"Ich ging übers Heidemoor allein / Da hört' ich zwei Raben krächzen und schrein / Der eine rief dem andern zu / 'Wo machen wir Mittag, ich und du?' / 'Im Walde drüben liegt unbewacht / Ein erschlagener Ritter seit heute Nacht / Und niemand sah ihn in Waldesgrund / Als sein Lieb und sein Falke und sein Hund.'"(Theodor Fontane: Zwei Raben)
Eine Stimme wie aus der tiefsten Gruft, eine Atmosphäre wie in frühen Verfilmungen des "Hundes von Baskerville" oder ähnlichen Gruselschockern. Wenn jemand in Deutschland stimmlich prädestiniert ist Balladen vorzutragen, jene Urform der Schauerliteratur, dann Otto Sander:
"Es ist Mitternacht / der eine schläft, der andere wacht / Er schaut beim blauen Mondenlicht / dem Schläfer still ins Angesicht / Drin tut ein böser Traum sich kund / Wie seltsam zuckt er mit dem Mund/ Es ist Mitternacht / der eine schläft, der andere wacht." (Friedrich Hebbel: Mitternacht)
Da weiß man schon: Gleich kommt es dicke, denn dunkel dräut das Unheil im finsteren Universum der Ballade, tragisch ist künftiges Geschehen, und heimtückisch verhalten sich die Menschen.
Stopp, verfrühte Einspielung! So leichenschmausfröhlich klingt der Begleitkommentar des Oakmusic-Ensembles und der Trommler von Worms, die Otto Sander bei seinem Auftritt im Rahmen der Nibelungen-Festspiele begleiteten. Denn dieses Hörbuch ist ein Live-Mitschnitt, keine Studioproduktion, und das schlägt sich atmosphärisch gewinnbringend nieder. Balladen nämlich entfalten sich nicht so recht in Räumen mit 2,65 Meter hoher Decke und Zentralheizung; wer immer seinen Kindern ein paar Texte dieser zwischen Pathos und zuviel Pathos schwankenden Gattung vorzulesen versucht, weiß um die Gefahren der Unglaubwürdigkeit. Darum besser zum Hörbuch greifen, wo die hohen Räume akustisch mitgeliefert werden, und ein Kulturgut zeitgenössisch aufbereitet wird, das noch vor zwei Generation zum Unterrichtsstandard gehörte, Stichwort Gedächtnistraining. Heute muss ein Seniorenheim besuchen, wer folgende Zeilen mühelos rezitiert hören will; Zeitgenossen kennen sie trotz ihrer sprichwörtlichen Berühmtheit kaum mehr:
"Da speit das doppelt geöffnete Haus / Zwei Leoparden auf einmal aus / Die stürzen mit mutiger Kampfbegier / Auf das Tigertier / Das packt sie mit seinen grimmigen Tatzen / Und der Leu mit Gebrüll / Richtet sich auf, da wirds still / Und herum im Kreis / Von Mordsucht heiß / Lagern die greulichen Katzen / Da fällt von des Altans Rand / Ein Handschuh von schöner Hand / Zwischen den Tiger und den Leun / Mitten hinein / Und zu Ritter Delorges spottenderweis / Wendet sich Fräulein Kunigund / "Herr Ritter, ist Eure Liebe so heiß / Wie Ihr mirs schwört zu jeder Stund / Ei, so hebt mir den Handschuh auf." (Schiller: Der Handschuh)
Ach, vom Leu, alias König Löwe, haben wir schon lange nichts mehr vernommen, und das ist auch der Grund, warum es sich lohnt, Friedrich Schillers "Handschuh" und anderen Balladen zu lauschen: Die Sprache der Dichter, oft einem unduldsamen Reimwillen unterworfen, klingt in Otto Sanders Interpretation musikalischer als vieles, was man heute spricht - während die Begleitmusik sprachlicher daherkommt, als man es von Musik gemeinhin erwartet. Sie kommentiert, witzelt, höhnt gar manchmal - denn bitter ernst lässt sich dieses Genre wahrlich nicht mehr nehmen, ein Augenzwinkern darf da schon sein. Indes, wer will, entdeckt in der Schauerromantik der Vergangenheit sogar zeitgenössische Bezüge:
"Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt / Ein Reiter vor Dschellalabad hält / 'Wer da!' – 'Ein britischer Reitersmann / Bringe Botschaft aus Afghanistan.'"(Theodor Fontane: Das Trauerspiel von Afghanistan)
Ja, es gab in Afghanistan schon einmal militärischen Ärger für den Westen, und Theodor Fontane hat den Untergang der britischen Armee samt ihrer Angehörigen, vorgefallen im Jahr 1842, balladesk aufbereitet. Bei ihm verirren sich die Heimkehrenden kurz vorm rettenden Fort in einem Schneesturm, und der Festungskommandant lässt alle Trompeter Lautsignale geben:
"Sie bliesen die Nacht und über den Tag / Laut, wie nur die Liebe rufen mag / Sie bliesen - es kam die zweite Nacht / Umsonst, dass ihr ruft, umsonst, dass ihr wacht / Die hören sollen, sie hören nicht mehr / Vernichtet ist das ganze Heer / Mit dreizehntausend der Zug begann / Einer kam heim aus Afghanistan."
