Archiv


Stimmen gegen Merkel

Die Neinsager in der Regierungskoalition haben sich etabliert. Warum sie sich nicht hinter die Kanzlerin gestellt haben, dafür haben sie unterschiedliche Gründe.

Von Markus Dichmann |
    "Mit Ja haben gestimmt 496. Mit Nein haben gestimmt 90, Enthaltungen fünf. Der Antrag ist damit angenommen."

    90 Mal "Nein". 17 Mal kam dieses "Nein" aus den Regierungsfraktionen.

    Zwei Tage später: Eine "Neinsagerin" schmeißt früh morgens ihre Kaffeemaschine an. Für Sylvia Canel dreht sich die Politwelt weiter, auch nach Rettungspaket, auch ohne Kanzlermehrheit. Der Kaffee läuft noch durch, trotzdem macht die Liberale schon einen sehr wachen Eindruck.

    "Also wenn Sie meinen, dass man irgendwie Ausschlag kriegt oder die Haare sitzen nicht, nein, das ist nicht so."

    Ihre blonden Haare sitzen zwar tatsächlich anstandslos, ganz spurlos ist der vergangene Montag aber an der 53-Jährigen nicht vorbeigegangen.

    "Es gibt natürlich viele, die einen zur Seite nehmen und sagen: "Mein Gott, kannst du dich denn nicht mal anschließen?" Das tut dann auch manchmal weh. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch sehr viel Anerkennung, dass man bei der Meinung geblieben ist. Also im Grunde genommen ist es in beide Richtungen extrem, und man hält es eigentlich nur ganz gut deshalb aus, weil man selber in sich den Kompass hat und sagt: Ja, das ist aber meine Richtung. Wenn das nicht so wäre, dann würde man da wirklich etwas leiden."

    Und zwar leiden unter dem Fraktionsdruck - die Kollegen laden auf eine Tasse Kaffee hinter verschlossenen Türen ein, wollen letzte "Überzeugungsarbeit" leisten. Oder aber sie tun es gleich auf der großen Bühne Bundestag: CDU-Fraktionschef Volker Kauder.

    "Es gibt Augenblicke in der Geschichte, Augenblicke, wo es wirklich darauf ankommt, geschlossen das Richtige zu tun. Und auch den einen oder anderen Zweifel zurückzustellen, um die Zukunft zu gewinnen. In einer solchen Situation sind wir und deswegen werden wir dem Antrag der Bundesregierung auch zustimmen."

    Schicksalsschwere Worte, aber sie machten wenig Eindruck auf Sylvia Canel.

    "Ich finde, das ist ein großartiger Satz. Das ist so wie Hamburg ist das Hoch im Norden oder Bildung fängt mit B an. Also diese Sätze führen dazu, dass wir Politiker, dass uns niemand mehr zuhört, weil … es geht immer um alles. In erster Linie immer um alles. Aber ich komm aus einer Generation, da ging es immer um alles. Es ging immer um Ost und West, darum, dass der Wald stirbt, dass das Öl alle ist. Also es ging immer um alles. Und deshalb lass ich mich davon überhaupt nicht mehr beeindrucken."

    Noch so ein "Neinsager" ist Christian von Stetten.
    Er entspannt sich bei Häppchen und Bionade, ein Jazz-Quartett packt die Instrumente wieder ein – das Ende eines Kongresses, den der CDU Abgeordnete organisiert hat. Eröffnet hat ihn ausgerechnet Volker Kauder.

    "Ich glaube in den letzten drei, vier Jahren haben wir viele solche überaus wichtige Augenblicke in der Geschichte. Ich denke nur an die Bankenrettung, ich erinnere daran, wir haben zum siebten Mal abgestimmt über Eurorettungsprogramme und wir werden jetzt dann im Mai wahrscheinlich über den ESM-Rettungsschirm auch abstimmen. Also, die Entscheidungen der Geschichte kommen praktisch in regelmäßiger Häufigkeit."

    Kauder kommt trotzdem noch bei ihm vorbei, obwohl der 41-Jährige Adelssohn seinem Fraktionschef nicht gefolgt ist. Und auch ins Bundeskanzleramt wird er noch eingeladen, feixt der Freiherr mit Dreitagebart.

    "Ich steh’ da auch drauf, dass die Abgeordneten so abstimmen dürfen, wie ihr Gewissen ist. Und bei uns gibt’s auch keinen Fraktionszwang und es kann auch jeder abstimmen, jeder, wie er will. Und das habe ich getan und deshalb bin ich damit im Reinen. Aber wenn sie in die Vergangenheit gehen, ich bin jetzt seit zehn Jahren im Parlament, ich habe schon öfters gegen die Fraktionsmehrheitsmeinung abgestimmt und das darf man auch."

    Beschimpft – wie zuletzt Wolfgang Bosbach nach seinem Nein gegen Rettungspaket eins – wird keiner der "Neinsager". "Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen" - so dröhnte damals der CDU-Lautsprecher Ronald Pofalla.

    "Ich hab das Gefühl, jetzt läuft das irgendwie. In welche Richtung auch immer: Diejenigen, die zustimmen werden akzeptiert, weil sie zustimmen. Die anderen, die ablehnen, die werden akzeptiert, weil sie ablehnen. Das ist jetzt nicht mehr neu. In der letzten Abstimmung war das noch neu, da war noch viel mehr Aufregung drin."

    Mit der Aufregung ist aber auch die Kanzlerinnenmehrheit im Bundestag verflogen. Canel und von Stetten tragen daran Mitschuld. Über den Zusammenhalt von Schwarz-Gelb lässt sich deshalb nur wundern – auch Sylvia Canel kann die Freude über den Gauck-Coup der FDP nicht ganz verhehlen. Die Liberalen glauben, wieder etwas in der Wählergunst gut gemacht zu haben - kurz vorm Koalitionsausschuss am Sonntag.

    "Erst hat die CDU den Wulff vorgeschlagen, den haben wir mit gewählt und getragen. So, und jetzt ist die FDP dabei und macht einen guten Vorschlag und jetzt hat die CDU das mitgetragen. Ich weiß überhaupt nicht, wo das Problem ist. Insofern muss auch Frau Merkel auf den Koalitionspartner ab und zu mal zugehen, auch wenn ihr das schwerfällt."

    "Ich glaub’, das ist erledigt. Deswegen glaub’ ich, am Sonntag wird da weder über den Euro groß gesprochen, noch über die Personalie Gauck. Weil wir haben nur noch 18 Monate bis zur Bundestagswahl. Das heißt in den nächsten sechs, sieben, acht Monaten muss das alles abgearbeitet werden, was wir noch im Koalitionsvertrag drin stehen haben. Und dann wird’s sicherlich den ein oder anderen geben, der bei einem anderen Thema auch wieder der Meinung ist, das, was die Spitze besprochen hat, ist nicht richtig. Dann darf der auch dagegen Stimmen."

    Sechs, sieben, acht Monate: Die können für die schwarz-gelbe Koalition noch eine lange Zeit werden. Denn das Wörtchen "Nein" ist etabliert. Und bei der Suche nach Mehrheiten, heißt "Nein" nicht "Ja" - so einfach ist das.