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Stimmungsmache gegen Bürgerprotest

Um die erneuerbaren Energien in das Stromnetz einzugliedern, müssen etwa 3500 Kilometer neue Hochspannungsleitungen hinzukommen. Auf lokaler Ebene wird dieser Ausbau oftmals blockiert - von Umweltverbänden selbst.

Von Daniela Siebert | 16.11.2010
    Der BUND sieht sich beim Ausbau der Stromnetze zu Unrecht in der Kritik. So viele neue Leitungen werden gar nicht gebraucht. Mehr noch: Eine öffentliche Kontrolle, wie die DENA zu ihren 3500 Kilometern an neuen Hochspannungsleitungen komme gebe es nicht. Deshalb sollten die Netzbetreiber ihre Daten über die tatsächlichen Stromflüsse und den erwarteten Bedarf offenlegen. Der BUND-Vorsitzende Professor Hubert Weiger fordert:

    "Keine Blockade mehr der Netzbetreiber, was die Transparenz über Netzbelastung und Stromflüsse angeht, sondern wir brauchen eine ernsthafte Prüfung von Alternativen."

    Und vor allem auch eine korrekte strategische Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß EU-Vorgaben – so der BUND. Bei den Netzbetreibern sieht man das ganz anders. Der Übertragungs-Netzbetreiber 50 Hertz Transmission mit Sitz in Berlin will beispielsweise 350 Kilometer neue Stromleitungen im Norden und Osten Deutschlands bauen. Und dass dieser Ausbau nötig ist, daran lässt Wolfgang Neldner, der Geschäftsführer von 50 Hertz keine Zweifel:

    "Weil die Erzeugung der regenerativen Energie an anderen Standorten erfolgt als der Verbrauch das neue Bundesgebiet als Beispiel, wofür wir zuständig sind – neue Bundesländer, Berlin und Hamburg – dort werden mehr als 40 Prozent der Windenergie ganz Deutschlands erzeugt, aber der Stromverbrauch in diesem Gebiet beträgt nur 17 Prozent,18 Prozent, da ist ganz logisch, dass also weit mehr als 50 Prozent dieses regenerativen Naturstromes zu exportieren sind , deshalb brauchen wir die neuen Leitungen."

    Anders das Bild bei den bundesweit Dutzenden von Bürgerinitiativen, die auf lokaler Ebene gegen neue Stromleitungen protestieren. Hier spielt der grundsätzliche Zweifel an der Notwendigkeit des Ausbaus nur eine untergeordnete Rolle. Die meisten Sorgen gelten eher den gesundheitlichen Risiken, dem Landschaftsschutz, dem Tierschutz und der Wertminderung angrenzender Grundstücke. Ein Beispiel dazu aus Brandenburg. Dort wehrt sich die Bürgerinitiative "Biosphäre unter Strom" gegen eine 380-Kilo-Volt-Freileitung, die der Netzbetreiber 50 Hertz quer durch die Uckermark und auch ein Stückweit durch das Biosphärenreservat Schorfheide ziehen will. Gunnar Hemme, Sprecher der Bürgerinitiative:

    "Wir haben ja auch etliche Gutachten dafür schon in Auftrag gegeben und ein Gutachten davon kam auch ganz eindeutig zu dem Schluss, dass die Leitung so in der jetzt geplanten Form für die Einspeisung der Windenergie überhaupt nicht notwendig ist , es werden also quasi die regenerativen Energien nur vorgeschoben."

    Dennoch ist die Bürger-Initiative nicht komplett gegen die neue Leitung, sondern will sie lediglich unter die Erde verlegt haben. Auch anderswo wollen die Bürger, die gegen Stromleitungen demonstrieren die Leitungen entweder höher oder tiefer gehängt oder unter die Erde verbannt oder einen geänderten Streckenverlauf. Die Totalverweigerer sind eher selten. Deshalb wehrt sich auch der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger gegen die Stimmungsmache gegen Bürgerinitiativen. Diese würden oft fälschlich als "Blockierer der Nation" hingestellt.

    "Wir stellen fest: die Blockade erfolgt nicht über uns, sondern aufgrund der absolut defizitären Planungen und der ungenügenden Beachtung vorhandener Gesetze."

    Beim Netzbetreiber 50 Hertz zieht sich niemand diesen Schuh an, Widerstand gegen die Leitungen würde diffamiert. Im Gegenteil: Wolfgang Neldner sagt, er suche regelrecht den Dialog mit den Kritikern und bedankt sich sogar für ihre "Hilfe". Denn die Mehrzahl von ihnen spreche sich keineswegs komplett gegen jeglichen Neubau aus:

    "Wir sind sehr froh, dass es diesen Dialog gibt und wir sind auch froh, dass es die Einwendungen gibt, denn die absolute Mehrzahl hat uns bei der Optimierung der Trassenfindung und bei der Optimierung der technischen Ausgestaltung sehr geholfen, da bedank ich mich auch dafür."

    Der Grund liegt auf der Hand. Die Genehmigungsbehörden müssen schon von Amts wegen beide Seiten anhören. Haben sich aber Trassenplaner und -gegner schon verständigt kooperativ, ist eine Stromtrasse leichter, schneller und damit auch kostengünstiger gebaut als bei einem Verfahren, bei dem am Ende die Gerichte das letzte Wort haben.