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Storyteller im irischen Donegal
"Einen Leuchtturm kriegst du nicht klein"

Das County Donegal ist ein Gebiet am nordwestlichen Schopf der irischen Insel. Die dortigen Dörfer und Städtchen sind von einem urtümlich-rauen und gleichermaßen liebevollen Charakter geprägt. In dieser Abgeschiedenheit hält sich die Tradition der Storyteller: Leute, die musizierend von Haus zu Haus ziehen und alte Geschichten weitererzählen.

Von Jule Reiner | 28.03.2016
    Der Silver Strand im County Donegal in Irland
    Der Silver Strand im County Donegal in Irland (picture-alliance/ dpa - Lars Halbauer)
    Die Berge in Donegal sehen aus wie steinalte, erhabene Druiden. Sie beherrschen enorme Landschaftsweiten aus tiefen Erdtönen und die herrlichsten Blaus des Atlantiks. Der Sleave League, der Errigal und der Achlagh - diese alten Bergdruiden scheinen dem Reisenden ihre Mythen und Legenden erzählen zu wollen. Deshalb ist es gut, jemanden dabei zu haben, der mit der Sprache dieser Gesellen vertraut ist: Danny Kelly, Poet, Musiker und Musiklehrer, ist in Donegal aufgewachsen.
    In Donegal, hatte Danny die Geschichte vorbereitet, könne der Atlantikwind oft ungebremst übers Land fegen, weshalb man viel heißen Tee trinken müsse, "mehr als Whiskey oder Guinness, wie den Iren oft unterstellt wird", sagte er. Viel öfter heißt es: "Let´s have a wee cup of tea", ein Tässchen Tee, das dann aber sehr groß sei.
    Machen wir also einen schönen Darjeeling, dazu Butterkekse, eine Landkarte auf dem Tisch und ein Vergrößerungsglas für das winzige Fintown, Dannys Heimatdorf, wo die Reise durch die größte Gaelthacht, die gälischsprachige Region am nordwestlichen Schopf der irischen Insel, beginnt.
    "Ah, that´s great. There´s nothing like a warm nice cup of tea."
    Nach Fintown fährt man durch ein urgewaltiges Tal in moorbraunen Tönen. Darüber ragt der gewaltige Berg Achlagh auf. Die Wiesen, gesprenkelt von zotteligen Schafen, zerfurchte Bergflanken sinken an die Ufer des Sees Lough Fin wie geflochtene Haarzöpfe. Vielleicht kommt daher die Legende von dem Mädchen Fingal. Ihr gälischer Name bedeutet "Die Frau mit den langen blonden Haaren". Und nach ihr sind der See und Dannys Heimatdorf benannt. Nach der Legende wollte sie ihrem Bruder zu Hilfe kommen, der von einem mächtigen Wildschwein angegriffen wurde. Dazu musste sie den See durchschwimmen, doch ihre knöchellangen Haare flochten sich um ihre Beine und zogen sie in die Tiefe. In dieser Einsamkeit hier oben haben solche Geschichten einen langen Atem.
    "Wenn man in the hills of Donegal wohnt, es kann sehr einsam sein. Und es gibt bei uns eine Tradition. Und das heißt raking auf englisch. Wo man in verschiedene Häuser geht abends, um Leute zu besuchen, besonders ältere Leute, damit die nicht alleine stehen. Und es gab in meiner Kindheit eine bestimmte Familie von Musikern, the Dohortys - und die sind von Fintown immer durch Glenties, Ardara, Carrick, Dunkineeley bis Glencollumbkill hin und dann wieder zurück und haben in verscheidenen Häusern übernachtet und musiziert. Und die waren tolle Musiker und haben die alten irischen Donegal-Geigerstücke gebracht und natürlich auch Kultur. Weil die haben auch Geschichten erzählt. In Irland gibt es Shanahees, Storytellers, Leute, die Geschichten erzählen. Shan bedeutet: "das alte Wissen". So, die sind die Leute, die das alte Wissen an die jüngere Generation bringen und auch eine Art Entertainment in die Häuser abends."
    "Come on – I'll take you to a journey to the Glens of Donegal."
