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Stipendien für wenige statt Investitionen für alle

Der Bildungsökonom Dieter Dohmen hat die vom Bundestag beschlossen BAföG-Anhebung als sinnvolle Investition begrüßt. Vom ebenfalls verabschiedeten nationalen Stipendienprogramm ginge aber keinerlei Anreiz aus, ein Studium aufzunehmen. Dieses Geld hätte man besser für zusätzliche Studienplätze verwendet.

Dieter Dohmen im Gespräch mit Elif Senel | 18.06.2010
    Elif Senel: Aber das Ganze, wir haben es gerade gehört, steht unter Vorbehalt, genauer gesagt unter Finanzierungsvorbehalt, denn die Länder müssen dem im Bundesrat ja noch zustimmen. Und die ringen gerade noch mit ihren Schuldenbergen und -bremsen. Dieter Dohmen ist Bildungsökonom und Leiter des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie, kurz FiBS, und ich habe ihn vor der Sendung gefragt, ob für ihn das nationale Stipendienprogramm unter diesen Voraussetzungen tatsächlich das überfällige Signal ist, was sich Bundesbildungsministerin Annette Schavan verspricht.

    Dieter Dohmen: Also sicherlich sind Stipendien für motivierte, engagierte Studierende gut, auf der anderen Seite kann man schon die Frage stellen, ob wir das Geld nicht lieber zur Verbesserung des Bildungssystems einsetzen, um mehr Studierende oder Schüler in Ganztagsschulen, in die Hochschulen zu bekommen. Darüber kann man sicherlich trefflich streiten.

    Senel: Ihr Institut, das FiBS, hat ja auch ganz konkrete Vorstellungen.

    Dohmen: Also es ist ja infrage gestellt, ob die Länder sich dem nationalen Stipendienprogramm überhaupt anschließen können aus Finanzierungsgründen. andere Bundesländer wie Hessen, Schleswig-Holstein, sagen ganz klar, wir müssen im Hochschulbereich kürzen. Gleichzeitig sagt der Bildungsbericht und schließt sich damit unserer Prognose an, dass wir mehr Studienanfänger in den kommenden Jahren haben werden. Insofern haben wir den Vorschlag unterbreitet, ob es nicht sinnvoller wäre, dieses Geld umzuwidmen in den Hochschulpakt und damit rund 65.000 zusätzliche Studienplätze zu schaffen. Das würde vielen Studienanfängern zugute kommen, die sonst möglicherweise auf der Straße stehen.

    Senel: Ist der Hochschulpakt nicht ausreichend ausgestattet?

    Dohmen: Nach allem, was wir bisher sagen können, nein. Der erste Hochschulpakt dürfte um 70- bis 80-, vielleicht sogar 90.000 Studienplätze unterfinanziert sein, weil die große Nachfragesteigerung im vergangenen Jahr nicht absehbar war. Zum anderen sagt im Moment die, sagen Bund und Länder, wir gehen von 275.000 aus, der Bildungsbericht gestern kommt in seiner unteren Variante zu 350.000. Und wir haben schon vor einem Dreivierteljahr gesagt, wir rechnen mit bis zu 450.000 Studienanfängern. Also insofern spricht sehr viel dafür, dass der Hochschulpakt nicht ausreichend finanziert ist, zumal er im Moment ja auch noch nicht abschließend vereinbart ist.

    Senel: Es geht bei diesen Maßnahmen ja darum, tatsächlich mehr Leute zum Studium zu bewegen, und dazu gehört auch diese Maßnahme, die heute im Bundestag beschlossen wurde, das BAföG zu erhöhen und natürlich auch den Freibetrag. 50- bis 60.000 Studierende sollen davon profitieren, ist das nicht auch eine richtige Richtung?