Ritter und Raben. Otto Sander rezitiert klassische Balladen
Musik vom Oakmusic Ensemble, Patmos
Eine Stimme wie aus der tiefsten Gruft, eine Atmosphäre wie in frühen Verfilmungen des "Hundes von Baskerville" oder ähnlichen Gruselschockern. Wenn jemand in Deutschland stimmlich prädestiniert ist Balladen vorzutragen, jene Urform der Schauerliteratur, dann Otto Sander:
"Es ist Mitternacht / der eine schläft, der andere wacht / Er schaut beim blauen Mondenlicht / dem Schläfer still ins Angesicht / Drin tut ein böser Traum sich kund / Wie seltsam zuckt er mit dem Mund/ Es ist Mitternacht / der eine schläft, der andere wacht." (Friedrich Hebbel: Mitternacht)
Da weiß man schon: Gleich kommt es dicke, denn dunkel dräut das Unheil im finsteren Universum der Ballade, tragisch ist künftiges Geschehen, und heimtückisch verhalten sich die Menschen.
Stopp, verfrühte Einspielung! So leichenschmausfröhlich klingt der Begleitkommentar des Oakmusic-Ensembles und der Trommler von Worms, die Otto Sander bei seinem Auftritt im Rahmen der Nibelungen-Festspiele begleiteten. Denn dieses Hörbuch ist ein Live-Mitschnitt, keine Studioproduktion, und das schlägt sich atmosphärisch gewinnbringend nieder. Balladen nämlich entfalten sich nicht so recht in Räumen mit 2,65 Meter hoher Decke und Zentralheizung; wer immer seinen Kindern ein paar Texte dieser zwischen Pathos und zuviel Pathos schwankenden Gattung vorzulesen versucht, weiß um die Gefahren der Unglaubwürdigkeit. Darum besser zum Hörbuch greifen, wo die hohen Räume akustisch mitgeliefert werden, und ein Kulturgut zeitgenössisch aufbereitet wird, das noch vor zwei Generation zum Unterrichtsstandard gehörte, Stichwort Gedächtnistraining. Heute muss ein Seniorenheim besuchen, wer folgende Zeilen mühelos rezitiert hören will; Zeitgenossen kennen sie trotz ihrer sprichwörtlichen Berühmtheit kaum mehr:
"Da speit das doppelt geöffnete Haus / Zwei Leoparden auf einmal aus / Die stürzen mit mutiger Kampfbegier / Auf das Tigertier / Das packt sie mit seinen grimmigen Tatzen / Und der Leu mit Gebrüll / Richtet sich auf, da wirds still / Und herum im Kreis / Von Mordsucht heiß / Lagern die greulichen Katzen / Da fällt von des Altans Rand / Ein Handschuh von schöner Hand / Zwischen den Tiger und den Leun / Mitten hinein / Und zu Ritter Delorges spottenderweis / Wendet sich Fräulein Kunigund / "Herr Ritter, ist Eure Liebe so heiß / Wie Ihr mirs schwört zu jeder Stund / Ei, so hebt mir den Handschuh auf." (Schiller: Der Handschuh)
Ach, vom Leu, alias König Löwe, haben wir schon lange nichts mehr vernommen, und das ist auch der Grund, warum es sich lohnt, Friedrich Schillers "Handschuh" und anderen Balladen zu lauschen: Die Sprache der Dichter, oft einem unduldsamen Reimwillen unterworfen, klingt in Otto Sanders Interpretation musikalischer als vieles, was man heute spricht - während die Begleitmusik sprachlicher daherkommt, als man es von Musik gemeinhin erwartet. Sie kommentiert, witzelt, höhnt gar manchmal - denn bitter ernst lässt sich dieses Genre wahrlich nicht mehr nehmen, ein Augenzwinkern darf da schon sein. Indes, wer will, entdeckt in der Schauerromantik der Vergangenheit sogar zeitgenössische Bezüge:
"Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt / Ein Reiter vor Dschellalabad hält / 'Wer da!' – 'Ein britischer Reitersmann / Bringe Botschaft aus Afghanistan.'"(Theodor Fontane: Das Trauerspiel von Afghanistan)
Ja, es gab in Afghanistan schon einmal militärischen Ärger für den Westen, und Theodor Fontane hat den Untergang der britischen Armee samt ihrer Angehörigen, vorgefallen im Jahr 1842, balladesk aufbereitet. Bei ihm verirren sich die Heimkehrenden kurz vorm rettenden Fort in einem Schneesturm, und der Festungskommandant lässt alle Trompeter Lautsignale geben:
"Sie bliesen die Nacht und über den Tag / Laut, wie nur die Liebe rufen mag / Sie bliesen - es kam die zweite Nacht / Umsonst, dass ihr ruft, umsonst, dass ihr wacht / Die hören sollen, sie hören nicht mehr / Vernichtet ist das ganze Heer / Mit dreizehntausend der Zug begann / Einer kam heim aus Afghanistan."
Ritter und Raben. Otto Sander rezitiert klassische Balladen
Musik vom Oakmusic Ensemble, Patmos