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Stockholmer Konvention will giftige Chemikalien verbieten

Es gibt schädliche Chemikalien, die sich mit Wind und Wasser weltweit verteilen. Sie sind auch dort nachzuweisen, wo sie weder hergestellt noch eingesetzt wurden: etwa in der Arktis. Diese Woche treffen sich in Genf mehr als 150 Staaten, um auf der 4. Vertragsstaatenkonferenz der Stockholmer Konvention erneut Chemikalien zu verbieten.

Von Ralph Ahrens |
    Mehr als 150 Staaten wollen diese Woche in Genf die Welt von neun Schadstoffen befreien. So soll das Insektengift Lindan nirgendwo mehr benutzt werden. Und die Industrie soll weltweit auf häufig verwendete bromierte und flurorierte Chemikalien so weit wie möglich verzichten. Patricia Cameron von Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland hält das für überfällig.

    "Gerade die bromierten Flammschutzmittel und die fluorierten Chemikalien kommen in sehr vielen Verbraucherprodukten vor, also zum Beispiel Elektronikartikeln, Matratzen, Textilien. Und sie entweichen aus diesen Stoffen, sie bleiben dort nicht drin und werden weltweit in Blut und Muttermilch von Tier und Mensch gefunden."

    Bei diesen Chemikalien handelt es sich um "POPs". Diese "persistent organic pollutants" sind langlebig, reichern sich in Mensch und Tier an – und sind giftig.

    "Sie verursachen chronische Schäden, Langzeitschäden und auch Schäden für die nächste Generation, was natürlich ein besonderes Problem ist. Zum Beispiel die bromierten Flammschutzmittel werden in Verbindung gebracht mit Verhaltensstörungen – was über eine Beeinflussung der Gehirnfunktion und der Nerven durch diese Chemikalien geschieht. Bei den Fluorverbindungen ist dies die Fortpflanzungsfähigkeit und sie verursachen eben auch Krebs."

    Auch wenn sich die mehr als 150 Staaten auf der Vertragsstaatenkonferenz zur Stockholmer Konvention darauf einigen, die neun neuen Substanzen als POPs zu ächten, bedeutet das nicht automatisch, dass sie sofort vom Markt verschwinden. Die Stockholmer Konvention erlaubt Ausnahmen vom Totalverbot. Reiner Arndt vom Bundesumweltministerium:

    "Eine POPs, eine solche Chemikalie ist oft auch eine wirksame Chemikalie in ihrem Einsatzbereich. Zum Beispiel wird Lindan nicht nur in der Landwirtschaft eingesetzt, sondern auch zur Bekämpfung der Erreger der Krätze und zur Bekämpfung von Kopfläusen."
    So werden einige Länder auf Lindan zu medizinischen Zwecken nicht verzichten wollen, glaubt Reiner Arndt.

    "Daher müssen wir darüber diskutieren, ob wir zeitlich begrenzte Ausnahmen für solche Verwendungen zulassen. Wichtig ist aber, dass die Hauptanwendungsgebiete verboten werden und ich bin davon überzeugt, dass von den neun POPs sechs oder sieben total verboten werden können und dass bei zwei oder drei über Ausnahmen diskutiert werden muss."

    ... wie etwa bei der Perfluoroktansulfonsäure, kurz PFOS. Es ist die einzige der Substanzen, über die in Genf beraten wird, die in Deutschland produziert wird. Die Leverkusener Chemiefirma Lanxess stellt sie her. Galvanikbetriebe setzen sie ein, um ihre Beschäftigten gegen giftige Chromatdämpfe zu schützen, erklärt Bernd Kaletta von der Lanxess.

    "Ja, es wird eingesetzt als Entschleierungsmittel. Das heißt, beim Galvanikprozess bei der Verchromung von Oberflächen entstehen ohne PFOS Nebel, also Aerosole, die Chrom-VI enthalten. Chrom VI ist kanzerogen. Das heißt, alle Mitarbeiter, die in diesen Bereichen arbeiten, werden hochgradig gefährdet. Und das PFOS verhindert eben das Auftreten dieser Nebel – und zwar vollständig."

    Für diese Anwendung fehlt eine chemische Alternative. Deutschland will diese Ausnahme daher erhalten. PFOS soll mangels Alternative auch beim Ätzen sehr dünner Halbleiterplatten weiter eingesetzt werden dürfen. Diese Ausnahmen sollen unbegrenzt gelten, erklärt Reiner Arndt vom Bundesumweltministerium. Das heißt aber unter der Stockholmer Konvention, dass sie alle drei Jahre überprüft werden.

    "Die zeitlich unbegrenzte Ausnahme mit Überprüfungsvorbehalt wird dazu führen, dass Alternativen entwickelt werden."

    Solche eine unbegrenzte Ausnahme gibt es bereits innerhalb: Die Konvention hat das Insektengift DDT zwar geächtet, einige Länder dürfen es aber gegen Moskitos, die Malariaerreger übertragen, einsetzen. Doch der Druck, Alternativen zu entwickeln, steigt: Die mehr als 150 Staaten beraten darüber, wie bis 2020 vollständig auf DDT verzichtet werden kann – ohne dass ein einziger Mensch an Malaria sterben muss.