Archiv


Stolpe

Münchenberg: Herr Stolpe, die Erwartungen in Ostdeutschland an den neuen Superminister sind zweifelsohne hoch, zudem steht die Regierung in einer gewissen Bringschuld: in Ostdeutschland sind die Wahlen auch gewonnen worden. Auf der anderen Seite steht die Bundesregierung derzeit vor großen Herausforderungen. Ich sage nur mal ein paar Stichworte: Explodierende Gesundheitskosten, Haushaltslöcher, steigende Rentenbeiträge. Wird angesichts dieser Aufgabenagenda der Aufbau Ost in der kommenden Zeit nicht eher eine untergeordnete Rolle spielen?

Jörg Münchenberg |
    Stolpe: Ich sehe meine Aufgabe darin - das war für mich die Hauptmotivation in der Mitternachtsentscheidung - dafür Sorge zu tragen, dass das nicht geschieht. Natürlich wären wir hier in der Lage, richtig handfeste Wählerenttäuschungen zu organisieren. Es haben sich Mehrheiten in Osten Deutschlands gefunden, die diese Regierung gewählt haben, und haben das natürlich in der Erwartung gemacht, dass da sich etwas bewegen wird. Das Positive ist nach meinen Beobachtungen, dass die Menschen keine Wundererwartung haben, dass jetzt ganz schnell alles ganz besser wird. Sie haben in den zwölf Jahren der Veränderung gelernt, dass der Aufbau Ost ein ‚dickes Brett' ist, das zu durchbohren ist, aber sie haben auch gelernt, dass es darauf ankommt, kontinuierlich an bestimmten Projekten dranzubleiben. Und meine Vorstellung für mich, und ich hoffe auch für die Bundesregierung im Ganzen, ist die, dass wir nicht unsere Kraft darin verbrauchen, ständig Erklärungen abzugeben und Ankündigungen loszulassen. Sondern dass wir an den Vorhaben, die wirklich etwas bewegen können, um den immer noch bestehenden Nachholbedarf dann voranzubringen.

    Münchenberg: Jetzt stehen aber Steuererhöhungen an, Subventionen sollen gekürzt werden. Entsprechend groß ist die Wut bei vielen Wählern. Sehen Sie da nicht ein gewisses Vermittlungsproblem im Augenblick?

    Stolpe: Man wird natürlich über die Dinge im einzelnen reden müssen. Das wäre völlig falsch, jetzt abzuducken. Es kommt darauf an, zu sagen, was da geschieht im einzelnen, was wirklich da an Veränderungen im Steuerbereich vor sich gehen soll, und wie das die Breite der Bevölkerung trifft bzw. auch gar nicht trifft. Und man wird sich auseinandersetzen müssen. Das ist dann mehr eine Aufgabe auch, die im politischen Bereich stattfindet, welche Subventionen auch zur Diskussion stehen könnten mit Blick auf den Osten, und wo eine Kürzung nicht vertretbar ist. Also alles, was mit den Investitionen, auch gerade mit Maßnahmen zur Förderung von Wirtschaftskraft zu tun hat, kann unter gar keinen Umständen jetzt zurückgesteckt werden. Wir brauchen noch einige Jahre, um hier auf die Beine zu kommen. Und das Ziel der Übung ‚Angleichung' und ‚Aufbau Ost' heißt ja nicht, dass wir die Menschen nur glücklich machen wollen, sondern wir wollen ja auch dafür Sorge tragen, dass der Osten nicht mehr auf Dauer ein Klotz am Bein der gesamtdeutschen Entwicklung ist. Und ehrlich gesagt: Es ist ja auch so, dass die schlechten Zahlen, die Deutschland im Ganzen hat, zu einem nicht ganz unerheblichen Teil durch den Osten mit beigetragen werden. Da wollen wir von weg. Wir wollen, dass der Osten in wenigen Jahren in der Lage ist, richtig mitzutragen und dass die Frage von starken Wachstumsregionen, aber auch die vermutlich auch in Zukunft noch bestehende Frage von benachteiligten Regionen eben eine deutsche Frage quer durch ist und nicht von vornherein bei allem, was schwierig ist, nur auf den Osten geguckt werden muss.

