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Steuersenkung kommt "einer Verdrängung der Realität" gleich

Gustav Adolf Horn, Ökonom am Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), bezeichnet die Diskussion über Steuerersenkungen als "absurd". Diese hätten in Krisenzeiten kaum stimulierende Wirkung auf die Wirtschaft. Auch nach der Krise könne der Staat sich keine niedrigeren Steuersätze leisten, da er Schulden abbauen müsse. Stattdessen sollen sich FDP, SPD und CDU überlegen, "wie wir die Wirtschaft wieder in Gang bringen können".

Gustav Adolf Horn im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Christoph Heinemann: Nach der jüngsten Steuerschätzung warnt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag vor Panikreaktionen. DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann verwies in der "Frankfurter Rundschau" darauf, dass die Einnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden in den kommenden fünf Jahren durchschnittlich sogar noch über denen der vergangenen fünf Jahre liegen.

    Gestern war bekannt geworden, dass alle drei, Bund, Länder und Kommunen, auf 316 Milliarden Euro an Haushaltseinnahmen bis 2013 verzichten müssen. Was macht ein Staat in einer so angespannten Haushaltslage, fragte mein Kollege Jasper Barenberg Gustav Adolf Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung.

    Gustav Adolf Horn: In einer solchen Situation, in der wir gerade sind, versucht ja jeder Private, sich zu entschulden, weil die wirtschaftliche Lage ja sehr unsicher ist. Das gilt sicherlich insbesondere für Unternehmen, aber auch für Banken.

    Irgendeiner muss aber, damit das auch funktioniert, sich verschulden, und das kann in dieser Zeit, unter diesen Voraussetzungen nur der Staat sein. Insofern ist es gesamtwirtschaftlich richtig, dass der Staat im Moment Schulden anhäuft. Er kann sie wieder abbauen, sobald die Wirtschaft wieder gut läuft.

    Das heißt zweierlei. Erstens heißt es in der Tat Ausgaben, die er jetzt konjunkturbedingt ausgeweitet hat. Diese Ausgaben sollte er zurückführen. Zum Zweiten muss er dann natürlich auch sehen, dass die Steuereinnahmen, Mehreinnahmen, die er dann wieder bekommt, auch zur Konsolidierung des Haushaltes eingesetzt werden. Und wenn das alles nicht reicht, dann müsste man auch über Steuererhöhungen nachdenken.

    Jasper Barenberg: Insofern: Was halten Sie von der Forderung der Union, die Steuern zu senken? Das ist ja immer verbunden mit dem Hinweis, dass man es erst dann umsetzen will, wenn wir wieder Wachstum haben.

    Horn: Wenn wir wieder Wachstum haben und die Steuereinnahmen reichlicher fließen, dann brauchen wir eben genau diese Steuermehreinnahmen, um den Schuldenberg wieder abzutragen. Wenn wir auf diese Steuermehreinnahmen verzichten - durch Steuersenkungen, die dann wirksam werden -, dann kann man diesen Schuldenberg schlicht und ergreifend nicht abtragen. Das heißt, dann haben wir wirklich ein sehr ernsthaftes Verschuldungsproblem.

    Barenberg: Welche Lehre können wir aus dieser Schuldenkrise ziehen, dass wir jetzt umschalten müssen auf Schuldenabbau, Schuldentilgung?

    Horn: Nun nicht jetzt umschalten auf Schuldentilgung, sondern erst, wenn die Krise vorbei ist, wann immer das jetzt sein mag. Aber wenn sie vorbei ist, dann müssen wir in der Tat umschalten auf Schuldenabbau, und dazu müssen wir dann alle verfügbaren Mittel einsetzen. Das heißt eben auch die Steuermehreinnahmen, die sich bei guter Konjunktur eben einstellen.

    Barenberg: Sie haben eben gesagt, Sie hielten nichts davon, die Steuern zu senken. Nun verbindet die FDP ihre Vorschläge oder ihre Forderung, die Steuern zu senken, ja immer mit dem Argument, dass niedrigere Steuersätze letztlich zu höheren Einnahmen für den Staat führen. Was ist falsch an dieser Argumentation?

