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Stimmen aus dem Jenseits

Okkulte Stimmen, Trancereden, Phantomstimmen und akustischen Dramen: Originalaufnahmen solcher Phänomene und Stimmen sind erstmals auf einer CD-Sammlung zu hören, die in Zusammenarbeit mit dem Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg und Privatarchiven recherchiert wurden.

Von Hans-Jürgen Heinrichs | 05.05.2008
    Die okkulten Stimmen, Trancereden, Phantomstimmen und akustischen Dramen, die auf den drei CDs medialer Musik zu hören sind, berühren auf eine kaum noch zu überbietende Art und Weise sinnlich-übersinnliche Erlebensformen, für die es im Deutschen den einzigartigen Ausdruck "Das Unheimliche” gibt. Nicht zufällig hat ihm Sigmund Freud eine ausführliche psychoanalytische Untersuchung gewidmet, in der er dem zutiefst Beklemmenden und Verstörten, dem Schreckhaften, Angst- und Grauenerregenden, dem Gegenteil des uns als vertraut Erscheinenden, nachforscht. Und der Ethnologe und Psychoanalytiker Georges Devereux hat die menschlichen Grenzen in der Wahrnehmung solcher Phänomene mit dem Begriff der Erträglichkeit umschrieben. Genau an diese Grenze geraten wir in der Wahrnehmung von medialer oder paranormaler Musik, von Spukphänomenen und Klopfgeistern. Ein Beispiel ist der 1971 aufgenommene "Spukfall Pursruck”.

    Nicht weniger eindringlich und ängstigend die Beispiele paranormaler Stimmen.

    Diese Stimme auf einem Anrufbeantworter, die als glossolalisch (zungenrednerisch) zu bezeichnen ist, da sie an keine bekannte Sprache erinnert, wurde von einer Frau als die ihrer verstorbenen Tochter identifiziert.

    Die Herausgeber der Tonaufnahmen haben ihre Recherchen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg und Privatarchiven durchgeführt und die Aufnahmen gegliedert in:

    1. Trance-Reden, sogenannte "Direkte Stimmen” und akustische Umsetzungen von Hellsehen, was auch als Präkognition bezeichnet wird;

    2. Xenoglossie (Stimmen aus alten Kulturen, Prophezeiungen, Zaubergesänge und Austreibungsrituale und Glossolalie (zum Beispiel Sprachstörungen bei Psychosen);

    3. Mediale Musik, Klopflaute oder "Rappings” und andere Spukphänomene sowie Tonbandstimmen oder Electronic Voice Phenomena.
    Diese Sammlung von Ton-Dokumenten nimmt fortan - neben den besser erforschten okkulten Seh-Phänomenen -einen wichtigen Platz in der kulturgeschichtlichen und psychologischen Erforschung von nichtkognitiven, sogenannten parapsychologischen Phänomenen ein. Eine eingehendere Deutung steht freilich noch aus. Aber wenn sich die Forschung vom Fremdartigen, Unbegreiflichen und Entrückten - wie zum Beispiel dem folgenden, 1933 aufgenommenen Trance-Atmen -berühren läßt, reduziert sie Phänomene nicht auf Bekanntes, sondern verschiebt die eigenen Grenzen.

    Eine Sammlung solcher okkulten akustischen Phänomene, die die einzelne Person übersteigen und in einen transpersonalen Raum übergehen, bietet nur erst einmal ein Material an, dessen Interpretation nur in interdisziplinärer Forschung gelingen kann. Viele Fragen werden dabei ungeklärt bleiben, weil die vorhandenen Zugangsformen und Methoden nur unzureichend sind. Die okkulten Wissenschaften, die Forschungen zum Schamanismus, zur Besessenheit und zum Exorzismus, die Arbeiten

    C.G. Jungs und anderer Forscher sind Ansätze, die es zu koordinieren und fortzuführen gilt. Die Grenzen zur Scharlatanerie, zum inszenierten Spuk und einer modischen Wiederverzauberung der Welt sind dabei fließend und oft nicht auf Anhieb zu erkennen.

    Der Herausgeber Thomas Knoefel betont allerdings, dass es ihm vor allem darum ging, die Ästhetik -also Dramatik, Inszenierung und Performance, Intensität und Dynamik, den Sound -dieser Phänomene und ihre suggestive Kraft herauszustellen. Und in der Tat: So wichtig auch die Erforschung dieser Phänomene ist, so ist es doch nicht weniger reizvoll, sich den stellenweise hördramatischen Kunstwerken und Kompositionen hinzugeben. Selbst wenn man zum Beispiel die Chopin und Liszt nachempfundenen Kompositionen, wie sie Medien von den toten Musikern empfangen haben wollen, nicht besonders hoch einschätzt, so weichen sie doch den in der westlichen Kultur fetischhaften besetzten, abgegrenzten Werkbegriff etwas auf, erweitern ihn über die Person hinaus in einen offenen Klang-und Bedeutungsraum.

    Vertieft man sich in die geheimnisvolle Welt dieser Hörereignisse und in die vorliegenden spärlichen Forschungen, ist man geradezu überwältigt von der Verbreitung dieser Phänomene (zum Beispiel der Glossolalie) in den unterschiedlichsten Kulturen und Religionen: Das trancehafte Sprechen einer unbekannten Sprache, hinter der ein Sinn vermutet wird, findet Erwähnung im Alten und im Neuen Testament, im Islam ebenso wie in jüdischen und buddhistischen Schriften und stellt für die Kommunikationswissenschaft einen interessanten Fall paradoxer Kommunikation dar.

    Aufnahmen wie die folgenden sind allerdings ohne ethnologische und religionswissenschaftliche Erklärungen überhaupt nicht zugänglich. Es handelt sich um einen Zaubergesang zur Krankenheilung auf Sumatra, 1905 von dem Ethnologen Bernhard Hagen aufgezeichnet. Es sind Zauberformeln, die von den Schamanen in einer Sprache gesungen werden, die sie nicht erlernt, sondern auf eine schwer erklärbare Weise adaptiert haben und in Trance praktizieren. Bei allen Erklärungsversuchen dürfen wir nie die Begrenztheit der eigenen Vorgehensweise und die Orientierung an einer sehr eingeengten Vorstellung von der "Bedeutung” der Wörter vergessen, die auch ein Ethnologe wie Michel Leiris zum Ausdruck brachte, als er bekannte: "Lieber wäre ich besessen als über die Besessenen zu reden.”

    Okkulte Stimmen -Mediale Musik.
    3 CD-Box mit Booklet, herausgegeben von Andreas Fischer und
    Thomas Knoefel. supposé Verlag Berlin, 39,80 EUR.