    Münchenberg: Dem früheren Ostbeauftragten Rolf Schwanitz hat man ja mehrfach vorgeworfen, er werbe zu leise für die Belange des Ostens. Werden Sie da jetzt lauter auftreten, auch im Kabinett?

    Stolpe: Rolf Schwanitz hat die Aufgabe gehabt, diese Fülle von Problemen zu bündeln, zu koordinieren im Kanzleramt. Es war nicht seine Aufgabe, Trompeter zu spielen. Trotzdem muss man einfach sagen: In all den Jahren war er für mich immer die verlässlichste Adresse, wenn es darum ging, über Einzelfragen zu reden und sich ein Bild oder eine Einschätzung zu machen. Ich denke, als Minister am Kabinettstisch ist man in einer anderen Herausforderung. Da ist natürlich nicht Verstecken und Abducken gefragt, sondern da muss das Kind beim Namen genannt werden. Und es kann auch durchaus sein, dass das nicht zum Jubel aller anderen mit am Kabinettstisch sein wird. Ich habe mir jedenfalls fest vorgenommen, den Wählerinnen und Wählern das zu sagen, was geht und mich für ihre Belange einzusetzen, und ich habe da eigentlich auch ganz gute Hoffnung, dass sich das auch realisieren lässt.

    Münchenberg: Nun sind Sie ein Superminister, das heißt, Sie sind für ein breites Feld zuständig: Bauen, Wohnen, Verkehr, jetzt kam noch Infrastruktur Ost - Aufbau Ost - dazu. Wo werden denn Ihre eigenen Prioritäten, Ihre Schwerpunkte liegen?

    Stolpe: Wir haben die Aufgabe ‚Koordinierung Aufbau Ost' hier mit dazubekommen. Das ist auf mich abgestellt worden. Wir haben allerdings darauf verzichtet, das Ministerium umzubenennen, weil es auch darum geht, die Kontinuität der Arbeit dieses Hauses auch hervorzuheben. Ich habe die Koordinierung jetzt mit hineingebracht. Dies heißt in aller erster Linie, auch auf die anderen Ministerien zu achten, die ebenfalls gefordert sind - Wirtschaft und Arbeit zum Beispiel, oder Gesundheit oder Landwirtschaft. Und zugleich haben wir den Vorteil, dass das Ministerium, das bisher schon immer das meiste Geld gegeben hat für den Osten nun unmittelbar befasst ist damit. Es wird sehr viel einfacher sein, sich hier über Prioritäten zu verständigen. Und wir sehen uns natürlich ganz vorrangig gefordert, die Katastrophenschäden im Hochwassergebiet zu beseitigen.

    Münchenberg: Aber reichen denn die Mittel insgesamt aus? 26 Milliarden Euro sind im nächsten Haushaltsjahr vorgesehen für Ihr Ressort, in diesem Jahr waren es genau so viel. Reichen diese Mittel?

    Stolpe: Man kann nie genug Geld haben, aber es ist eine Summe im Ansatz, mit der sich schon wirklich einiges auf die Beine stellen lässt. Und ich gehe davon aus, dass wir sicher immer abwägen müssen. Das ist ja eigentlich auch eine gute Verpflichtung, die man hat, dass man nachdenken muss, wo man's hingibt, aber dass wir dann am Ende doch zu Ergebnissen kommen, die das voranbringen, was gemacht werden muss und die dann auch am Ende wirklich etwas bewegt haben.

    Münchenberg: Wir haben vorhin schon über die Größe Ihres Ministeriums gesprochen. Man könnte auch etwas zugespitzter sagen: Es ist eine Großbaustelle, weil Sie eben für wahnsinnig viele verschiedene und auch sehr anspruchsvolle Bereiche zuständig sind. Jetzt hat man das Ganze ja noch mal vergrößert. Birgt das nicht auch die Gefahr, dass man sich verzettelt, dass man wichtige Aufgaben dann vielleicht aus den Augen verliert?