    Horn: Das Argument ist falsch, dass es zu so viel höheren Einnahmen führt, dass man die Steuersenkung damit mehr als ausgleichen kann. Wir wissen in etwa, dass für jeden Euro Steuersenkung im Laufe der Zeit etwa 60 Cent wieder zurückfließen, weil ja auch Steuersenkungen einen stimulierenden Effekt auf die Wirtschaft haben. Da bleibt aber eine Differenz von 40 Cent, und diese Differenz von 40 Cent, die erhöht das staatliche Defizit. Also die Aussage ist schlicht und ergreifend falsch.

    Barenberg: Die SPD ihrerseits versucht einen Spagat, jedenfalls wenn man auf ihr Wahlprogramm schaut. Sie will zum einen die Wohlhabenden im Land stärker heranziehen, zum anderen den Eingangssteuersatz senken. Was halten Sie von diesem Rezept?

    Horn: Das ist auch ein Rezept, was letztendlich - so schön die Wohltaten auch sein mögen, so sehr man sie auch jedem einzelnen gönnen mag - dazu führt, dass die staatlichen Defizite höher werden. Dann stellt sich die Frage, wie bauen wir diesen großen Schuldenberg ab, wenn die Krise vorbei ist? Müssen wir dann andere Steuern erhöhen, oder aber müssen wir Ausgaben senken? Müssen wir Ausgaben streichen? Und Ausgaben streichen, das ist natürlich eine Politik, die dann dazu führt, dass auf der einen Seite der Bürger entlastet wird, mehr Geld hat, und auf der anderen Seite belastet wird, weil die Ausgaben des Staates gesenkt werden.

    Barenberg: Das klingt alles ein wenig danach, als seien Sie der Meinung, die derzeitige Agenda der Parteien mit Blick auf die Wahlentscheidung im September sei die falsche?

    Horn: Ja, das ist auf jeden Fall die falsche Agenda. Sie wirkt vor dem Hintergrund der Krise auch geradezu absurd. Wir sind mitten in der tiefsten Krise der deutschen Nachkriegsgeschichte. Wir müssen alles tun, um Produktion und Beschäftigung wieder zu stimulieren. Wir müssen alles tun, damit wir wieder hochkommen, und wir unterhalten uns lediglich über Steuersenkungen.

    Das ist eine Verdrängung der Realität, die schon sehr erstaunlich ist. Warum streiten wir nicht darüber, wie wir die Wirtschaft wieder in Gang bringen können mittels Investitionen in Bildung, mittels Investitionen in Umweltpolitik? Das wäre ein sinnvoller und konstruktiver Streit, aber der Streit um Steuersenkungen hat da etwas Irreales.

    Barenberg: Aber Geschieht nicht eben das durch beispielsweise die Konjunkturpakete, die verabschiedet wurden?

    Horn: Selbstverständlich! Die wirken in diese Richtung. Die Frage ist aber, reichen sie aus. Wir werden wahrscheinlich durch diese Konjunkturpakete immerhin ein Stoppen des freien Falls erreichen, eine Stabilisierung in Richtung auf eine Stagnation. Aber machen wir uns nichts vor: Eine Stagnation bedeutet auch, dass das Wachstum eben null ist. Das heißt, die Arbeitslosigkeit nimmt auch in einer Phase der Stagnation zu und die hohen öffentlichen Defizite bleiben.

    Barenberg: Mit anderen Worten, nach Ihrer Einschätzung werden wir uns in den nächsten Monaten über weitere Stützungsmaßnahmen für die Konjunktur unterhalten müssen?

    Horn: Ja. Wir müssen uns darüber unterhalten, wie wir den Finanzsektor neu ordnen. Da gibt es ja jetzt Vorschläge, die die Regierung gemacht hat, aber das wird man noch vertiefen müssen. Wir müssen uns darüber unterhalten, wie wir den Finanzsektor insbesondere neu regulieren müssen. Wir müssen uns darüber unterhalten, wie wir international koordiniert gegen diese Weltwirtschaftskrise weiter vorgehen. Brauchen wir neue Konjunkturprogramme, brauchen wir zusätzliche geldpolitische Instrumente? Das sind die wahren Debatten, die wir führen müssten.

    Heinemann: Der Konjunkturforscher Gustav Adolf Horn von der Hans-Böckler-Stiftung im Gespräch mit meinem Kollegen Jasper Barenberg.