Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Stirb zweimal

Der global operierende Philosophie-Entertainer, wie sich Slavoj Zizek mittlerweile ohne lauten Protest nennen lässt, hat wieder zugeschlagen. Diesmal geht es um die Oper. Genauer um den "Zweiten Tod der Oper". Eigentlich um Wagner. Aber natürlich, wie immer bei Zizek, dreht sich seine Studie um Lacan und die Psychoanalyse, deren Geburtsaugenblick am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, so die Eingangsthese, der Todesaugenblick der Oper war. Mit dieser kühnen Behauptung wird der Leser erst einmal allein gelassen. Denn Zizek interessiert sich schon wieder für etwas anderes. Für Marx und Homer und Wagners Antisemitismus. Zu Beginn hofft man vielleicht noch, dass Zizeks Buch als solches ein Beweis der Eingangsthese ist. Doch bald schon dämmert dem Leser, dass ihm keine stringenten Argumentationen geliefert werden.

Matthias Eckoldt | 24.03.2004
    Klar aber wird, dass hier jemand mit einer solchen Intensität über die Oper spricht, die vielleicht nur noch von einer gelungenen Aufführung zu übertreffen ist. Faszinierend. Man nimmt dem Autor seine Liebe zur Oper ab.

    Die Oper war nie mit ihrer Zeit im Einklang. Von Anfang an wurde sie als etwas "Überholtes", als rückschrittliche Lösung einer bestimmten, der Musik innewohnenden Krise und als "unreine" Kunst angesehen. Hegelisch gesagt, ist die Oper als Begriff selbst bereits veraltet. Wie kann man sie dann nicht lieben?

    Ein totgeborenes Kind stirbt im Geburtsaugenblick der Psychoanalyse. Wir haben mitgerechnet: Der zweite Tod der Oper ist Titel gebend für Zizeks Essay. Doch mit dem zweifachen Tod der Oper scheint es sich ähnlich zu verhalten wie mit der Geschichte, die seit dem viel beschworenen Ende der Geschichte gar nicht mehr zu enden aufhört. Es ist ein wenig befremdlich, dass Zizek vom Tod der Oper spricht und damit den Slang der französischen Postmoderne der siebziger und achtziger Jahre, die zu gern vom Tod des Autors und der Literatur redeten, mit ins neue Jahrtausend hinein nimmt. Allerdings tragen ihn seine Assoziationen rasch fort, und er unterscheidet fortan zwei Tode: Den biologischen Tod und den "zweiten Tod", den das Subjekt in Frieden stirbt, wenn alle Rechnungen beglichen sind und keine Schuld mehr auf ihm lastet. Von dieser Fallhöhe aus steigt Zizek in die Wagner-Exegese ein. Der fliegende Holländer, Tristan, Wotan, Amfortas, sie alle haben eines gemeinsam: Sie suchen nach den Bedingungen für den Tod des Subjekts, damit der biologische Tod eintreten kann. So erwartet Tristan Isoldes Ankunft, und stirbt erst, als sie endlich bei ihm ist. Ähnlich im "Parsifal": Der Gralskönig Amfortas sehnt die Erlösung herbei, die ihm nur Parsifal mit seinem heiligen Speer bringen kann. Als er ihn schließlich damit berührt, schließt sich seine Wunde, und Amfortas stirbt. Der zweite Tod, der des Subjekts, verkörpert bei Wagner die Möglichkeit, aus dem ewigen Kreislauf von Schuld und Schmerz auszusteigen. Nun aber dreht der Lacan-Schüler Zizek die Interpretations-Schraube noch eine Windung fester, wenn er schreibt:

    Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft umfasst immer das Paradox, dass dem Subjekt anbefohlen wird, das, was ihm auferlegt wurde, in freien Stücken als Ergebnis seiner Wahl sich zu eigen zu machen.

    Wir müssen unsere Eltern lieben. Wir müssen unser Vaterland und unsere Sprache lieben, wünschen aber genau diese Befehle in der Maske einer freien Wahl. Das Subjekt, und das ist reinster Zizek’scher Lacan, will über das Faktum seiner Machtlosigkeit hinweggetäuscht werden. Die Kultur gibt die Möglichkeit, das frei zu wählen, was ohnehin unvermeidlich ist. Genau diese Ebene der Wagnerschen Figurenführung legt Zizek frei: Im "Ring des Nibelungen" treten die Götter ab, als das Gold dem Rhein zurückgegeben ist. Erst wenn sie gleichsam aus freien Stücken wählen, was unvermeidlich ist, kann das Subjekt aus dem Schuldkreislauf aussteigen und der anständige Tod gestorben werden.

    Zizeks Essay Der zweite Tod der Oper lebt von dem, was man ihm vorwerfen könnte. Ein sprunghaft nervöser Text. Die Abweichung erweist sich einmal mehr als Zizeks Programm und Methode in einem. Thesen werden geboren, Konstellationen geprüft, Assoziationen freigelassen. Und alles wird beiseite geschoben, sobald ein neuer Aspekt auftaucht. Belehrung sollte man sich von Zizek`s Buch nicht erwarten, Inspiration liefert es reichlich.
    Slavoj Zizek:
    Der zweite Tod der Oper
    Kadmos, 186 S. EUR 16,90