    Stolpe: Die Koordinierung im Hause, die Abstimmung mit den Verantwortungsträgern ist insofern in der Tat die allerwichtigste Aufgabe, die man hier hat. Wir werden täglich die Möglichkeit wahrnehmen, uns zu verständigen. Wir haben glücklicherweise mehrere beamtete Staatssekretäre, die hier die einzelnen Aufgabenfelder mit im Auge behalten. Wir haben drei parlamentarische Staatssekretärinnen und Staatssekretäre. Das ist ein Leitungsteam, zu dem dann noch gute, langjährig erfahrene Abteilungsleiter und viele, viele Fachleute hinzukommen. Das ist zu bündeln, das ist zu schaffen und zwingt uns allerdings immer wieder zur Prioritätensetzung. Und die erste ist zur Zeit wirklich die Beseitigung der Hochwasserschäden.

    Münchenberg: Nun ging es ja in Ihrem neuen Haus, sag ich mal, in den letzten Jahren zu wie im Taubenschlag: Drei Minister innerhalb einer Legislaturperiode. Werden Sie denn die ganzen vier Jahre durchstehen?

    Stolpe: Ich werde auch weiter antreten, wenn es nötig sein sollte, und so Gott will und wir leben, machen wir das denn auch. Und für die Zeit danach muss man mal gucken, ob jüngere Leute es sich zutrauen.

    Münchenberg: Kommen wir mal auf einzelne Bereiche zu sprechen. Wohnungsbauförderung war jetzt in dieser Woche ein wichtiger Punkt. Das Finanzministerium hat die Kürzung bei der Eigenheimzulage und auch die Einführung einer Kinderkomponente als familienfreundlich bezeichnet. Fakt ist aber, dass Familien in Zukunft mehr Kinder haben müssen, um auf die gleiche Förderung zu kommen wie vorher. Die Wohnungsbauwirtschaft warnt bereits vor einem dramatischen Einbruch in der Branche. Halten Sie diesen Beschluss für richtig?

    Stolpe: Der Beschluss ist eine Zielvorstellung, die hier gegeben ist. Es sind bestimmte Ergebnisse dabei angedacht. Sie haben die Komponente ‚familienfreundlich' schon genannt, das ist gar nicht von der Hand zu weisen. In dem Diskussionsprozess, der noch ansteht bis zur Umsetzung in die Gesetzgebung bis ins Steuerrecht hinein wird diese Frage vermutlich noch sehr intensiv debattiert werden. Ich will nicht verhehlen, dass ich auch sehr genau hinschauen werde, ob die beabsichtigten Ergebnisse erreicht werden können mit Blick auf die betroffenen Menschen. Aber gerade als Minister dieses Hauses hier werde ich auch sehr darauf zu achten haben, welche Auswirkungen hat das für die Bauwirtschaft? Ist das eine Entscheidung, die möglicherweise hier eine weitere Gefährdung bedeutet für die Wirtschaft und vielleicht sogar ein Verlust von Arbeitsplätzen. Wenn es gelingt, in der gleichen Situation, also sozusagen Zug um Zug mit Veränderung bei der Eigenheimförderung zu einer deutlichen Unterstützung im Aufbau der kommunalen Infrastruktur zu kommen, wo wir ja gewaltige Rückstände haben, dann muss das im Endergebnis keine Schwächung, sondern vielleicht sogar eine Stärkung der Bauwirtschaft sein. Aber ich will es gerne noch mal sagen: Hier muss sehr genau hingesehen werden, hier gibt's viele Betroffene und hier muss das also auch mit dem Grundziel der Politik verglichen werden, ob man im Ergebnis das erreicht, was man auch wirklich haben möchte.

    Münchenberg: Geht es noch ein bisschen konkreter? Können Sie mit den Kürzungen, wie sie im Augenblick angedacht sind, leben?

    Stolpe: Ich halte es für eine Grundlage für die weitere Arbeit, aber ich bin sehr offen für Debatten darüber, weil ich glaube, in einer solchen Entscheidung kommt es sehr darauf an, dass man jetzt nicht Hauruck etwas durchzieht, sondern dass man sich auch wirklich die Mühe macht, zuzuhören, was für Einwände da sind und vor allen Dingen auch darauf zu achten, was an verlässlichen Prognosen über die Auswirkung gesagt werden kann.

    Münchenberg: Aber klar ist doch auch: die Bauwirtschaft wird eine der Leidtragenden sein, wenn diese Förderung gekürzt wird.

