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Stolz der Nation

Überwiegend positiv ist das Echo auf Barack Obamas Vorstoß für eine atomwaffenfreie Welt – nur in Paris bleibt es bislang auffällig ruhig. Trotz erneuter Einbindung in die Kommandostrukturen der NATO wollen die Franzosen über ihre Atomstreitkräfte auch künftig alleine entscheiden – die Force de Frappe sind schließlich der Stolz der Nation. Wie soll sich das also mit Barack Obamas Abrüstungsplänen vertragen?

Von Hans Woller | 06.04.2009
    Das offizielle Frankreich tut, als habe Barack Obama in seiner gestrigen Prager Rede mit seiner Vision einer atomwaffenfreien Welt nichts sonderlich Bemerkenswertes gesagt. Kein einziger französischer Politiker hat über die Vorschläge des amerikanischen Präsidenten gestern auch nur ein Wort verloren. Auch nicht der Staatspräsident selbst in einem 15-minütigen Fernsehinterview. Nicolas Sarkzoy war wichtiger klarzustellen, dass er mit Obamas Vorstoß für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei nicht einverstanden ist:

    "Ich arbeite mit Obama Hand in Hand, aber wenn es um die EU geht, ist es an den Mitgliedern der EU zu beschließen. Ich war immer gegen diesen Beitritt, und dabei bleibe ich und die meisten EU-Mitglieder unterstützen die französische Position."

    Frankreich lebt mit seiner nuklearen Abschreckung , seiner Force de Frappe , die fast 20 Prozent des Verteidigungshaushalts verschlingt, weitgehend im Einklang - dies, seit General de Gaulle sie Anfang der 60er-Jahre auf den Weg gebracht hatte und, auf sie gestützt, im Rahmen einer ehrgeizigen Außenpolitik eine Art 3. Weg zwischen den zwei großen Militärblöcken vorschlug . Eine nennenswerte Friedensbewegung gegen Atomwaffen hat es hierzulande kaum jemals gegeben und selbst als Jacques Chirac 1996 noch die letzten französischen Atomversuche im Pazifik startete, kam der Protest überwiegend aus dem Ausland.

    Obamas Prager Vision wird in Frankreich nicht als Appell gesehen, vielleicht auch die eigenen Atomwaffen abzubauen. Erst vor einem knappen Jahr hatte Nicolas Sarkozy die neue Kernwaffenstrategie des Landes präsentiert und dabei betont, Frankreichs Bilanz in Sachen nukleare Abrüstung sei beispielhaft und einzigartig in der Welt. Mit Großbritannien habe man als erster Staat den Atomteststoppvertrag unterzeichnet und ratifiziert, als erster Staat die Schließung und den Abbau der Anlagen zur Herstellung von spaltbarem Material für Atomwaffen beschlossen. Frankreich, so der Präsident vor einem Jahr, habe nie am Rüstungswettlauf teilgenommen, halte sein Arsenal auf dem niedrigstmöglichen Niveau, das mit dem strategischen Kontext vereinbar sei.

    Und das sind derzeit rund 300 Atomsprengköpfe - halb so viele wie zur Zeit des Kalten Krieges. 80 Prozent davon befinden sich heute auf den Unterseeboten, die luftgestützte Komponente wurde letztes Jahr um ein Drittel reduziert.

    Dass Paris seine Atomstreitmacht wie den Augapfel hütet, kann man auch daraus ersehen, dass Frankreichs vollständige Rückkehr in die Kommandostrukturen der NATO, dieser Tage mit großem Pomp vollzogen, letztlich so vollständig nicht ist: An der nuklearen Planungsgruppe des Bündnisses nimmt Paris auch weiterhin nicht teil. Öffentlich sagte dies der Präsident allerdings erst zwei Tage vor dem NATO-Gipfel:

    "Die NATO hat 40 Kommandostrukturen, Frankreich war schon in 38 davon dabei, jetzt gehen wir in die 39., in die 40. gehen wir nicht, die betrifft die Atomwaffen."

    Fabio Liberti , Forscher am französischen Institut für strategische Studien erläutert:

    "Frankreich bleibt außerhalb der nuklearen Planungsgruppe. Der Grund: Es gibt nur drei Nuklearmächte in der NATO, die USA, Großbritannien und Frankreich. Die britische atomare Abschreckung ist im Grunde eine amerikanische, die USA überlassen Großbritannien ihre Atomwaffen, und da Frankreich noch über eine autonome Abschreckung verfügt, ist es völlig illusorisch zu glauben, es würde seine nukleare Streitmacht in einen gemeinsamen Topf mit den USA und Großbritannien einbringen."

    Einige im Land stellen allerdings die Frage, wie lange sich Frankreich bei dramatisch leeren Kassen diese Autonomie im Atomwaffensektor - was Forschung, Trägerraketen, Flugzeuge und die entsprechenden Industrien angeht, noch leisten kann.