Die US-Präsidentschaftswahl steht dieses Jahr im Zeichen der Corona-Pandemie. Viele Menschen wollten das Risiko umgehen, sich am Wahltag mit dem Virus anzustecken und wählen vorher, auch per Post. Doch diese ist seit Jahren heruntergewirtschaftet, scheint der Flut nicht gewachsen zu sein und will nicht dafür garantieren, die Unterlagen fristgerecht zustellen zu können. Zudem sät Präsident Donald Trump seit Wochen Zweifel, spricht von Wahlbetrug und will eventuell das Wahlergebnis nicht akzeptieren.
In den USA gibt es keine wie in Deutschland üblichen Meldebehörden. Wer an einer Wahl teilnehmen will, muss sich selbst um die Unterlagen und einen Eintrag ins örtliche Wahlverzeichnis bemühen, was unter Umständen aufgrund fehlender Dokumente wie zum Beispiel einer Geburtsurkunde für bestimmte Bevölkerungsgruppen schwierig werden kann. Wahlberechtigt sind weitestgehend alle US-Staatsbürger ab 18 Jahren.
Ob und unter welchen Bedingungen eine Briefwahl möglich ist, entscheiden die jeweiligen Bundesstaaten. Unter Umständen muss sie begründet werden - in Alabama etwa durch Krankheit, Auslandsaufenthalt oder eine lange Arbeitsschicht. Nach Daten des "U.S. Elections Project" des Politikwissenschaftlers Michael McDonald von der Universität Florida haben bislang über 90 Millionen Menschen Briefwahl beantragt, davon haben über 47 Millionen ihre Stimmzettel zurückgeschickt.
In vielen US-Staaten müssen die Briefwahlunterlagen bis zum 3. November in den Wahllokalen eingegangen sein, in einigen reicht aber auch der Poststempel mit dem Wahldatum. In Pennsylvania, einem für die Wahl sehr wichtigen Bundesstaat, werden die Stimmen auch dann noch berücksichtigt, wenn sie erst drei Tage nach der Wahl eingehen. Der Oberste US-Gerichtshof schmetterte erst kürzlich eine Klage der Republikaner dagegen ab.
Immer mehr Menschen stimmen bei Präsidentschaftswahlen per Briefwahl ab, zeigt ein Blick in die Geschichte: So waren es bei den letzten US-Wahlen 2016 rund ein Fünftel aller Wahlbeteiligten, die ihre Stimmzettel per Post verschickten. Besonders in ländlichen Gebieten ist die Briefwahl beliebt.
Durch die Corona-Pandemie könnte sich die Zahl der Briefwähler noch einmal drastisch erhöhen. Laut einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters im April wollen mehr als zwei Drittel der 238 Millionen Wähler per Brief wählen. Gibt es in der Wahlnacht ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden Kandidaten, könnte es sein, dass das endgültige Ergebnis erst nach Tagen feststeht. Denn wegen der deutlichen Zunahme an Briefwählern und weil es in mehreren Bundesstaaten verboten ist, die Stimmen vor der Wahl auszuzählen, könnte es noch Tage dauern, bis alle Stimmen ausgezählt werden können. Das gilt auch für mehrere der besonders umkämpften Swing States: neben Pennsylvania zum Beispiel auch für Michigan und Wisconsin.
Damit würden die Briefwähler zum Zünglein an der Waage und könnten die Wahl entscheidend beeinflussen - sehr zum Ärger von US-Präsident Donald Trump, der auf ein Ergebnis in der Wahlnacht drängt und die Briefwahl wiederholt mit Wahlbetrug in Verbindung gebracht hat: So könnte er eine mögliche Niederlage in Zweifel ziehen.
Besonders die Anhänger der Demokratischen Partei von Kandidat Joe Biden wollen per Post abstimmen. Trump befürchtet, dass die Briefwähler seine Wiederwahl gefährden und behauptet, dass Briefwahl auf massiven Wahlbetrug hinausläuft. Dafür liefert er jedoch keine Beweise. Es kommt zwar immer wieder zu formalen Fehlern durch fehlerhafte Wahlzettel oder der Verwendung eines falschen Umschlags, aber in der Geschichte der USA habe es noch nie einen großangelegten landesweiten Wahlbetrug gegeben, stellte FBI-Chef Chris Wray im September im US-Kongress klar.
Auch Wahlexperten wie der kalifornische Universitätsprofessor Richard Hansen, andere Behörden und Medien wie die New York Times widersprechen Trump. "Doch Donald Trump will ihnen keinen Glauben schenken. Wenn sich immer mehr Bundesstaaten für die Briefwahl entscheiden, könnte die Wahlbeteiligung steigen, so seine Befürchtung, und das könnte am 3. November zu seinen Lasten gehen", so Deutschlandfunk-Redakteur Thilo Kößler.
Trump fährt regelrecht eine Kampagne gegen die Briefwahl: Er versucht, die staatliche Post in Misskredit zu bringen und zu schwächen. In einem Interview mit dem Sender Fox News gab Trump offen zu, der Behörde Gelder vorenthalten zu wollen. Nach Problemen bei den Vorwahlen ernannte er einen neuen Postchef. Der Trump-Anhänger setzt seither den Rotstift an, streicht Schichten, baut Überstunden ab und schaltet Sortiermaschinen frühzeitig aus. Das führt zu Verspätungen, die bei der Wahl zu erheblichen Auswirkungen führen könnte: Bei den Vorwahlen waren nach Recherchen des US-Radiosenders NPR mindestens 65.000 Briefwahlstimmen für ungültig erklärt worden: Sie waren nicht fristgerecht angekommen.
Trump hat zudem Wähler und Wählerinnen unter anderem in North Carolina dazu aufgrufen, doppelt zu wählen: im Wahllokal und per Post - damit sie sicher gehen könnten, dass ihre Stimmen auch ausgezählt werden. Doch das ist verboten, worauf unter anderem auch die Bürgerrechtler der NGO ACLU hinweisen.
Außerdem gibt es bereits etliche Klagen der Republikaner rund um die Briefwahl, denen zum Teil sogar stattgegeben wurde. Auch für die Zeit nach dem Wahlabend sind Klagen zu erwarten - bis hin zum Obersten Gerichtshof. Dort haben konservative Richter seit kurzem nach der Ernennung der Verfassungsrichterin Amy Coney Barrett eine Mehrheit von sechs zu drei. 2000 hat schon einmal der Supreme Court ein Ende der Auszählung angeordnet - und damit den Republikaner George W. Bush im Kampf gegen Al Gore zum Präsidenten gemacht.
Trump warnt indessen vor "katastrophalen" Zuständen durch die Breifwahl und einer erheblichen Verzögerung des Wahlausgangs - dieser könne Monate oder sogar Jahre später erst bekannt sein, behauptet er. Gibt es allerdings keine Mehrheit, entscheidet am 6. Januar 2021 das neue Repräsentantenhaus über den Präsidenten. Am 20. Januar wird der dann ins Amt eingeführt.