    Auf dem dunklen, mystischen Wasser des Lough Finn blitzen gläserne Schatten. Hier kann man lange durch menschenleere Natur wandern oder mit einer 100 Jahre alten, nostalgischen Eisenbahn am See entlang bis hinunter ins sehr hübsche Dorf Glenties dampfen. Wir aber haben uns im noch lebhafteren Städtchen Ardara eingemietet, wo das Pub The Corner der heutige Treffpunkt für das traditionelle raking ist.
    "Ardara ist das zweitälteste, wenn nicht älteste Dorf in Donegal. Und es heißt auf gälisch Ard an Raha, und das bedeutet "Hügel der Messe", weil es war immer – seit Hunderten und Hunderten von Jahren ein Handelsplatz. Weil oben in die Glens und in die Berge wohnen die ganzen Schäfer, the shepherds Im Sommer kommen viele Musiker aus Dublin und aus Nordirland und eigentlich aus verschiedenen Ländern. Und die locals, die dort wohnen ,man kann mit denen schnell in Kommunikation kommen, weil jeder kennt jeden in Ardara. Und in Westdonegal sind die Leute generell sehr freundlich und wollen wissen, woher Du kommst, was Du machst, wie Deine Mutter aussieht, was Dein Vater macht und so weiter. Aber die wollen nur ein Bild von Dir haben. Und danach seid ihr befreundet. Und diese Freundschaft ist oft lebenslang. Es gibt ein Lied: Es heißt "The hills of Donegal". Und in dem Lied steht: Your hearts are like your mountains in the hills of Donegal, weil durch unsere Gastfreundlichkeit unsere Herzen sind so groß wie unsere Berge."
    Warme Pullis aus feinster Schafwolle
    Das Städtchen Ardara, wenn man es von oben anschauen würde, hat eine Form wie ein großes L. Auf der kurzen L-Seite liegen die alten Handelshotels und die Pubs und auf dem langen Strich die Manufakturen für das, was die Schäfer seit Jahrhunderten aus den Bergen herunterbringen. Feinste Schafwolle wird in Ardara zu Webdecken und zu den berühmten Fishermans Sweaters, den Wollpullovern gemacht. Wem es also jetzt noch an warmer Kleidung für einen Bootstrip entlang der Atlantikküste fehlt, muss nur auf dem langen L den Berg hinauf spazieren und kommt zu Kennedys of Ardara.
    Im Traditionsgeschäft von "Kennedy's" türmen sich die weißen, grauen, grünen oder meerblauen Fisherman's Sweater und es riecht vertraut nach Schafwolle. Es gibt Wachsjacken, Wollaccessoires, Anglerausrüstung und auch wetterfestes irisches Modedesign. Chef Connel Kennedy ist für jeden Kunden persönlich da. Seit 38 Jahren führt er das über 100 Jahre alte Familienunternehmen. Aran Sweaters sind die seetauglichsten Pullover der Welt - aus wasserabweisendem Schafspelz, handgestrickt in Mustern, die den Rang ihres Trägers verraten. Connel hält ein besonders wertvolles Modell hoch. Es hat Zopfmuster wie sie das Seegras der irischen Westküste bildet, Seil- und Kabelmuster für die Taue der Fischerboote und Diamanten mit Brombeerknötchen versetzt, die den religiösen und besonderen Status des Besitzers verkörpern.
    Wenn Connel aber mal nicht mit Strickwaren beschäftigt ist, findet man ihn auf langen Spaziergängen mit dem Hund an seinem Lieblinsstrand Maherá. Er hat immer gerne in dieser Landschaft gelebt, sagt er, und das bleibt auch so, wenn er in Pension geht. Und schließlich gibt es in Ardara genügend Pubs für die kleine Pensionierung am Wochenende, wie The Beehive zum Beispiel, der Bienenkorb.
    Auch Connel ist wieder da, wie alle, denen man auf dem L von Ardara an einem Tag mindestens zwei Mal begegnet. Und Musiker sind so oft da wie sich Wind, Sonne und Regen abwechseln. Connel gibt uns ein fein gezapftes Pint aus und erklärt, wie sehr die Musik zur Tradition in den Familien gehört. Ein guter Musiker sei hoch angesehen im Ort oder der Stadt, wo er herkommt. Irish Music und Tanz seien so wichtig, dass sie auf Festivals immer die Oberhand gewinnen. Für andere Musikstile heißt es dann "bye-bye" lacht Connel.
