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Stockhausens Mutter und die Tötungsanstalt Hadamar

In Hadamar bei Limburg nutzten die Nazis ab 1941 eine alte psychiatrische Anstalt zur systematischen Ermordung psychisch Kranker und Behinderter. Unter den Opfern war auch Gertrud Stockhausen, die Mutter des Komponisten Karl-Heinz Stockhausen. Eine junge Forscherin hat nun neue Details über deren Leidensgeschichte vorgelegt.

Von Ludger Fittkau | 01.09.2013
    Der Trompeter Markus Stockhausen, Sohn des Komponisten Karlheinz Stockhausen, live in Hadamar. Er spielte anlässlich des dreißigjährigen Bestehens der NS-Euthanasie-Gedenkstätte im Westerwald. Rund 15.000 chronisch psychisch Kranke und Behinderte wurden hier 1941 in einer Gaskammer im Keller des Gebäudes einer psychiatrischen Anstalt ermordet - später starben sie vor allem durch Giftinjektionen. Eines der Euthanasieopfer von Hadamar war Gertrud Stockhausen, Mutter des weltbekannten Komponisten.

    Als noch nicht schulpflichtiges Kind wird Stockhausen Zeuge, wie seine psychisch kranke Mutter Ende 1932 in die Provinzial- Heil -und Pflegeanstalt Galkhausen bei Langenfeld im Rheinland eingeliefert wird. Die genauen Umstände beschreibt in einer umfangreichen neuen Forschungsarbeit die junge Geschichtsforscherin Lisa Quernes aus Montabaur. Sie belegt auch, dass Simon Stockhausen, der Ehemann der Erkrankten, sich von ihr scheiden ließ, in die NSDAP eintrat und Gertrud Stockhausen zu Beginn der Naziherrschaft in der Anstalt weitgehend ihrem Schicksal überließ. Ein NSDAP-Mitglied namens Müller bekam die Vormundschaft über Gertrud Stockhausen, erfuhr Lisa Quernes aus der Patientenakte:

    "Dadurch hat sich Simon Stockhausen, der Ehemann, komplett von ihr abgewendet.
    Das ist halt der Akt, das Gertrud Stockhausen allein gelassen wurde."

    In seinem Opernzyklus "Licht" verarbeitet Karl-Heinz-Stockhausen im Teilwerk "Donnerstag" bisher wenig beachtete Besuche bei seiner Mutter, die er als kleiner Junge in der Anstalt Galkhausen erlebte. Lisa Quernes setzt sich in ihrer Arbeit zu Gertrud Stockhausen mit der Oper auseinander. Ebenso auf der Gedenkfeier in Hadamar der Musiker Markus Stockhausen, der Anfang der 80er-Jahre bei der Uraufführung der Oper selbst mitwirkte:

    "Und da werden in kurzer Folge Szenen durchgespielt, die genau auch die Leidensgeschichte seiner Mutter, der Gertrud Stockhausen nachzeichneten."

    Aus der rheinischen Anstalt Galkhausen wird Gertrud Stockhausen schließlich am 27.Mai 1941 im Rahmen der Euthanasie-Aktion "T 4" der Nazis über die neue Autobahn in den Westerwald gefahren. Die Tötungsanstalt Hadamar verfügt 1941 über drei graue Busse, die zur Tarnung unter "Gekrat" firmieren – eine Abkürzung für "Gemeinnützige Kranken-Transport GmbH". Noch am Transporttag wird Gertrud Stockhausen mit 89 anderen Menschen in die Gaskammer getrieben.

    Als ihr Neffe Franz Knieven jetzt 30 Meter neben den Verbrennungsöfen von Hadamar steht und Lisa Quernes mit einem Blumenstrauß für ihre Forschungen zu seiner Tante dankt , kann er die Tränen nicht zurückhalten. Denn, so Franz Knieven, vieles von dem, was Lisa Quernes über Gertrud Stockhausen herausgefunden hat, habe er selbst nicht gewusst:

    "Ganz wenig. Sie hat es wirklich wieder ins Leben gerufen. Solche Leiden verdrängt man ja ganz gerne. Aber jetzt, mit ihrer Arbeit, wenn man es liest, ist es schon erschütternd."

    Der Literaturwissenschaftler Reinhard Papst hat die Forschungsarbeit von Lisa Quernes in den letzten Monaten intensiv begleitet. Papst, der selbst jahrelang einen Briefwechsel mit Karl-Heinz Stockhausen pflegte, sieht die Rolle der vom Landeswohlfahrtsverband Hessen getragenen Euthanasie-Gedenkstätte Hadamar in dieser Sache kritisch. Sie habe Lisa Quernes nicht in dem Maße bei ihren Datenrecherchen unterstützt, wie es die Sache erfordert hätte, so Reinhard Papst:

    "Was die Unterstützung der Arbeit von Lisa Quernes betrifft: Es muss einfach noch ein offensiverer, ein der Öffentlichkeit zugewandter Umgang gepflegt werden. Da ist Hadamar leiden ein bisschen im Hintertreffen, da könnten die längst schon ein bisschen mehr machen."

    Die Gedenkstätte Hadamar verspricht Besserung – auch durch einen Ausbau. Denn erfreulicherweise wächst das Interesse an der Aufarbeitung der NS-Euthanasie in den letzten Jahren deutlich. Bisher musste man immer wieder Besucher abweisen. Das soll in Zukunft nicht mehr geschehen.