    Stolpe: Die Bauwirtschaft wird uns vorrechnen, rechnet uns auch schon vor, welchen Rückgang das haben kann. Die Prognosen sind hier umstritten. Es gibt auch Einschätzungen, die sagen, dass der erwartende Einbruch gar nicht so eintreten würde, weil die Motivation, sich ein Eigenheim zu leisten, nicht vorrangig von Fragen der Förderung bestimmt ist. Dies muss beachtet werden. Und einer der Faktoren für das Abwägen der Endentscheidung ist ganz sicher auch, ob es zu erkennbaren, mit Sicherheit zu erwartenden, massiven negativen Auswirkungen für die Bauwirtschaft kommt. Wenn das der Fall sein sollte, wird man noch mal genau nachdenken müssen.

    Münchenberg: Das Bau-Kindergeld soll eigentlich auch einen gewissen Umlenkungsprozess fördern in die Innenstädte - das ist in Ostdeutschland ein sehr großes Problem: Wohnungsleerstand. Auch das Stadtumbauprogramm Ost soll die Städte attraktiver machen. Hier sind derzeit 2,7 Milliarden Euro veranschlagt. Glauben Sie denn, das reicht aus, gerade, um mit diesem großen und fundamentalen Problem fertig zu werden?

    Stolpe: Wir haben in der Tat große Herausforderungen. Wir haben die Städtebauförderung, wir haben das Stadtumbauprogramm, wir haben das Programm ‚Soziale Stadt'. Das heißt, das sind alles Hebel, mit denen man erreichen will, dass es sich um lebenswerte Städte handelt und dass wir damit also auch eine sozusagen soziale Integration in den Städten erreichen. Ich glaube, dass die Hauptrichtung, die hier eingeschlagen worden ist, durchaus richtig und fortsetzbar ist. Wir sehen in den Nachfragen einiger der Programme, dass hier ganz offenbar genau der Punkt getroffen worden ist, der wichtig ist. Wir werden zusehen, wie wir auch noch Bewegung hineinbekommen in die Altschuldenproblematik, die die Wohneigentümer, also die großen Gesellschaften und Genossenschaften hier betrifft. Wenn es gelingt, an der Stelle auch noch etwas Entlastung zu schaffen, dann ist mit den Mitteln, die jetzt vorgesehen sind, schon mal ein kräftiger Schub möglich.

    Münchenberg: Der Flussausbau soll laut Koalitionsvertrag bei Saale, Elbe und auch Donau deutlich verlangsamt werden oder auch sogar gestoppt werden. Wird das ausreichen angesichts der Prognose, dass mit Jahrhundertfluten in den nächsten Jahren wohl öfters zu rechnen ist?

    Stolpe: Ja, der Flussausbau ist ein Thema in dem Zusammenhang, auf das man achten muss. Das heißt, man muss sich davor hüten, hier noch Beihilfe für Katastrophenlagen zu schaffen, indem da ausgebaut wird und begünstigende Bedingungen geschaffen werden für Hochwasserlagen. Aber man soll sich auch nichts vormachen, als ob allein mit Maßnahmen des verringerten oder gar abgesetzten Flussausbaues Katastrophenlagen vermieden werden. Das, was wir auch jetzt gerade wieder gelernt haben in diesem Jahr an Elbe und Mulde und Donau, und darauf muss man sich auch einrichten, dass hier Klimafragen mindestens genauso wichtig sind wie Fragen des Flussausbaues oder -Nichtausbaues. Und insofern ist das eigentlich ein Posten in einer Gesamtpolitik, die darauf achten muss, dass wir Lebensbedingungen auf Zukunft erhalten.

    Münchenberg: Trotzdem fällt der Flussausbau in Ihr Ressort. Noch mal nachgefragt: Werden Sie da vielleicht auch eine Neuorientierung der eigenen Politik vornehmen - weil Ihr Vorgänger lange Zeit dem Flussausbau doch sehr aufgeschlossen gegenüber stand?

