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"Stille Freude ist weit verbreitet"

In Italien herrsche stille Freude über den bevorstehenden Rücktritt von Silvio Berlusconi. Es gäbe aber Befürchtungen, dass im Bereich der Kultur im Rahmen des erwarteten Sparkurses kräftig gekürzt werde, berichtet Thomas Migge aus Rom.

Thomas Migge im Gespräch mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: Schluss mit Dolce vita. Basta Berlusconi. Vermutlich am Wochenende wird Silvio Berlusconi nicht mehr Ministerpräsident von Italien sein. Doch was kommt dann? Der Politik bleibt er wohl auf irgendeine Weise erhalten. Oder wird er Privatier? Er verfügt jedenfalls immer noch über Macht und Einfluss im Land und gegen ihn laufen ja auch noch so mehrere Prozesse.

    Uns geht es aber nicht so sehr um die Nachfolge durch Ex-Eu-Kommissar Mario Monti oder um die Sparpläne im engeren, sondern Alltag in Italien nach der Rücktrittsandrohung. Welchen Niederschlag hat das in der Gesellschaft bislang gefunden? – Die Frage ging an Thomas Migge in Rom: Gibt es eigentlich auch auf der Folie der griechischen Ereignisse so etwas wie ein, ja sagen wir, Angstszenario, ein Panikszenario?

    Thomas Migge: Seit heute gibt es dieses Panikszenario, durch die Medien angeheizt, die Printmedien und das Fernsehen, die ja eigentlich schon seit gestern Abend lauter Reportagen bringen aus Griechenland, wie man denn dort lebt und wie schwierig das dort ist und dass das jetzt auch den Italienern droht, und dann interviewt man Leute auf der Straße in Italien, die alle sagen, oh Gott, oh Gott, jetzt wird es wie in Griechenland werden, wir müssen zu Hause bleiben, wir dürfen kein Geld mehr ausgeben. Das ist die Folge dieses Panikszenariums, das durch die Medien seit gestern Abend hier verbreitet wird.

    Köhler: Wie ist eigentlich die Berlusconi-Mentalität, sage ich mal, in den Alltag eingedrungen? Denn immerhin: Er ist ja schließlich gewählt worden. Also gibt es doch offenbar eine Mehrheit, die das teilt, die diesen Machismo auch irgendwie toll findet. Wie hat das seinen Niederschlag in der Gesellschaft gefunden?

    Migge: Ich würde sagen, ein Teil der Gesellschaft ist von Berlusconi fasziniert gewesen - das sind immer wenige. Das sind vor allen Dingen die gewesen, für die Berlusconi das repräsentierte, was sie auch gerne machen würden: Das heißt also, die Gesetze umgehen, korrupt sein, das Macho-sein heraushängen lassen, Leute, die ihre Steuern nicht erklären, die keine Rechnungen ausgeben, auch wenn diese Rechnungen von Kunden gefordert werden. Und für die hat Berlusconi natürlich etwas repräsentiert, was sie jetzt verlieren, und diese Leute werden sich jetzt umgucken mit der neuen Regierung, die wahrscheinlich am Montag nominiert wird.

    Köhler: Gibt es so etwas wie, stille Freude über den Abgang, oder vielleicht im Gegenteil Befürchtungen, es würde vielleicht sogar noch schlimmer werden?

    Migge: Beides. Stille Freude ist weit verbreitet, auch unter denen, die Berlusconi bei der letzten Wahl noch gewählt haben, weil Berlusconi hat schwer enttäuscht. Er hat ja nicht eine einzige der wirtschaftsliberalen Reformen, mit denen er vor 18 Jahren angetreten ist, umgesetzt, nicht eine einzige. Befürchtungen machen sich inzwischen breit, weil klar ist, dass Berlusconi ja schon überall gespart hat, unter anderem auch im Bereich der Kultur, und zwar ganz kräftig. Aber man befürchtet, dass mit einer sogenannten Notstandsregierung ab nächster Woche dieser Sparkurs noch wesentlich dramatischer werden wird, denn die Schuldenlage liegt bei 1900 Milliarden Euro. Das ist eine astronomisch hohe Summe und das erfordert, das schreit förmlich nach radikaleren Sparmaßnahmen in allen Bereichen und somit auch in der Kultur. Insofern wird die Sektlaune über Berlusconis Weggang schnell verfliegen in den nächsten Tagen.

    Köhler: Sie sagten eben beiläufig, es sei ein Land, in dem es als Sport oder Kavaliersdelikt empfunden wird, wenn man Gesetze umgeht. Es ist wenig bekannt, dass es sich am Stiefel offenbar um ein Land handelt, wo noch eine gewisse, ich nenne das jetzt mal so, vormoderne oder feudale Privilegienkultur durchaus auch herrscht. Richtig?

    Migge: Ich sage Ihnen nur ein Beispiel dazu. Es ist bekannt von Dutzenden von Fällen von Abgeordneten, die bewusst falsch parken, weil sie keinen anderen Parkplatz finden, oder weil es für sie bequemer ist, so zu parken, und die dann ein Knöllchen bekommen, und dann ruft der Sekretär des Abgeordneten bei der Polizei an und sagt, das ist das Auto von der Abgeordneten X oder dem Abgeordneten Y und das Knöllchen muss nicht gezahlt werden. Das ist eine weitverbreitete Mentalität in allen Bereichen in Italien.

    Köhler: Wenn Sie so auf die Straße gehen, ist das das Hauptthema, über das man spricht, am Kiosk, in der Straßenbahn, auf öffentlichen Plätzen, in Kneipen und so weiter, oder sagt man auch, das stört mich eigentlich weniger, ich sehe jetzt zu, dass ich meine Schäfchen ins Trockene bringe?

    Migge: Beides. Es grassiert vor allen Dingen eine Unsicherheit, die schon dazu geführt hat, dass viele meiner Bekannten ihren Winterurlaub abgesagt haben und meinen, sie sollten das Geld lieber zusammenhalten, dass Leute einen geplanten Autokauf erst mal aufs Eis gelegt haben, um zu sehen, was jetzt überhaupt passiert, weil die Leute befürchten hier – und ich meine, es wird auch schon hinter vorgehaltener Hand in Regierungs- und Wirtschafts-, Expertenkreisen darüber gesprochen -, dass unter Umständen ein Prozent aller Sparguthaben vom Staat eingezogen werden sollen, um den Schuldenberg zu bekämpfen, dass die Gehälter im öffentlichen Dienst vielleicht um 20 Prozent reduziert werden könnten, die Renten könnten vielleicht gekürzt werden, und das führt natürlich zu einer allgemeinen Unsicherheit und dazu, dass die Leute weniger Geld ausgeben, und dadurch wird die Rezession natürlich noch wesentlich weiter vorwärts geschoben.

    Köhler: Die Schlangen vor den Museen sind aber nach wie vor groß?

    Migge: Ja. Die werden so lange groß sein, bis die Museen zeitweise geschlossen werden, denn es wird jetzt schon unter den wichtigsten Museumsdirektoren darüber debattiert, wie zum Beispiel bei den Uffizien, ob man die Uffizien und andere Museen nicht tageweise schließen sollte, weil wenn noch weniger Geld aus dem Kulturministerium kommt als überhaupt schon, dann kann man natürlich auch die Öffnungszeiten nicht mehr einhalten.