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Stockhausen statt Stockschläge

Seit drei Jahren werden der Hamburger Hauptbahnhof sowie seine dazugehörigen U-Bahnhöfe mit klassischer Musik berieselt. Nicht etwa, um den Fahrgästen die Wartezeit zu verschönern, sondern, um Drogenabhängige und Obdachlose zu vergraulen. Ob die Bahnbetreiber wirklich glauben, die Macht der Musik sei größer als Entzugserscheinungen, bleibt dahingestellt als flankierende PR-Maßnahme im Kampf gegen unerwünschte Personen auf dem Bahnhofsgelände war die Maßnahme wirkungsvoll. Noch heute impft das "Hamburger Abendblatt" seinen Lesern beharrlich ein, klassische Musik vertreibe Junkies und Penner. Wie das genau funktionieren soll, weiß selbstverständlich niemand. Kommt es zu einer chemischen Reaktion, wenn Mozart und Heroin im menschlichen Körper zusammentreffen? Löst Vivaldi genau dann einen Fluchtreflex aus, wenn man kein Dach über dem Kopf hat? Davon war bislang nichts zu hören.

Carola Rönneburg |
    Außerordentlich schweigsam reagierte aber auch die Musikindustrie, was sehr verwundert: Immerhin manifestiert sich mittels der Hamburger Abschreckungsstrategie nicht nur die Idee, in einem hässlichen Leben sei kein Platz für Schönheit, sondern auch die schlichte Botschaft, Klassik sei ein kulturelles Reinigungsmittel Meister Proper gegen Parias. Das können die Konzerne unmöglich gutheißen, klagen sie doch schon lange über dramatisch sinkende Umsätze im klassischen Musikbereich. "Eine ganze Generation muss wieder an klassische Musik herangeführt werden", mahnte Christian Kellersmann, Generalmanager von Universal Classics, kurz nach seinem Amtsantritt, "die jetzige, junge Elterngeneration ist schon kaum mehr mit klassischer Musik groß geworden." Der "Nachwuchs" bliebe aus.

    Um sich das jugendliche Käuferpotenzial zu erschließen, lassen Plattenfirmen nichts unversucht: Halb bekleidete, langbeinige Damen schmücken nun die Hüllen von Klassik-CDs, beziehungsweise knallgelbe Holzkonstruktionen vor deutschem Wald. "Yellow Lounge" nennt Universal Classics jenes Programm, in dessen Rahmen unter anderem DJs klassische Musik in Clubs auflegen, auf dass der junge Mensch von heute auch zuhause eine "Yellow-Lounge"-Compilation auflegt und nachempfindet, wozu ihn der Beipackzettel anweist: "Am besten, Sie setzen sich jetzt auf ein Sofa. Zeit für ein Lieblingsgetränk: Kaffee mit Milch, Club-Mate-Brause, Tonic mit Gin", heißt es da. "Draußen, gedämpft durch die dreifachen Fenster, eine Polizeisirene, doch das blitzende Blau schafft es nicht bis zu Ihnen nach oben. Das unaufdringlich zärtliche Adagio aus Beethovens fünftem Klavierkonzert wird zum Violinkonzert. Fast unmerklich sind die Übergänge. Komponistenmorphing: Beethoven mit Glass verbinden, Glass mit Dvorák verbinden, Dvorák mit Schubert verbinden."

    Eine Goldene Schallplatte gab es für "Yellow Lounge" noch nicht, immerhin aber Lob von Amazon-Kunden: "Sensationell gemachte" und "softe" Übergänge" attestieren sie dem Produkt.

    Es liegt noch ein langer, schwerer Weg vor den Klassikverkäufern. Allerdings blieben sie erneut stumm, als sie einen weiteren Imageschaden verzeichnen mussten: Auf der Isle of Wight vor England tourt seit einigen Tagen ein spezieller Schulbus über die Straßen. Im "Pink Peril" dem "Rosa Risiko" -- sitzen Kinder, die sich beim regulären Transport in die Schule schlecht benommen haben. Ausgestattet mit leuchtfarbenen Fahrscheinen, müssen sie nun ein uraltes, rosa lackiertes Gefährt ohne Heizung, aber mit Videoüberwachung besteigen. Die Rückfahrt von der Schule dauert länger als gewöhnlich und wird um je fünf Minuten aufgestockt, sobald es an Bord zu ungebührlichem Betragen kommt, aber das ist noch nicht alles: Sollte der Erlass keine Wirkung zeigen, drohen die örtlichen Behörden mit strafverschärfenden Maßnahmen dann wird im Bus klassische Musik gespielt.

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