    Stolpe: Wir stehen hier in der Tat in einem Spannungsverhältnis. Der Gütertransport per Schiff ist nach wie vor eine interessante und wichtige und auch durchaus wirtschaftliche Transportmöglichkeit, die wir haben. Wir werden jetzt nicht uns einerseits betrügen dürfen mit der Einschätzung, dass der Flussausbau sozusagen die Wurzel sämtlichen Übels in Hochwasserlagen ist und gleichzeitig dann aber auch darauf verzichten, hier ein besonders umweltfreundliches und wirtschaftliches Transportmittel zu haben. Und da werde ich also auch sehr mit darauf achten, dass wir die Binnenschifffahrt, die sich ja weithin bewährt hat, auch in Zukunft brauchen werden und wir nicht sozusagen alles mit einem mal verdammen.

    Münchenberg: In Ihr Ressort fällt auch die Förderung des Transrapid, ein sehr umstrittenes Verkehrsprojekt. Sie wissen, der Bundesrechnungshof hat die bisherigen Kalkulationen eher als Wunschträume bewertet. Werden Sie das Projekt dennoch fortsetzen, werden Sie daran festhalten?

    Stolpe: Ich bin ein Freund des Transrapid. Ich habe mich sehr darum bemüht, dass wir einen Transrapid von Berlin nach Hamburg legen können. Wir hatten alles vorbereitet, wir wären schnellstens in der Lage gewesen, die erforderlichen Verfahren durchzuführen. Wir sind gescheitert an der Wirtschaftlichkeitsberechnung. Wirtschaftlichkeitsberechnung muss sein, sowohl im Blick auf die Erstellung als auch im Blick auf die Betreibung...

    Münchenberg: ...die sieht aber in Nordrhein-Westfalen und in Bayern nicht besser aus...

    Stolpe: ...der Anlage. Nun ja, also bei uns war das Problem, dass wir nach menschlichem Ermessen nicht genügend Passagiere haben würden. Also selbst, wenn alle Bewohner Berlins und Hamburgs fünf bis sieben mal jährlich da hin- und hergefahren wären, hätte es immer noch nicht so ganz gereicht. Das ist in dichtbesiedelten Räumen oder bei Zielen, die eine sehr starke Frequentierung haben wie das zum Beispiel auch bei einem großen Flughafen der Fall ist - da sieht das ein bisschen anders aus. Das muss sorgfältig gerechnet werden. Es ist gut, dass der Bundesrechnungshof sich rechtzeitig zu Wort meldet. Es muss in solchen Vorgängen auch möglich sein, alles kritisch abzufragen, aber ich habe so das Gefühl, dass die beiden Standorte, die da jetzt im Gespräch sind, durchaus günstigere Voraussetzungen haben als wir seinerzeit mit meiner Lieblingsstrecke nach Hamburg.

    Münchenberg: Also, klares Wort: Es gibt keine Kursänderung unter dem neuen Verkehrsminister?

    Stolpe: Ich halte fest daran, dass wir es uns genauer ansehen. Es wird keine Blanko-Entscheidung geben hier, man wird hingucken müssen. Da sehe ich meine Pflicht mit drin. Aber wir sind noch mitten in dem Prozess genauerer Betrachtung, und da ist die Frage: ‚Absetzen oder Umsetzen der Gelder' bei weitem nicht dran.

    Münchenberg: Herr Stolpe, Sie sind ja auch für die Industrieförderung mit zuständig. Wird sich da nicht endlich auch mal was ändern müssen? Sie haben selber als früherer Ministerpräsident von Brandenburg die leidvolle Erfahrung mit dem Cargolifter, aber auch dem Lausitzring gemacht. Also, muss man da nicht einfach neue Prioritäten setzen, andere Programme stricken?

