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Stipendien für mehr Chancengleichheit beim Studium

Die Hans-Böckler-Stiftung hat angekündigt, ihre Studienförderung deutlich auszuweiten. Man wolle insbesondere jungen Menschen aus bildungsfernen Familien die Chance zu einem Studium geben, erklärt Wolfgang Jäger, Geschäftsführer der Stiftung. Auch begabte junge Leute würden wegen der Studiengebühren vielfach darauf verzichten, ein Studium zu beginnen.

Moderation: Lothar Guckeisen |
    Lothar Guckeisen: Eine wichtige Adresse für Menschen, die auf der Suche nach einem Stipendium sind, ist ganz sicher die Hans-Böckler-Stiftung, zumal dieses Begabtenförderungswerk heute angekündigt hat, dass die Studienförderung kräftig ausgeweitet wird. Dabei steht auch der soziale Aspekt im Vordergrund. Wolfgang Jäger, Geschäftsführer der Hans-Böckler-Stiftung, in welcher Weise wollen Sie denn Ihr Angebot erweitern?

    Wolfgang Jäger: Wir wollen jungen Menschen aus bildungsfernen Familien eine Chance geben, studieren zu können. Wir bieten dieses Stipendium jungen Menschen an, die jetzt vor dem Abitur stehen und die einen Anspruch hätten, einen vollen Anspruch auf eine BAföG-Förderung. Wir wissen aber, dass es viele junge Menschen gibt, gerade aus bildungsfernen Familien, die zögern, ein Studium aufzunehmen, weil sie sagen, zum einen müssen wir die Studiengebühren auch noch bezahlen, und selbst wenn wir den vollen Satz BAföG bekommen, ist da doch ein großer Darlehensanteil dabei. Und sich zu verschulden für Bildung, das ist in solchen bildungsfernen Familien etwas nicht Gewöhnliches, und deshalb verzichten sie darauf zu studieren. Wir wollen Mut machen, jetzt dann doch zu studieren. Und deshalb haben wir vor einem Jahr die Aktion "Böckler-Aktion Bildung. Mut machen. Perspektiven schaffen" gestartet.

    Guckeisen: Und da haben Sie ja bereits eine erste Bewerbungs- und auch Vergaberunde hinter sich, und Sie haben da auch untersucht, welchen sozialen Hintergrund die Stipendiaten haben. Also wer hat denn von Ihnen jetzt den Zuschlag bekommen, was wissen Sie über die Leute?

    Jäger: Wir hatten eine erste Bewerbungsrunde mit Blick auf das Wintersemester 2007/2008 und waren erst mal überrascht, über 700 Bewerbungen zu bekommen. Wir haben dann in einem aufwändigen Auswahlverfahren zum Schluss dann 201 Stipendiatinnen und Stipendiaten aufgenommen in unsere Förderung, die unseren Kriterien entsprechen. Und unsere sozialstatistische Erhebung hat da sehr interessante Befunde zutage gebracht. Zum einen, wir haben einen sehr hohen Anteil von neuen Stipendiatinnen und Stipendiaten mit Migrationshintergrund. 45 Prozent der Neuaufgenommenen kommen aus Familien, die einen Migrationshintergrund haben, sind entweder selbst im Ausland geboren oder die Eltern wurden im Ausland geboren und können somit also als Familien bezeichnet werden, die einen Migrationshintergrund haben.

    Guckeisen: Vorhin haben wir im Beitrag gehört, dass bei Bildungsstiftungen in München Geld liegen bleibt, weil viele Förderberechtigte gar nicht wissen, dass es für sie möglicherweise Unterstützung gibt. Ist das ein Einzelfall oder würden Sie sagen, das ist doch ein verbreitetes Phänomen, dass gerade die, die es am nötigsten bräuchten, gar nicht wissen, dass sie auch Hilfe bekommen können?

