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Stimme für die Opfer

Der Direktor des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden, Klaus Vogel, ist überzeugt, dass die Ausstellung "Tödliche Medizin" über die NS-Rassen und Eugenik-Politik in seinem Haus am richtigen Fleck ist. Mit seiner aktiven Rolle als Propaganda-Insitution in der Nazi-Zeit sei das Gebäude selbst ein Protagonist. Die Schau setze aber auch sehr stark auf die Perspektive der Opfer, sagte Vogel.

Moderation: Beatrix Novy |
    Beatrix Novy: Die Wissenschaft darf man nicht allein den Wissenschaftlern überlassen, sie agiert nicht in einem moralischen Vakuum - sagt, mit durchaus aktueller Absicht, Susan Bachrach, die Frau, die die Ausstellung "Tödliche Medizin" für das Holocaust-Museum in Washington zusammenstellte.

    Diese Ausstellung über die mörderische NS-Rassen- und Eugenik-Politik ist jetzt nach Deutschland gekommen. Das allererste Mal, dass sie außerhalb der USA gezeigt wird und deswegen fragte ich zuerst den Direktor des Dresdner Hygiene-Museums, Klaus Vogel: Ist diese Schau ausgerechnet ins Land der Täter gekommen, oder gerade?

    Klaus Vogel: Ich würde sagen, sie geht gerade ins Land der Täter. Das war vielleicht am Anfang ein bisschen eine Diskussion für unseren Partner in den Vereinigten Staaten, aber im Grunde genommen ist sie, denke ich, am richtigen Fleck, und diese Meinung hat sich auch sehr schnell durchgesetzt.

    Sie ist am richtigen Fleck, auch in diesem Deutschen Hygiene-Museum in Dresden, weil das ja selbst, man kann fast sagen ein Protagonist in dieser Ausstellung ist. Es ist natürlich keine Institutionen-Geschichte, aber das Deutsche Hygiene-Museum selbst mit seiner aktiven Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus als Propaganda-Institution für Rassenhygiene, für Eugenik, ist, denke ich, nachdem es diese Institution noch heute gibt, genau der richtige Fleck.

    Novy: Der Titel des Hygiene-Museums deutet ja darauf hin, es ist zwar in aufklärerischer Absicht gegründet, aber doch schon in einer Zeit, als der Sozialdarwinismus in die Wissenschaft eingedrungen war. Also der Biologismus des 19. Jahrhunderts ist ja ein Vorläufer der Eugenik, aber das war ja nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA sogar gehörte das zu den Mainstream-Linien.

    Vogel: Es gab eine breite eugenische Bewegung, natürlich nicht nur in Deutschland, vor allem in den Vereinigten Staaten, aber auch in England und in Skandinavien. Das zeigt die Ausstellung eigentlich ziemlich deutlich. Sie zeigt aber auch ganz deutlich, dass die Verschärfung, die Radikalisierung, in anderen Ländern in dieser Form überhaupt nicht stattfand. Das war natürlich der deutsche Sonderweg, dieser Sonderweg wurde spätestens 1933 eingeschlagen.

    Ich denke, dass er vorher schon latent vorhanden war, dass Wissenschaftler an ihren Karrieren auch schon gebastelt haben und nur darauf warteten sozusagen, neue großartige Chancen zu bekommen, in Anführungszeichen, wie etwa dann ab Sommer '33, mit dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, das den medizinischen Karrieristen, die sich viel Fortschritt versprachen, endlich das Handwerkszeug in die Hand gab, um ihre Pläne umzusetzen.

    Novy: Was unterscheidet sonst noch die Ausstellung, die nun aus Amerika zu uns kommt und einen Teil deutscher Geschichte aufarbeitet, von einer Ausstellung, wie sie in Deutschland konzipiert worden wäre, oder manchmal ja auch schon wurde?

    Vogel: Ich denke es ist schon ein bisschen eine andere Handschrift. Es gibt ja in Amerika keine Originalschauplätze des Grauens, keine Vernichtungsstätten, keine Konzentrationslager, deswegen sind, so sehe ich es wenigstens, die amerikanischen Kollegen ein bisschen darauf angewiesen, diese sehr bedrückende Stimmungslage, die uns eigentlich emotional auch einstimmt, auf das wir in Gedenkstätten zum Beispiel erfahren, durch inszenatorische Mittel zu erzeugen. Wir sind hier im Deutschen Hygiene-Museum natürlich auch nicht an einem Originalschauplatz von Medizinverbrechen oder von Tötungen, deswegen glaube ich, dass diese etwas deutlichere Inszenierung hier bei uns im Haus, einem sehr populären Haus, ganz richtig am Fleck ist.

    Es geht da im Einzelnen darum, dass vielleicht ein bisschen stärker mit Farben gearbeitet wird, wohl auch mit gedeckten Farben, dass Materialien verwendet werden, wie Fliesen, die so eine medizinisch-kühle Anmutung haben, oder dass sogar - und das ist vielleicht wirklich Diskussionspunkt - ein Tötungskeller inszenatorisch nachgestellt wurde. Wir wollen dieses unterschiedliche Ausstellungsmachen diesseits und jenseits des Atlantiks im Übrigen in einem internationalen Workshop noch in diesem Herbst zur Diskussion stellen.

    Novy: Kann man also kurz gesagt sagen, diese Ausstellung traut sich mehr, emotionaler zu sein, sozusagen sensationeller zu sein?

    Vogel: Also sie ist, glaube ich, nicht sensationeller, sie ist emotionaler. Sie ist auch deswegen emotionaler, weil sie sehr, sehr stark auf die Perspektive der Opfer setzt. Die Opfer stehen eigentlich im Mittelpunkt, weniger die Institutionen. Schon natürlich auch, aber die Perspektive, die Blickrichtung ist von den Opfern aus.

    Opfer werden sozusagen portraitiert, natürlich auch die Täter, im Übrigen auch, was aus den Tätern nach dem Nationalsozialismus geworden ist. Und auch die Opfer bekommen ihre Stimme und können, sofern sie Überlebende waren, gerade in der Gegenüberstellung berichten, wie es ihnen ergangen ist.

    Novy: Das war Klaus Vogel, Direktor des Hygiene-Museums in Dresden, zu der Ausstellung "Tödliche Medizin", die ab morgen dort zu sehen sein wird.