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Stöße gegen Stöße

Technologie.- Schwingungsdämpfer werden in Waschmaschinen, Windkraftanlagen, großen Bohrmaschinen oder auch Eisenbahnbrücken verbaut. Meist stecken hinter solchen Dämpfern sehr komplizierte Systeme. Doch es geht auch anders. Daran arbeiten Forscher der Uni Erlangen in der Schwerelosigkeit.

Von Martina Preiner | 10.10.2011
    "Bevor die Parabel losgeht, ist halt Vorbereitungsphase. Da muss man sein Experiment einstellen, alle eben bereit machen für die Schwerelosigkeit. Der Pilot sagt immer durch, wie lange es noch dauert bis es eben losgeht..."

    Der Physiker Jonathan Kollmer und seine beiden Kollegen Achim Sack und Michael Heckel blicken amüsiert auf die Videoaufnahmen, die auf einem ihrer Parabelflüge gemacht wurden. Die drei Forscher der Uni Erlangen haben sich schon öfter in ein Flugzeug begeben um Experimente im freien Fall zu machen.

    "...und jetzt haben wir eben Schwerelosigkeit und alles schwebt durch die Gegend..."

    22 Sekunden lang taumeln die Körper der Wissenschaftler in der Luft. Dann werden sie auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Ihr Experiment – ein großer Kasten mit Metallrahmen und weißen Isolierscheiben – ist auch in der schwerelosen Phase am Flugzeugboden fixiert. In ihm befinden sich 16 Kunststoffröhrchen verschiedener Längen und Durchmesser. Jedes einzelne enthält eine andere Art Granulat, also Kügelchen aus Kunststoff oder Metall, leicht oder schwer, groß oder klein. Es sind granulare Dämpfer, sie können Schwingungen absorbieren. Um ihre Dämpfungseigenschaften zu messen, sind die mit Kügelchen befüllten Plastikzylinder jeweils an einer Feder befestigt. In dem Labor der Physiker in Erlangen demonstriert Jonathan Kollmer den Ablauf ihres Experiments.

    "Man kann jetzt einen Elektromagneten anschalten und dann kann man diese Federn, auf denen die granularen Dämpfer sind, spannen. Und was man jetzt misst, ist die Zeit, die die Federn brauchen um auszuschwingen, wenn ich die loslasse. Und je nachdem wie gut der granulare Dämpfer ist, der auf den Federn sitzt, dauert das länger oder nicht. Und jetzt starte ich das mal..."

    Das Prinzip der granularen Dämpfung kennt man schon länger. Durch die Stöße der Kügelchen untereinander werden Schwingungen abgebremst und in Wärme umgewandelt. Je mehr Stöße desto besser. Aus ihren Experimenten erhoffen sich die Erlanger ein detaillierteres Verständnis dieser Art von Dämpfung und daraus ein Patentrezept für ultraleichte Dämpfungssysteme. Anwendungsmöglichkeiten sehen sie insbesondere im medizinischen Bereich. Zahnarztbohrer und Knochensägen beispielsweise, die von Ärzten lange gehalten werden müssen. Doch warum gehen die Physiker dafür in die Schwerelosigkeit, wenn das Experiment ebenso auf dem Erdboden durchführbar ist? Doktorand Achim Sack:

    "Auf der Erde setzen sich alle Teilchen einfach unten am Boden des Behälters ab. Und wenn die alle einfach nur unten sitzen, dann bewegen die sich wie ein festes Medium und stoßen nicht mehr miteinander. Und in der Schwerelosigkeit hat man diesen Sedimentationsprozess nicht. Alle fliegen darin rum und produzieren sehr viele Stöße. Deswegen dämpfen die deutlich besser in der Schwerelosigkeit als auf der Erde."

    Wenn schwerelos, verhält sich das Granulat so wie nach sehr starker Anregung: Die Kügelchen stoßen häufig zusammen, dämpfen somit ideal – und das in einer Geschwindigkeit, die es einem erlaubt, jeden einzelnen Stoß nachzuvollziehen. Das wird als Grundlage für Computersimulationen genutzt. Denn, so Michael Heckel...

    "Simulation ist halt praktischer. Man braucht nicht die echten Materialien, man muss nicht viel Zeit im Experiment investieren, wenn man mal eine fertige Simulation hat. Und man kann ganz leicht schauen, was ist wirklich effektiv, was dämpft gut. Und das kann man später noch mal im Experiment verifizieren, dass es auch passt."

    Die Computersimulationen sollen zukünftig helfen, leichte und gut dämpfende Granulatarten zu finden. Um effizient zu dämpfen, müssen auch Röhrchenform und –länge sowie die Menge an Granulat pro Röhrchen immer angepasst werden. Was noch für simuliertes Röhrchenschütteln spricht: Es wird einem nicht so schlecht wie bei Parabelflügen. Doch noch haben die Erlanger Physiker ihre schwerelose Phase nicht ganz hinter sich: Ende des Jahres steigen sie mit ihrer Experimentierkiste wieder ins Flugzeug.