Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Stradivaris Erben

Dem vollkommenen Klang einer Stradivari erliegen seit Jahrhunderten Musikliebhaber, Geigenbauer und Virtuosen. Die Instrumente aus der Werkstadt von der Piazza San Domenico sind der Gipfel der Geigenbaukunst; der Mythos um ihren großen Klang wurde nie ganz gelüftet.

Von Kirstin Hausen | 03.01.2009
    Ist es der Lack? Das Holz? die Form? Die Decke! Stark gewölbt und aus feinstem Fichtenholz, der Boden aus bestem Ahorn, elegant geschwungene f-Löcher, 35,5 Zentimeter lang, 21 Zentimeter breit - soweit die Maße, aber der Mythos lässt sich nicht vermessen. Was macht diese alten Geigen und Celli aus Cremona zu solchen Klangwundern, dass sie Dir mit einem Bogenstrich die Seele aus dem Leib ziehen? Stradivari; schon der Namen ist Musik! Guarneri und Amati heißen die beiden anderen berühmten Geigenbauerdynastien aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Mit dem Geheimnis ihrer Kunst beschäftigen sich bis heute Physiker, Chemiker, Mathematiker und Musiker aller Herren Länder. Und in Cremona? Da wird der Wohlklang kultiviert. Wird angeknüpft an das Jahrhunderte alte Erbe der Geigenbaukunst: 131 Geigenbaumeister arbeiten in der kleinen Stadt im Süden der Lombardei.
    In alter Tradition werden Resonanzköper geschaffen, Zargenkränze geschnitten und Wirbel geschnitzt. Wie bei Bissolotti.


    Reportage Bissolotti - eine Geigenbauerfamilie aus Tradition
    Brille, weißer Bart, eine Schürze vor dem Bauch - Francesco Bissolotti arbeitet an seiner 523. Geige - und philosophiert dabei über den Unterschied zwischen Männern und Frauen.

    "Der Klangkörper der Geige ist ja dem Frauenkörper nachempfunden"

    Vielleicht geht Francesco Bissolotti deshalb so zärtlich mit seinen Instrumenten um. Seit mehr als 50 Jahren baut der 78-Jährige Geigen, Bratschen, Celli und manchmal auch einen Kontrabass.

    "Wenn ich keine Geigen mehr bauen kann, will ich lieber sterben. Ich kann einfach nicht ohne den Geigenbau leben, so wie ich auch nicht ohne Frauen leben kann."

    In die Augen des Alten tritt ein schelmischer Glanz, früher muss er ein großer Verführer gewesen sein. Charismatisch und eigenwillig ist er auch heute noch. Die Geige, die er baut, wird kein Modell a la Stradivari, sondern eine Camillo Camilli.

    "90 Prozent der Kunden wollen ein Stradivari-Modell. Stradivari kennt man sogar am Nordpol, dabei gibt es auch noch andere sehr gute Geigenbauer. Zum Beispiel Gasparro di Salò, der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Brescia lebte. Er kümmerte sich nicht so sehr um die Ästhetik der Geige, auch weil er noch nicht so feine Werkzeuge hatte wie später Stradivari, aber seine Geigen haben einen wundervollen Klang. Das Problem ist, dass kaum jemand seine Modelle kennt und wenn wir ein solches Modell verkaufen, müssen wir ein Zertifikat mit ein paar Erklärungen dazu legen."

    Diese Begleittexte schreibt Francescos ältester Sohn Marco. Er sitzt vier Meter von seinem Vater entfernt auf einem Hocker. In den Händen hält er einen kleinen Holzblock, aus dem er eine Spiralwindung herausarbeitet.

    "Das hier ist mein Platz. Ich habe begonnen, eine Schnecke auszustechen. Hier, man erahnt gerade einmal die in sich gedrehte Form. / Die Schnecke ist der Beweis für die handwerklichen Fähigkeiten des Geigenbauers"

    Entsprechend behutsam geht Marco zu Werke. Er schabt mehr als das er sticht: haudünne Holzspäne fallen zu Boden.

    "Die Schnecke war ein klassisches Ornament im Barock. mit dem man auch den Abschluss des Wirbelkastens einer Geige verziert hat. Sie bildet die Spiraldrehung nach, die von Alters her Symbol für Einheit und Unendlichkeit, für das Universum ist."

    Marco Bissolotti ist 50 Jahre alt, wirkt aber mit seinen Pausbacken und den fröhlichen Augen deutlich jünger. Er sitzt nahe des Fensters. Regentropfen laufen am Glas herunter. In der Werkstatt ist es schummrig. Täglich sechs bis acht Stunden sitzt Marco hier im Schein der Lampe.

    "Ich bin mit Geigen um mich herum aufgewachsen. Geigen, Hölzer, Lacke, das war die Welt, in die ich hineingeboren wurde. / Aber als ich groß war, wollte ich als einziger von uns Brüdern etwas ganz anderes machen im Leben. Ich habe nach der Schule an der Universität studiert, Psychologie, und habe dann auch einige Jahre als Psychologe gearbeitet. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass diese handwerkliche Arbeit des Geigenbauens doch sehr interessant ist und mich immer mehr dafür begeistert."

    Die Schleifmaschine ist eines der wenigen elektrischen Geräte in der Werkstatt.

    "Wir arbeiten immer noch so wie im 17, 18. Jahrhundert. Das Holz kaufen wir bereits in der passenden Größe zugeschnitten, aber alles andere ist reine Handarbeit."

    Stolz hebt der 78-jährige Francesco Bissolotti den Kopf . Er denkt zurück an seine Kindheit in Soresina, einem kleinen Ort nicht weit von Cremona, wo er dem Onkel in der Schreinerwerkstatt half.

