländer für scheinheilig: Die hätten ja ihre Kanalinseln als Steueroasen - und wer im Glashaus sitzt, sollte bekanntlich nicht mit Steinen werfen. Wirklich gelöst werden, könne das Problem nur gemeinsam - auf internationaler Ebene.