    Dohmen: Sicherlich ist das BAföG eine sinnvolle Investition, weil wir damit Kinder aus einkommensschwachen Familien erreichen und denen das Studium ermöglichen oder zumindest deren Finanzierung erreichen. Insofern ist die Erhöhung des BAföG um zwei bis drei Prozent sicherlich angezeigt und ein Weg in die richtige Richtung. Vielleicht ein Satz noch im Kontext mehr Studierende an die Hochschulen: Das wird das nationale Stipendienprogramm mit ziemlicher Sicherheit nicht erreichen, weil ich im Vorfeld als Studienberechtigter überhaupt nicht weiß, kriege ich das Stipendium oder kriege ich es nicht. Also insofern geht davon in meinen Augen überhaupt kein Anreiz aus, ein Studium aufzunehmen.

    Senel: Schauen wir noch mal auf die Länder selber, es ist noch alles nicht unter Dach und Fach, Finanzierungsvorbehalte, darüber haben wir gerade gesprochen. Ist das nicht aber auch nachvollziehbar, dass die Länder hier gelinde gesagt etwas zurückhaltend sind?

    Dohmen: Also dass die Länder schwierige Situationen vorfinden, ist unbestreitbar richtig. Es ist auch nachvollziehbar, dass sie bei den Bildungsausgaben kürzen müssen, wenn die Einnahmen nicht reichen, da das der größte Ausgabenposten in den Länderhaushalten ist. Es wirft aber gleichzeitig ein Problem darauf, auf die Folgen der Föderalismusreform. Wir haben im Prinzip dem Bund verboten, sich im Bildungsbereich finanziell zu engagieren, also in den Kernbereichen des Bildungssystems, und gleichzeitig sind Bund und Sozialversicherungen die größten Nutznießer von qualitativ hochwertiger Bildung, von erfolgreichen Bildungsabsolventen. Und insofern müsste der Bund eigentlich viel stärker in die Finanzierung des eigentlichen Bildungssystems involviert werden und sich nicht permanent damit beschäftigen müssen: Okay, welche Krücke können wir denn gehen, damit wir im Bildungssystem überhaupt etwas tun können, siehe als Beispiel nationales Stipendienprogramm und, und, und.

    Insofern ist mein Plädoyer, dass wir endlich darüber nachdenken sollten, die Föderalismusreform in der vorliegenden Form rückgängig zu machen, um zu einem Zusammenwirken und Zusammenarbeiten von Bund und Ländern zu kommen. Ein Gedanke in diese Richtung könnte sein, dass der Bund sagt: Okay, wir geben eine bestimmte Menge Geld für das Bildungssystem aus beziehungsweise wir stellen eine bestimmte Menge Geld für das Bildungssystem bereit und verhandeln dann mit den Ländern, wie dieses Geld sinnvoll in den Ländern eingesetzt werden kann. Und vielleicht geben die Länder dann auch noch ein Viertel des Gesamtbetrages hinzu.

    Senel: Abschließend noch mal: Wenn Sie sich diese ganzen Diskussionen gerade ums Geld genau anschauen und den Bildungsbericht, der gestern in Berlin veröffentlicht wurde, wie wird Ihnen da als Bildungsökonom zumute?

    Dohmen: Also der Bildungsbericht wirft auf der einen Seite positives Licht auf Verbesserungen, er zeigt aber gleichzeitig auch, dass es in vielen Bereichen nicht ausreicht. Jeder sechste Jugendliche beginnt sein Erwerbsleben ohne abgeschlossene Berufsausbildung, das ist eine katastrophale Botschaft für junge Menschen, gerade in Zeiten des zu erwartenden demografischen Wandels. Mein Wunsch wäre, dass wir tatsächlich zu Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern kommen, die das gesamte Bildungssystem auf Vordermann bringen. Und eigentlich brauchen wir einen Masterplan für lebenslanges Lernen, von der Kita bis zur Weiterbildung, der natürlich aber dann auch finanziert werden muss und der sicherlich etliche zehn Milliarden pro Jahr kostet.

    Senel: Dieter Dohmen, herzlichen Dank! Bildungsökonom und Leiter des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie in Berlin. Herzlichen Dank!

    Dohmen: Ich danke Ihnen!