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Störfall fünf Monate lang geheim gehalten

In Spanien sind zur Zeit acht Atomkraftwerke am Netz, doch die Regierung Zapatero will den langsamen Ausstieg aus der Kernenergie. Ein Grund sind auch die Gefahren, die durch Störfälle entstehen: Nun hat es in Ascó in der Nähe von Tarragona einen solchen gegeben, aber der Betreiber informierte weder die Bevölkerung noch die Europäische Union. Von Hans-Günter Kellner.

24.06.2008
    Es ist einer der schlimmsten Störfälle in einem spanischen Kraftwerk, behauptet Greenpeace. Keine Gefahr für die Bevölkerung, beschwichtigt hingegen die Atomaufsicht. Sicher ist: Ende November trat im Atomkraftwerk Ascó Radioaktivität aus - und die Bevölkerung wurde zunächst nicht informiert. Bekannt wurde der Störfall, als ein Beschäftigter der Anlage bei Greenpeace anrief. Sara Pizzinato, Energieexpertin der Umweltschutzorganisation, sagt:

    " Beim Wechsel ausgebrannter Brennelemente sind in einer Röhre kleinste radioaktiv verunreinigte Teilchen und Kühlwasser zurückgeblieben. Das wird normalerweise abgesaugt und entsorgt. Doch die Arbeiter haben das Material einfach zurück ins Kühlbecken gekippt. Dort wurde es von einem Lüftungssystem aufgesaugt. Sie bemerkten das Versehen und versuchten, die Filter zu reinigen. Aber sie stellten die Lüfter dabei nicht ab. Sonst hätte der ganze Betrieb des Kraftwerks unterbrochen werden müssen. Außerdem haben sie die Messgeräte im Lüftungssystem manipuliert. "

    So schlugen die Sensoren nicht Alarm und Ventilatoren bliesen radioaktive Partikel ins Freie. Erst am 4. April, also fünf Monate später, informierte die Aufsichtsbehörde davon. Doch bis dahin haben noch Besuchergruppen, vor allem Schulklassen, das Kraftwerk besucht. Sara Pizzinato zur Arbeit der Atomaufsicht:

    " Entweder haben sie davon wirklich nichts mitbekommen. In diesem Fall stellt sich die Frage, was die in jedem Kraftwerk tätigen Vertreter der Aufsichtsbehörde eigentlich machen. Oder der Betreiber hat den Störfall aktiv vertuscht, damit er die Anlage nicht abschalten muss. Jetzt ist sie zwar tatsächlich vom Netz. Aber das hätte man schon im November machen müssen. Außerdem werden dort bis heute Lastwagen und Züge, die aus dem Kraftwerk herausfahren, nicht auf Radioaktivität überprüft. Die dafür vorgesehenen Anlagen gibt es zwar. Sie stehen aber bis heute verpackt im Lager."

    Seither sind wiederholt kleinste radioaktiv kontaminierte Metallteilchen - vor allem Kobalt 60 - in der Umgebung des Kraftwerks gefunden worden. 2.200 Personen seien bereits untersucht worden, ohne dass bei ihnen Radioaktivität festgestellt worden sei, erklärt die Aufsichtsbehörde. Die Partikel seien schwer, fielen zu Boden, so die Argumentation. Auch daran zweifelt Greenpeace:

    " Das sind ganz unterschiedliche Partikel. Da gibt es welche, die weit weg geweht werden, die sich mit anderen Partikeln in der Luft verbinden könnten. Sie könnten sich in Lungen festsetzen oder den gesamten Verdauungstrakt durchlaufen. Dort würden sie nach mehreren Tagen wieder ausgeschieden. Da ist es viel zu spät, die Leute fünf Monate später zu untersuchen. Außerdem werden bei diesen Tests die gleichen Grenzwerte verwendet wie für die Arbeiter des Kraftwerks. Dabei liegen die Werte für Besucher deutlich unter den zulässigen Höchstwerten für die Beschäftigten. "

    Der "Oberste Nukleare Rat" - so der offizielle Name der Atomaufsicht - hält sich gegenüber den Medien zurück. Interviewanfragen bleiben unbeantwortet, die Pressestelle verweist auf die Mitteilungen auf der Internetseite. Eine Anhörung der Vorsitzenden der Behörde, Carmen Martínez Ten, im Industrieausschuss des spanischen Parlaments fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dabei wollen die Kraftwerksbetreiber auch in Spanien die Laufzeiten ihrer acht gegenwärtigen Atomkraftwerke verlängern. Doch die Kernenergie ist bei den Spaniern die unbeliebteste aller Energiequellen. Greenpeace-Expertin Sara Pizzinato meint:

    " Die Atomaufsicht arbeitet nicht transparent. Sie tagt hinter verschlossenen Türen und gibt bis heute nicht bekannt, wie viel Radioaktivität nun freigesetzt worden ist. Sie sollte stärker an den Schutz den Bevölkerung denken, als an den Schutz der Kraftwerksbetreiber. Statt dessen spielt sie die möglichen Auswirkungen herunter. Und sie antwortet auch nicht auf unsere Frage, ob solche Vorfälle schon früher vorgekommen sind. "