Archiv


Stimmungsmache oder gerechtes Anliegen?

Opferschutz reklamiert der Internationale Suchdienst in Bad Arolsen im Streit um die Veröffentlichung seiner Akten, die unter anderem die New York Times und der Leiter des Holocaust Mahnmahl in Washington fordert. Es geht um 25 laufende Kilometer Material über Naziopfer, die endlich der Wissenschaft zugänglich gemacht werden sollen.

Gespräch mit David Gößmann in Washington |
    Fischer: ITS heißt International Tracing Service und steht für den Internationalen Suchdienst, der 1943 in London gegründet wurde und seit 1946 im hessischen Bad Arolsen sitzt. Unter der Federführung des Roten Kreuzes wurden dort sämtliche NS-Opferdaten gesammelt, insgesamt 47 Millionen Einzelhinweise über 17 Millionen Menschen lagern dort auf einer Strecke von noch 25 Regalkilometern, das Archiv wird gerade unter Hochdruck digitalisiert.

    Eines dieser vielen Dokumente ist inzwischen weltberühmt geworden, es ist Schindlers Liste. Vor allem, aber nicht nur, aus Amerika kommt schon seit längerem die Forderung, dieses Archiv solle der Forschung frei zugänglich sein und eskaliert ist der Streit nun, weil Paul Shapiro, der leitende Historiker der Holocaust Museums in Washington, verbal eins darauf gelegt hat, er sagte, ich zitiere "wissentliches Verbergen von Holocaust-Dokumenten ist eine Form der Holocaust-Leugnung". Frage an meinen Kollegen David Gößmann in Washington worin liegen denn mögliche Gründe für diese Eskalation?

    Gößmann: Die Gründe für diese Forderung und für diese Vorwürfe liegen sicherlich daran, dass im Mai die Kommission des ITS, also des International Tracing Service, in Luxemburg tagen wird und man will im Vorfeld dieser Tagung den Druck erhöhen auf die elf Mitgliedstaaten, die in dieser Kommission sitzen, um eine Öffnung des Archivs möglichst bald zu beschließen. Diese Forderung, eine Öffnung des Archivs zu erwirken, ist ja nicht neu, sie wird ja schon seit vielen, vielen Jahren gestellt, aber bisher ist immer nichts dabei herausgekommen.

    Fischer: Es werden ja durchaus Auskünfte in Bad Arolsen erteilt, aber eben nur an Privatpersonen. Man nannte das bisher das humanitäre Mandat. Also mithilfe des ITS können von den Nazis verfolgte, zum Beispiel Haft Zwangsarbeit oder Krankheit nachwiesen, und entsprechend Entschädigungs- oder Rentenansprüche fordern. Was sind denn die Schwierigkeiten einer großzügigeren Offenlegung?

    Großmann: Die Problematik daran liegt, dass der Vertrag, der 1955 geschlossen wurde, bindend ist, und man müsste erst diesen Vertrag abändern. Für eine Abänderung dieses Mandats braucht man die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten des Internationalen Suchdienstes und zudem noch eine Ratifizierung im Parlament. Das kann über Jahre hinaus gehen. Ein zweiter Aspekt, der schwierig ist, ist der Schutz der Persönlichkeitsrechte. Die deutsche Regierung hat immer klar gemacht, dass man erst, wenn die gewährt sind, die Daten herausgeben wird. In den USA sieht man das etwas gelassener, weil hier der Datenschutz und der Schutz der Privatsphäre nicht einen so hohen Stellenwert hat.

    Fischer: Der Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, Wolfgang Benz, nannte die Forderung gestern inhaltlich absurd, weil es sich bei diesen Opferdaten ja auch, und vor allem, um Behauptungen der Täter, also der KZ-Bürokraten, handele. Es geht um damalige Haftgründe, zum Beispiel wie Homosexualität oder um Pädophilie, und dieses zu veröffentlichen sei ein eklatanter Verstoß gegen den Datenschutz .

    Gößmann: Na, das Problem besteht, das Problem besteht auch in anderen Archiven. Man weiß, wie man damit umgeht, wenn eine Gefährdung der Privatsphäre auftritt in Archiven, da gibt es das Mittel der Schwärzung. Es ist sicherlich eine schwierige Situation. Es handelt sich um sensible Daten. Es wird wahrscheinlich so sein, dass man auch Daten dort findet, dass Opfer zu Tätern werden, dass es um Spitzel geht, um Denunziation, aber trotzdem, die Forderung von Historikern, von Opferverbänden, auch von den KZ-Gedenkstätten wird immer lauter. Jetzt auch aus den USA. Und ich denke, es gibt auch Berechtigung dafür. Man erhofft sich durch eine Öffnung, so hat es mir Paul Shapiro gesagt, dass man dadurch ein detailliertes und ein besseres Bild dessen bekommt, was in KZs stattgefunden hat und damit auch ein besseres Verständnis des Holocaust.

    Fischer: Also das heißt, es geht sozusagen um das ganz große Panorama, was durch die Nichtöffnung dieses Archivs verschwiegen zu werden droht?

    Gößmann: Das ist so, ja. Also das Panorama, das ist sicherlich jetzt nicht im Großen und Ganzen geändert werden kann, durch die Daten, man weiß ja auch noch nicht ganz genau, was man dort finden wird, aber es geht einfach darum, dass man versuchen will, das Gewebe, das Bild des Holocaust, so wie man das auch in Schindlers Liste gesehen hat, das man die Einzelschicksale genau untersuchen will, schauen will, was für Haftursachen sind dort vorhanden, aus welchen Gründen sind die Juden oder Verfolgten dort eingeliefert worden, was ist mit ihnen geschehen. Es geht sicherlich um eine Vervollständigung des Bildes. Es geht nicht darum, das Bild, das man vom Holocaust hat grundsätzlich zu revidieren. Es geht darum möglichst viele Einzelinformationen zu erlangen und dazu ist dieses größte NS-Archiv sicherlich geeignet.

    Fischer: Herzlichen Dank an David Gößmann zur Forderung nach Öffnung des ITS-Archivs in Bad Arolsen.