    Stolpe: Das ist eine Frage der Regionalentwicklung, was man da tut. Wir haben in Brandenburg immer darauf geachtet, dass wir in den jeweiligen Regionen etwas bewegen können. Wir haben es Gott sei Dank geschafft, dass wir 15 Industriekerne gehalten haben im Lande bzw. auch ganz neu aufgebaut haben. Hier muss einfach auch noch mal um der Gerechtigkeit willen gesagt werden, dass wir sehr erfolgreich in Schwarzheide sind mit der Chemie, dass wir mit den Stahlstandorten auch sehr gut gefahren sind, auch Autofabrikationen und Triebwerkherstellung. Und wir haben an Standorten, wo es nicht möglich war, eine Industrieansiedlung vorzunehmen, Infrastrukturprojekte angegangen - mit Europamitteln, auch zum Teil mit Landesmitteln, und wir setzen darauf, dass das kein verlorenes Geld ist, wenn auch die ersten Anläufe zunächst mal in einer Insolvenz gelandet sind. Jeder wird, der in Zukunft Fördermittel in die Hand nimmt, es sich genau überlegen, wie man mit dem weniger werdenden Geld dann den bestmöglichen Effekt erreichen wird. Das ist sozusagen die Pflicht, die jetzt ansteht für heute und die Zukunft.

    Münchenberg: Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat vor gut zwei Jahren einmal gewarnt, der Osten stehe auf der Kippe. Gilt denn dieser Satz noch immer?

    Stolpe: Der hat nie so ganz gegolten. Richtig war daran, dass ein Nachlassen im Aufbau Ost dann einen Stillstand, und der Stillstand einen Rückgang bedeuten würde. Das heißt also, wenn man jetzt meint, wir haben ja schon eine ganze Menge geschafft mit der Hälfte, können vielleicht den Dampf runterfahren. Dann ist das automatisch eine Verschlechterung der Bedingungen und dann wird sich das rächen indem es eben sehr viel länger dauert, den Osten aus der Sonderunterstützung herauszuführen. Es hat ja alles nur das Ziel, dass man auf der einen Seite die Lebensbedingungen der Menschen verbessern will, aber auf der anderen Seite auch die eigene Leistungskraft des Ostens fördern muss, damit er dann nicht auf der Tasche liegt, damit er nicht ein Klotz am Bein der Entwicklung in ganz Deutschland ist. Sondern dass er mitträgt in eine gute Entwicklung für das gemeinsame Deutschland. Dies ist die Richtung. Und die Warnung von Wolfgang Thierse hat ja durchaus geholfen. Ich glaube, man kann das heute schon so etwas locker sagen. Es war ein gewaltiger Böllerschuss, der es uns leichter gemacht hat, den Solidarpakt II auf die Beine zu stellen, der ja gesichert hat die Rahmenfinanzierungsregelungen bis zum Jahr 2020, so dass man also Planungssicherheit hat für den Osten.

    Münchenberg: Nun gibt es aber auch große Klagen über zuviel Bürokratie, zuviel Gängelung, dass die Sozialsysteme einfach den Handlungsspielraum zu sehr einengen. Nun gab es Vorschläge etwa für Öffnungsklauseln, dass man auch beschleunigte Genehmigungsverfahren erlassen kann. Halten Sie das nicht auch als Zuständiger für diesen Bereich für zumindest erwägenswerte Ansätze?

    Stolpe: Nein, das ist für uns ein Vorrangsziel. Wir wollen unbedingt hier vorankommen. Es gibt eine Reihe von Regelungen, Bundesregelungen, aber vielfach auch Landesregelungen, die vereinfacht werden könnten. Wir haben allerdings auch noch Europanormen hier im Nacken, ein Geflecht von Verantwortlichkeiten, also Länder, Bund, Europa, das oft jede Initiative erstickt hat und wo man dann nicht selten gesagt hat: Da können wir sowieso nicht viel dran ändern. Ich bin der Meinung, mit Verbesserung der Verfahrensregelungen kann erhebliche Beschleunigung und damit zugleich auch wesentlich schnelleres Wachstum plus mehr Arbeit erreicht werden. Das ist eine Aufgabe, da sind wir hier dran in diesem Haus.

    Münchenberg: Herr Stolpe, was ist da aus ihrem Haus konkret zu erwarten?

    Stolpe: Wir werden uns ans Baurecht heranbegeben, wir werden offene Fragen von Raumordnung und Planungsrecht hier mit zu denken haben, und das sind drei Felder, die ganz entscheidend mitwirken daran, ob etwas sich bewegt oder ob da immer nur Vorgänge zwischen Verwaltungen hin und her geschoben werden.