    Bye-Bye auch für Ardara. Über den Glengeshpass geht es auf die südlichste Peninsula Dogenals. Eine Schlängelfahrt über Stock und Stein. Donegal hat gerade eine seiner Sonnenexplosionen, die in Liedern und Literatur gerühmt werden. Das ganze Land ist dann mit einem Gelb überzogen, das alles darunter wie in Spektralfarben abbildet. Grelle Wiesen, die Schafe wie mit Heiligenschein, das Meer ein unendliches Band aus schimmerndem Blau.
    An mächtigen Vulkansteinen, die bis auf die Straße geschmatzt wurden, kann man auch erahnen, wie wütend der Atlantik werden kann. Aber nicht heute. Die Küstenlinie glänzt - durch Marlin Mór, Clogh an Mór und Mullin Mór wie diese hüpfenden Täler alle heißen. Da jagt ein Schaf einen Hund, ein anderes galoppiert in die offene Tür eines Cottage als würde es drin wohnen. Am Ende der Fahrt liegt der Silver Strand: tief unten in hohe, von grünen Teppichen gedeckte Klippen eingebettet, goldgelber Sand, das Wasser mintgrün, türkis, marineblau und ein Ausblick – fast bis Amerika. Ein Glanztag!
    Danny singt: singt:
    "Here´s to Johnny the journeyman. Oh here´s to Johnny the journeyman,
    With me tramp it all day and me happy and gay,
    And I´ll give you the life of the daisy oh,
    There´s soup in the pot for us old man, soup in the pot for us old man,
    The soup is for me, the bones are for you
    And the meat is for Johnny the journeyman.
    Oh here´s to Johnny the journeyman. Oh here´s to Johnny the journeyman,
    With me tramp it all day and me happy and gay,
    And I´ll give you the life of the daisy oh.”
    Mit Danny als fahrendem Musiker und seinem Lied von Johnny dem Journeyman, der nach alter Tradition immer und überall einen guten Teller Suppe bekommt, landet man leicht auch in abgelegenen Winkeln. Wenn man nämlich nicht unbedingt bis Amerika schauen will, sondern auf die ganze Küste von Donegal, sagt er, dann müsse man auf eine Insel vor der Küste fahren. Nach Aranmore Island, wohin er einmal als Journeyman übergesetzt und vier Wochen geblieben ist.
    Von dem Fährhafen Burtonport sind es nur 20 Minuten rüber nach Arranmore Island. Aber dort gelandet, ist man plötzlich sehr weit vom Festland entfernt. Nur 600 Menschen leben auf der Insel in und um die kleine Siedlung Leabgarrow herum. Geduckte Häuschen im Hang, ein kleines Hotel und einige Bed and Breakfast Pensionen, ein Strand, leuchtend wie eine Mondsichel, darum schwarze Felsen von curryfarbenem Seegrass überspült und es ist still als wäre jeder Tag ein Sonntag und das ganze Dorf in der Kirche. Im Gemeindezentrum erwartet uns einer der wichtigsten Vertreter des kleinen Inselkosmos, Charley Boyle - der Leuchtturmwärter - und er erzählt, wie wichtig dieser Blick auf die Küste von Donegal sein kann.
    Wir könnten dem feinen, 78 Jahre alten Mann im Tweed stundenlang zuhören – natürlich bei einer schönen Tasse Tee. Man kann sich vorstellen, was das bedeutete: Das Leuchtfeuer von Aranmore und das von Tory, der letzten Insel weit draußen vor Donegals Nordküste, waren und sind bis heute die ersten Landmarken für alle kommenden Transatlantikschiffe. Doch heute sind sie automatisiert.
    "Wir sagten immer: Leuchttürme können nicht kaputt gehen. Navigationsinstrumente, GPS, Radar können ausfallen, aber einen Leuchtturm kriegst Du nicht klein", sagt Charley und hat Glanz in den Augen. Und deshalb müssen wir ihn auch sehen, diesen alten schönen Leuchtturm auf der anderen Seite der Insel. Der schaut wiederum nach Amerika.
