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Stinkende Blume mit bleibendem Duft

Einstein. – In Berlin ist das Einstein-Jahr eingeläutet worden. 2005 jährt sich der Tod Albert-Einsteins zum 50. Mal, die Veröffentlichung seiner Bahn brechenden Aufsätze zum 100. Mal. Zu Beginn des Jahres fand daher in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ein zweitägiges Symposium des statt, das die Bedeutung des Physikers für unsere Zeit erkunden sollte. Der Wissenschaftshistoriker Jürgen Renn, Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin, berichtete darüber im Deutschlandfunk. Die Fragen stellte Uli Blumenthal.

    Blumenthal: Herr Professor Renn, ist es mutig oder/und konsequent, Einstein in Deutschland mit einem ganzen Jahr zu ehren, wenn man ein Zitat von ihm nimmt, dass da lautet, "ich bin eine stinkende Blume, und sie stecken mich doch immer wieder ins Knopfloch"?

    Renn: Ich glaube, ich habe eine gewisse Verantwortung dafür, daß das Zitat, das sie gerade erwähnt haben, wieder in Umlauf gebracht wurde. Es stammt aus einem Reisetagebuch von einer Reise, die Einstein nach Südamerika gemacht hat. Er ist von der dortigen deutschen Gemeinschaft enthusiastisch empfangen worden, wusste aber natürlich, daß er in Deutschland selbst antisemitischen Angriffen und als demokratischer Intellektueller allgemeinen Angriffen ausgesetzt war. Die haben dann schließlich auch dazu geführt, dass er mit dem Machtantritt der Nazis zur Emigration gezwungen wurde. Also, mit dem Einsteinjahr ist das eine heikle Sache. Wenn wir uns dieser Seite der Vergangenheit, der schwierigen Beziehung zwischen Deutschland und Einstein bewusst werden, dann haben wir sicherlich kein Recht, das Einstein-Jahr zu feiern, nur um ihn gewissermaßen heim nach Deutschland zu holen. Einstein war ein sehr bewusster, jüdischer Intellektueller. Er hat sich zum Staat Israel bekannt, er hat sehr viel für die Gründung der Hebräischen Universität getan. Also Einstein ist eine sehr internationale Persönlichkeit, und wir haben nur dann das Recht, das Einstein-Jahr in Deutschland zu feiern, wenn wir das als eine Herausforderung begreifen, es besser zu machen als damals, und uns Einstein ein Stück weit als Vorbild für einen kritischen Intellektuellen, für einen Wissenschaftler, der sich der gesellschaftlichen Probleme immer bewusst geblieben ist, zu nehmen.

    Blumenthal: Die Konferenz heißt " Einstein für das 21. Jahrhundert ". Wie muss man sich das vorstellen, was passiert in diesen zwei Tagen? Hat man uns Deutschen die Leviten gelesen, oder hat man sozusagen die Personen Albert Einstein vom Sockel gehoben? Es sind sicher sehr viele amerikanische Wissenschaftler hier, zwei Nobelpreisträger, sind wir die Beobachter, oder sind wir auch aktive Teilnehmer an einer Konferenz, die sich mit dem Phänomen Albert Einstein beschäftigt?

    Renn: Also, ein bisschen Leviten lesen gab es auch. Deutsche Medien sind dafür kritisiert worden, dass sie mit der Emigration zu leichtfertig umgegangen sind. Ich glaube, Einstein-Forschung spielt sich auch zu einem guten Teil in Deutschland ab. Nur, was heißt eigentlich Einstein-Forschung? Eigentlich steht Einstein für Interdisziplinarität und deswegen ist es eigentlich ein Widerspruch in sich, von Einstein-Forschung zu reden. Das ist auf dieser Konferenz auch nicht der Fall. Das ist eine Konferenz, auf der sich Physiker, Philosophen und Historiker begegnen und fachübergreifend über die Geschichte Einsteins und die Bedingungen, die seine großen Entdeckungen möglich gemacht haben, überlegen. Es ist zum Beispiel interessant, wenn ein Nobelpreisträger für Chemie sich mit Einstein als Student beschäftigt, um etwas aus der Geschichte über die heutigen Probleme der Einführung in die Wissenschaft zu lernen. Das ist für einen Wissenschaftshistoriker wie mich natürlich eine besondere Befriedigung, dass die Wissenschaftsgeschichte nicht einfach nur einen antiquiertes, archivalisches Fach ist, sondern durchaus auch Aktualitätsbezüge hat.

    Blumenthal: Ist in eigentlich schwer für Albert Einstein gewesen, in seiner Zeit zu bestehen? Hatte er viele Leichen im Keller?

    Renn: Nein, ich glaube nicht. Die speziellen Relativitätstheorie löst ein allgemein bekanntes Problem, das Problem, dass man zwar einen Äther als Träger der elektromagnetischen Wellen annahm, so wie die Luft als Träger der Schallwellen. Aber dann hätte man eigentlich auch eine Bewegung durch diesen Äther feststellen müssen, was aber nicht gelang. Das Problem war bewusst, das wurde durch die speziellen Relativitätstheorie gelöst, und von daher wurde sie auch sehr schnell akzeptiert. Anders war es mit der allgemeinen Relativitätstheorie. Einstein hat daran acht Jahre gearbeitet, 1915 wurde sie abgeschlossen, und als er 1914 nach Berlin kam, hatte er natürlich gehofft, dass seine Kollegen sich an der Lösung dieses Problems beteiligen. Aber er nur auf äußersten Widerstand gestoßen. Die haben das nur für ein abgelegenes philosophisches Problem gehalten und eigentlich gedacht, er würde sich sozusagen anwendungsnäheren Problemen zuwenden, wie sie damals auch in der Quantentheorie aufgeworfen sind. Aber Einstein war stur, er war ein Querdenker, ist bei seinen philosophischen Überlegungen geblieben und er hat dieses Problem dann gelöst. Eigentlich hat erst diese Sonnenfinsternisexpedition vom Sommer 1919, die ihn von einem Tag zum anderen weltberühmt gemacht hat, die Ablenkung des Lichts im Schwerefeld der Sonne bestätigt und erst dadurch wurde diese Theorie allgemein akzeptiert.

    Blumenthal: Einstein und Gott war gestern Thema auf der Konferenz. Was ist das Ergebnis?

    Renn: Es ging darum, dass man die verschiedenen Facetten des Einstein-Bildes zusammenzufügen versucht, die sind ja eigentlich sehr widersprüchlich. Einstein ist ein sehr bescheidener Mensch gewesen, aber wie aus seinen vielfältigen Aussprüchen, so von der Art, "Gott würfelt nicht", bekannt ist, vermittelt er auch den Eindruck, als stünde er in einem direkten Dialog mit Gott. Einstein war durch einen ungeheuren Erkenntnisoptimismus ausgezeichnet, er war nicht nur von Neugierde getrieben, sondern er war auch von der Hoffnung geleitet, dass man die Probleme, die es da zu lösen gab, auch wirklich lösen konnte. Und Jehuda Elkana hat einen Vortrag über dieses Thema gehalten, hat uns alle noch einmal ermuntert, Einstein nicht völlig aufzulösen, sondern in dieser widersprüchlich auch ein Stück weit bestehen zulassen.