    Münchenberg: Herr Stolpe, wie lange wird der Osten noch brauchen, bis er halbwegs zu den alten Ländern, was auch die Infrastruktur angeht, aufgeschlossen hat?

    Stolpe: Also, wir haben ja in diesen letzten zwölf Jahren wirklich Erstaunliches geleistet. Das muss, glaube ich, auch immer wieder gesagt werden. Durch das Zusammenwirken der Solidarität aus dem Westen, der finanziellen und der personellen - nicht zu unterschätzen - und der Entschlossenheit der Leute im Osten, etwas zu bewegen und nicht nachzulassen, haben wir ja mehr als die Hälfte eines 40jährigen Rückstandes bewegt. Wir werden, glaube ich, noch einmal diesen Streifen brauchen, um Bedingungen zu haben, die im Schnitt voll vergleichbar sind mit den ebenfalls durchschnittlichen Bedingungen im Westen...

    Münchenberg: ...zwölf Jahre?

    Stolpe: Diese Entscheidung für den Solidarpakt ist ja eine vorsorgliche gewesen. Man geht also ganz schlicht davon aus, dass ab dem Jahre 2020 keine Sonderförderung mehr erforderlich ist, sondern dann stehen Entscheidungen an, wie sie jetzt auch schon anstehen zugunsten von Regionen in alten Bundesländern.

    Münchenberg: Trotzdem ziehen ja auch viele weg aus dem Osten, gerade junge, gut Qualifizierte, die eher im Westen einen neuen Job suchen. Also, der Aderlass ist unübersehbar, während Sie ja im Augenblick eher die sehr positive Seite des Ostens darstellen.

    Stolpe: Eine besonders positive Seite des Ostens ist ja das größte Geschenk, das wir in die Einheit mitgebracht haben, nämlich die geburtenstarken Jahrgänge. Wir haben zur Zeit eine Situation in Deutschland, dass bei den 16-24jährigen jeder Dritte aus dem Osten kommt, während wir ja sonst nur ein Fünftel der Bevölkerung stellen. Und wir haben hier die Sonderherausforderung, dass wir nicht ausreichend Ausbildungs- und Arbeitsplätze haben. Deshalb wird es sehr darauf ankommen, wie kann man mit Programmen das überbrücken, denn in wenigen Jahren brauchen wir die Leute. Dann sind die geburtenstarken Jahrgänge weg. Deshalb lege ich penetrant einen Riesenwert darauf, dass zum Beispiel dieses "Jump Plus-Programm", das übrigens nicht in irgendwelche Sparmaßnahmen mit einbezogen wird, fortgeführt wird. Und da setze ich darauf, dass wir alleine in den nächsten Jahren 1000den von jungen Leuten hier etwas vermitteln können, nicht nur Ausbildung, sondern dann auch Bedingungen, die für Unternehmer so attraktiv sind, dass er die anstellt. Das heißt also, mit staatlichen Mitteln die Anstellung junger Leute stützen hier vor Ort.

    Münchenberg: Nun wird aber die Flutkatastrophe hier auch dazu führen, dass wahrscheinlich in diesem Jahr und auch nächstes Jahr weniger Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen. Das heißt, das Problem wird doch eher sich noch einmal verschärfen.

    Stolpe: In der Ausbildung sind wir sowieso in der Notwendigkeit hier im Osten, dass wir außer der betrieblichen Ausbildung noch die überbetrieblichen Einrichtungen haben. Da sind in dem letzen Jahrzehnt ja viele große Einrichtungen geschaffen worden, die sich sehr bewährt haben. Hochqualifizierte Ausbildung geschieht dort, das wird weitergehen können. Arbeitsplätze wird, bei aller Grausamkeit dieser Hochwasserkatastrophe, die Aufbereitung mit sich bringen. Es gibt Leute, die rechnen damit, dass durch die Milliardenschäden, die durch das Hochwasser entstanden sind und die ja vielfach durch Bauleistungen und andere technische Leistungen wieder aufgefangen werden müssen, dass wir dadurch ein Wachstum von 3,5 Prozent haben könnten allein im nächsten Jahr und speziell in diesen Regionen. Aber das ist schon eine große Herausforderung und in gewisser Weise auch eine Unterstützung der Wirtschaft im Osten.