    Da ist sie, die große Prismenlampe. Und ringsum ist der Lichtraum wunderschön restauriert, in Meerestürkis, Rot und Schwarz auf gusseisernen Pfeilern und Verstrebungen. Die See kann hier sehr, sehr rau werden, erzählt Charley. Obwohl der Lichtraum des Turms 70 Meter über dem Meeresspiegel liegt, hat die See im Jahr 1988 fünf Fenstersektionen zerfetzt, Glas das Zentimeter dick ist. Doch wer den Naturgewalten trotzen und sich wie ein Leuchtturmwärter fühlen möchte, kann sich in den original erhaltenen Wohnräumen unterm Turm in diese splendid isolation zurückziehen. Sie werden an Touristen vermietet.
    "Man hat die tollsten Farben. Von rot bis ultraviolett, das kann unheimlich schön sein"
    Zurück vom Leuchtturm auf der Irland zugewandten Inselseite geschieht, was Danny vorausgesagt hat. Der Himmel reißt auf, das gelbe Donegal-Licht prasselt herunter und als wir um eine Ecke biegen, liegt die ganze Küste in blauem Schimmer vor uns, die Felsen im Wasser wie ein aufblühender Schärengarten und der Blick reicht so weit, dass man den steilsten Felsrücken Irlands sieht: Den Sleave League.
    "Und auch wenn die Sonne manchmal runtergeht über Donegal, man hat die tollsten Farben. Von rot bis ultraviolett, das kann unheimlich schön sein. Und von Tag zu Tag ist es ganz anders. Und die Klippen in Sleave League, bei Glencollumbkill, das kann man am besten von Aranmore sehen. Weil die kommen aus dem Atlantik hoch - wie ein großer, ganz alter Druide steht dieser Berg da. Und die sind mächtig und groß und man muss vor denen Respekt haben."
    Am anderen Tag wird es Zeit, dem dritten der Druidenberge in Donegals Norden einen Besuch abzustatten – dem Errigal. Wer glaubt, dass es auf dem Weg in den Norden auch nur einmal etwas länger geradeaus gehen sollte, müsste durchs Landesinnere fahren. Das aber wäre jammerschade um diesen schönen irischen Fandango von Danny, mit dem man fast tänzerisch die Kurven entlang der Küste nimmt. Weite weiße Strandsicheln und Dünenlandschaften tun sich auf, und entlang des Wegs verträumte Steinbrücken, normannische Türme, Cottagedörfer, Meeresarme bei Ebbe und Flut, Mövengeschrei an kleinen Häfen, Fish and Chips in nostalgischen Pubs und gesprächige, nette Leute, wo immer man einkehrt. Bis sich wieder die große Weite auftut.
    "Die gälisch sprechende Region, das heißt Gaeltacht. Und die findet man in Donegal in die Berge. Wenn man in Gweedore in der Nähe von Mount Errigal ist, das ist eine sehr starke Gegend mit einer sehr starken Gealtacht immer gewesen. Und eine sehr stolze Bevölkerung da."
    Dort, wo die Bevölkerung so besonders stolz ist, ragt wie eine Pyramide der Errigal aus dem Torfmoor als würde er die Nachfahren der irischen Hochkönige immer wieder zu sich rufen. Denn Donegal, wie es Danny besingt, heißt auf gälisch Tyr Connaill. Ein gewisser Niall, genauer Niall von den neun Geiseln, der im 4. Jahrhundert in dieser Gegend lebte und von dem die meisten Hochkönige Irlands abstammen, vererbte das Land seinem Sohn Connel. Tyr Connaill, das Land des Connel, wurde zu Donegal. Auch Danny ist, wie er sagt, von der Mutterseite her, einer von Nialls Nachfahren.
    Langsam geht die lange Teestunde zu Ende. Und noch nicht erzählt haben wir von einem verrückten Schloss und dem prachtvollen Garten des Glenveagh Nationalpark. Von einem Landsitz namens Castle Grove, wo man in den Suiten irischer Dichterpaten schlafen kann. Vom kleinsten Dorf, das je zur Filmkulisse wurde. Von einem gälischen Dichter, einem verwegenen Mühlenbesitzer, einem Hund, der "Pfeffer" hieß und bei einem Bootstrip als einziger nicht seekrank wurde, von schwarzen Schafen und einem Bett, das "Shakedown" genannt wird. Aber darüber können Sie die Leute in Donegal auch selbst befragen. Liebend gerne werden sie mit Ihnen einen chat abhalten, denn jeder kennt fast alles und jeden dort.