
Bei der gestrigen Wahl hatten weder Präsident Erdogan noch Oppositionsführer Kilicdaroglu die absolute Mehrheit erreicht: Erdogan kam auf 49,5 Prozent der Stimmen; Kilicdaroglu erhielt 44,8 Prozent.
Der Drittplatzierte bei der Wahl, Ogan, kündigte an, eine Empfehlung für einen der beiden Kandidaten nur gegen Zugeständnisse zu geben. Ogan sagte der Deutschen Presse-Agentur, er wolle etwa eine Zusicherung, dass Syrer und alle anderen Flüchtlinge die Türkei verlassen würden. Zudem drang der rechtsnationale Kandidat auf ein stärkeres Engagement im Kampf gegen den Terrorismus. Ogan kam auf etwas mehr als 5 Prozent der Stimmen.
Kritik am Ablauf der Wahl
Die Wahlbeobachtungsmission des Europarats kritisierte erhebliche Mängel bei der Abstimmung. Ihr Leiter Schwabe sagte, unter anderem habe es bei der Stimmauszählung an Transparenz gefehlt. Zudem habe Erdogan im Wahlkampf ungerechtfertigte Vorteile etwa in der medialen Berichterstattung gehabt. Insgesamt erfülle die Türkei die Prinzipien einer demokratischen Wahl nicht, meinte Schwabe.
In Deutschland stimmte offenbar erneut ein Großteil der hier lebenden wahlberechtigten Türkinnen und Türken für Erdogan.
Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtet, erhielt der Amtsinhaber rund 65 Prozent der Stimmen. Kilicdaroglu werden in Deutschland nur etwa 33 Prozent zugerechnet.
Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtet, erhielt der Amtsinhaber rund 65 Prozent der Stimmen. Kilicdaroglu werden in Deutschland nur etwa 33 Prozent zugerechnet.
Ehemaliger Botschafter Erdmann sieht bessere Chancen für Erdogan
Martin Erdmann, der frühere Botschafter Deutschlands in der Türkei, geht davon aus, dass der Amtsinhaber bei einer Stichwahl die besseren Chancen hat. Erdmann sagte im Deutschlandfunk, wenn Erdogan in den kommenden Wochen keine gravierenden Fehler unterliefen, dürfte es für Kilicdaroglu schwer werden, den Abstand aufzuholen.
Erdmann äußerte die Befürchtung, dass die Reise des autokratischen Präsidialsystems in der Türkei weitergehen werde - mit unabsehbaren Folgen für das Land. In den letzten zehn Jahren sei die türkische Gesellschaft in eine Art Stillstandsmodus versetzt worden und wirke wie narkotisiert, meinte der ehemalige Botschafter. Aufgabe der Opposition - sollte sie die Stichwahl für sich entscheiden - sei es, Freiheit und schöpferische Kräfte in der Türkei wieder freizusetzen.
AKP-Bündnis bei Parlamentswahl wohl in Führung
Für die Parlamentswahl, die gestern ebenfalls stattfand, legte die Wahlbehörde zunächst keine Zahlen vor. Nach Angaben des staatsnahen Senders TRT zeichnet sich hier ebenfalls ein Sieg des Bündnisses um Erdogans AKP ab.
Das Parlament mit seinen 600 Sitzen hat seit der Einführung des umstrittenen Präsidialsystems unter Erdogan nur noch begrenzte Macht. Oppositionsführer Kilicdaroglu hat angekündigt, das Präsidialsystem im Falle eines Wahlsiegs wieder abzuschaffen.
Bei den Wahlen in der Türkei waren 64 Millionen Menschen stimmberechtigt, darunter mehr als fünf Millionen Erstwähler.
Diese Nachricht wurde am 16.05.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.