    Jäger: Es ist in der Tat so, dass viele junge Menschen, die davor stehen, nun zu studieren, oder überlegen, ob sie studieren sollen, überhaupt nicht in Erwägung ziehen, dass die Begabtenförderung in Deutschland auch ihnen eine Chance bieten kann. Denn bislang haben die Begabtenförderungswerke erst Aufnahmen gemacht, wenn man schon im Studium war. Jetzt richten wir uns aber direkt an diejenigen, die also davor stehen, noch mit dem Studium zu beginnen. Und deshalb wünschen wir uns sehr, dass dieses Angebot, eben dieses spezielle Angebot für junge Menschen aus bildungsfernen Familien, die es bis zum Abitur geschafft haben, dass dieses Angebot bekannt wird.

    Guckeisen: Wir haben es vorhin schon mal angesprochen, die Studiengebühren. Spüren Sie denn diesen Effekt, also dass gerade jetzt mit Einführung der Studiengebühren bei Ihnen auch die Bewerberzahlen nach oben schnellen?

    Jäger: Wir können keinen direkten Zusammenhang bei den Bewerberzahlen jetzt feststellen, weil wir ja die Aktion erst vor Kurzem gestartet haben, diese zusätzliche Aktion "Böckler-Aktion Bildung". Aber wir haben auch bei den Befragungen unserer neuen Stipendiatinnen und Stipendiaten immer wieder das Argument gehört, Studiengebühren sind eine zusätzliche finanzielle Last, die man wohl über Bildungskredite dann auffangen könnte, aber die Bereitschaft eben, sich für ein Studium zu verschulden, diese Bereitschaft, wie man sie durchaus in den USA kennt, die gibt es bei uns in Deutschland nicht. Und deshalb verzichten viele junge Menschen, die eigentlich dazu doch befähigt sind, ein Studium zu ergreifen, weil sie keine Schulden machen wollen.

    Guckeisen: Bundespräsident Horst Köhler, der hat der Wochenzeitung "Die Zeit" ein Interview gegeben. Vorab ist es uns schon über Agenturen bekannt, da sagt er den Satz: "Mich bedrückt es, dass auch das Bildungssystem in Deutschland es jungen Menschen aus ärmeren Schichten schwer macht aufzusteigen", und dann, jetzt kommt's: Studiengebühren könnten nur erhoben werden, wenn es gleichzeitig ein wirksames Stipendiensystem gibt. Nun haben wir ja Studiengebühren, aber ich glaube, ein wirksames Stipendiensystem, da sind wir noch weit entfernt. Woran liegt das?

    Jäger: Es liegt zum einen daran, dass zurzeit über die elf Begabtenförderungswerke etwa 0,7 Prozent der Studierenden eine Förderung bekommen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das die Mittel dafür ausgeweitet hat, denkt jetzt an eine Förderquote von 1 Prozent. Aber das große Manko ist, dass die Erwartung von Ministerin Schavan, dass nun auch aus der Wirtschaft und großen Unternehmen auch Stipendien ausgelobt würden, das hat sich ja überhaupt nicht ergeben. Im Gegenteil, dadurch, dass man auch so lange gewartet hat, das BAföG anzupassen, ist die Ungleichheit beim Hochschulzugang und eben weniger Chancengleichheit heutzutage mehr Realität als früher.

    Guckeisen: Da gibt es also noch viel zu tun. In "Campus & Karriere" Dr. Wolfgang Jäger, Geschäftsführer bei der Hans-Böckler-Stiftung. Vielen Dank!

    Jäger: Danke Ihnen. Wiederhören!

    Links zum Thema

    Weitere Informationen zu Stipendien der Hans-Böckler-Siftung unter http://www.boeckler.de/stipendium

    Die Vodafone Stiftung und die Jacobs University haben ein Stipendienprogramm, das sich sich an junge Menschen mit Migrationshintergrund wendet. Infos unter www.vodafone-chancen.de

    Für Schülerstipendien für begabte Zuwanderer aus Baden-Württemberg haben sich die Robert Bosch Stiftung und die Landesstiftung Baden-Württemberg zusammengetan. Internet: www.talentimland.de