Dienstag, 07. Mai 2024

Archiv


Störschall gegen Nutzschall

Akustik. - Es ist eines der schwierigsten Probleme in der Hörgeräteakustik: Wie lässt sich der Nutzschall, ein Gespräch etwa, vom lästigen Umgebungsschall trennen? Vor allem, wenn es eng und laut ist, haben die bisherigen Methoden Schwierigkeiten: Im akustischen Schallbrei eines Autos etwa wissen Hörgeräte nur sehr selten, was wichtig ist und was nicht. Ein Hörgerät mit speziellen Hochleistungsprozessoren soll das Problem nun weitgehend lösen. Zu sehen ist die Entwicklung auf dem 52. Internationalen Hörgeräteakustiker-Kongress in Nürnberg.

Von Mirko Smiljanic | 17.10.2007
    Man muss nicht schwerhörig sein, um die Probleme Schwerhöriger im Auto zu verstehen: Von außen dringen Fahrgeräusche in die Fahrgastzelle, der Motor macht Lärm, das Radio plärrt, der Beifahrer möchte etwas wissen, das Navigationssystem erklärt den Weg, während das Handy klingelt und das Martinshorn der Feuerwehr Gefahr signalisiert. Eindeutig zu viel Schall, vor allem für Schwerhörige, die - und das ist der entscheidende Unterschied zu fast allen anderen Hörsituationen - nach vorne in den fließenden Verkehr schauen müssen. Einzige Chance - sagt Wolfgang Bennedik, Geschäftsführer der Phonak GmbH in Fellbach - das Hörgerät muss auf die jeweilige Hörsituation angepasst werden:

    " Das heißt, Sie schauen nach geradeaus, und Sie schalten das Hörgerät nach rechts oder wenn Sie Beifahrer sind nach links zum Fahrer, wenn Sie Kinder auf dem Rücksitz haben, können Sie die Richtkeule des Mikrophons nach hinten ausrichten, sodass sie alles klar hören und die anderen Geräusche entsprechend abgesenkt werden, also die typischen Fahrgeräusche. "

    Herzstück ist der CORE-Chip - CORE steht für Communication Optimized Real-audio Engine. Er besteht aus sechs Hochleistungsprozessoren mit acht Millionen Transistoren, die pro Sekunde 120 Millionen Transaktionen ausführen. Genug, um die besonderen akustischen Probleme im Auto zu meistern - sagt Birgit Ramin, Audiologin bei der Phonak GmbH:

    " Es handelt sich hier um ein Vier-Mikrophon-Netzwerk, zwei Mikrophone auf der linken Seite, zwei auf der rechten Seite, und hier wird wieder über intelligente Algorithmen, die über den CORE-Chip abgerufen werden können, und drahtlose Übertragung, wir nutzen hier also auch drahtlose Audiodaten-Übertragung von einem Ohr auf das andere, und damit werden die unterschiedlichen Cardioid-Charakteristiken erzeugt. "

    Also die Richtcharakteristik der vier Minimikrophone. Damit gleichzeitig ein echter stereophoner Eindruck entsteht, sind aber noch weitere Techniken notwendig: Auf der dem Sprecher abgewandten Kopfseite wird etwa der Pegel minimal heruntergeregelt. Nur so kann der Hörgerätenutzer die Richtung des Schalls bestimmen kann. Nun müssen aber nicht nur die Stimmen der Beifahrer gezielt verstärkt werden, vom Radio über das Navigationssystem bis hin zum Handy - viele Geräte liefern gesprochene Information. Die Lösung heißt iCom, eine digitale Relaisstation, die der Fahrer sich um den Hals hängt. Über sie ist das Hörgerät direkt mit dem Radio oder dem Telefon verlinkt. Birgit Ramin:

    " Also, in dem Moment, wo das Handy klingelt, nimmt es mit dem iCom eine Funkverbindung auf, das ist noch Bluetooth-Strecke, dann wird induktiv zu dem Hörgerät Kontakt aufgenommen, es wird vollautomatisch ein Telefonprogramm aufgerufen und es klingelt in beiden Hörgeräten, und derjenige kann dann entscheiden, nehme ich das Gespräch an, per Tastendruck auf das iCom und ich kann es auch ablehnen, dann drücke ich einfach zwei Mal drauf. "

    Selbstreden wird das Handy für das jeweilige iCom codiert, sonst ließe sich ja jedes beliebige Mobiltelefon anzapfen. Die Datenübertragungsrate beträgt 300 kbit pro Sekunde, womit auch der Transport von Stereosound etwa aus MP3-Playern möglich ist. Müssen, was sicher häufig vorkommt, die Audiosignale mehrerer konkurrierende Quellen aufs Hörgerät gelegt werden, bestimmt der Nutzer die Reihenfolge, erklärt Ramin:

    " Ich denke, in unserer heutigen Zeit ist das Telefonieren mit Vorrang zu betrachten. Man hört weiter die Musik, merkt, dass jemand etwas von einem möchte, dann habe ich die Entscheidungskraft zu sagen, ich nehme es an, dann fährt automatisch der MP3-Player zurück, das Telefon ist im Vordergrund, und wenn ich es nicht hören möchte, drücke ich zwei Mal drauf und kann weiter meinen Musikgenuss verfolgen. "

    Acht Geräte kann iCom steuern. Radio und Fernsehgeräte, Navigationssysteme und Notebooks, Stereoanlagen und Telefone - alles ist möglich. Die Relaisstation lässt sich übrigens auch in anderen Umgebungen einsetzen: Einzige Voraussetzung: iCom muss die Signale der Audioquellen verarbeiten können. Mit dieser Technik ist übrigens erstmals gelungen, wovon Audiologen seit langem träumen: Auch Normalhörende könnten sie sinnvoll nutzen. Wolfgang Bennedik:

    " Unsere Hörgeräte sind so klein, dass die Hörgeräte mittlerweile attraktiver aussehen als die meisten Freisprecheinrichtungen, die zurzeit auf dem Markt kursieren. "