    "Mit elf Jahren habe ich begonnen, Geige zu spielen, ich wollte Geiger werden. Aber dann brach der Krieg aus und nach dem Krieg fragte mich meine Mutter, wie ich denn vom Geige spielen leben wollte. Ich habe trotzdem weiter Stunden genommen, allerdings nur noch als Hobby. Und nebenbei habe ich versucht, mir selbst eine Geige zu bauen. Mein Musiklehrer hat das gesehen und mich auf die Idee gebracht, die Geigenbauschule zu besuchen."

    Gerade einmal fünf Schüler hatte die Schule damals, Anfang der 50er Jahre. Der Geigenbau war aus der Mode, galt als Beruf ohne Zukunft.

    " Der Direktor von damals wollte die Schule schon schließen, aber ich habe protestiert und immer wieder betont, wie wichtig es sei, die Tradition des Geigenbaus fortzuführen. Ich war schon damals überzeugt davon, dass Cremona wieder zu seinem alten Glanz zurückfinden und an die glorreichen Zeiten im 18. Jahrhundert anschließen wird. Man hielt mich für einen Verrückten, für einen von gestern."

    Heute gibt es in Cremona wieder mehr als 130 Geigenbauer. So renommiert und international bekannt wie die Bissolottis sind aber nur wenige.

    "Unsere Geigen verkaufen wir weltweit. / In früheren Jahren gingen unsere Instrumente nach Deutschland oder in die USA, inzwischen vor allem nach Fernost: Japan, China. Die Chinesen exportieren selbst eine Menge Geigen, aber sie kaufen auch welche bei uns. Natürlich nur die besten, und dann versuchen sie, diese zu kopieren, ja, so läuft das."

    Marco lächelt und schaut hinüber zu seinem Bruder Vincenzo, dem Dritten hier in der Werkstatt. Vincenzo hat bisher still an seinem Instrument gearbeitet, jetzt schaltet er sich in die Unterhaltung ein.

    "Ich versenke mich richtig in meine Arbeit. Da könnte sogar Claudia Schiffer neben mir stehen, das würde mich nicht interessieren."

    Vincenzo greift zu einer Feile, fast ein Dutzend hat er vor sich liegen. Lange, kurze, grobe, feine.

    Behutsam feilt er die geschwungenen F-Löcher, die der Geige nicht nur zur Zierde dienen, sondern den Ton freigeben.

    "Je nach Modell verändern sich die F-Löcher. Stradivari hatte eine ganz bestimmte Form, Guernieri auch, ich mache hier gerade das Modell Stradivari von 1705."

    Es ist das Modell, das unter Kennern als die perfekte Geige gilt. Bestellt hat sie ein Solist aus Osaka. Kaufpreis: 10.000 Euro.

    "Ich mache diese Arbeit nicht des Geldes wegen, ich meine, natürlich muss man davon auch anständig leben können, aber das Geld ist nicht der springende Punkt für mich. Mir geht es um dieses Gefühl, dieses Glücksgefühl. / Eine Geige bauen ist ein bisschen so wie heiraten. Nur dass diese ganz besondere Beziehung nicht endet, wenn das Instrument fertig ist. Ich übertrage meine Liebe auf die nächste Geige, die ich baue. Und widme ihr meine ganze Aufmerksamkeit. Das fängt beim Holz an, das ich auswähle. Für mich hat jedes Stück Holz sein eigenes Gesicht, wie die Menschen. Man muss also das passende Gesicht aussuchen für die Geige. Ich weiß schon beim Holzkauf, welches Geigenmodell ich daraus bauen werde."

    Die meisten der rund 500 noch erhaltenen Geigen aus der Werkstadt Antonio Stradivaris haben im Laufe der Jahrhunderte viel mitgemacht. Sie sind oft repariert worden, ganze Holzteile wurden ausgetauscht und so der Klang verfälscht. Einige Experten halten nur noch zehn Stradivaris für wirklich große Geigen! Eine von ihnen ist im Besitz von Anne Sophie Mutter. Die meisten Guarneris, Amatis und Stradivaris sind entweder in den Händen großer Virtuosen - manchmal auch als Leihgabe einer Stiftung - oder sie liegen unbespielt in dem Safe einer Japanischen Bank. Bei Christies fiel der Hammer für eine Stradivari bei dem Gebot von 3,5 Millionen Dollar.

    Ein Orchester-Musiker kann sich die aristokratischen Saiteninstrumente Cremonas nicht leisten. Aber es muss ja auch nicht immer eine Stradivari sein... und ein kleiner Trost, selbst die haben in der Regel eine Schwachstelle, einen Ton, der nicht von reiner Schönheit und großer Tragkraft ist.

    Für die Klangentwicklung spielen viele Komponenten eine Rolle, da sollte die Wölbung der Decke dünn genug sein, um schnell zu Schwingen, die Stellung der F-Löcher muss stimmen und der Stimmstock selbst richtig platziert sein. Der Stimmstock, überträgt die Schwingung von der Decke auf den Boden des Instruments, wenn er ein wenig von der rechten Position abrückt hat das misstönende Frequenzstörungen zur Folge.


    Eine Dreiecksbeziehung - Eine Musikerin, ihre Bratsche und der Geigenbauer
    Eine Frau, ein Mann - und ein Problem. Die Bratsche von Martina Novella hat einen Wolf.

    Mit krauser Nase streicht sie immer wieder die eine Saite an.

    Martina presst die Lippen zu einem Strich zusammen.

    Er soll es richten. Er ist Restaurator für antike Instrumente. Bernard Neumann, Sohn eines deutsch-französischen Ehepaares, geboren in Italien. Er ist Ende 30, trägt einen Wollpullover und Cordhosen. Ein unscheinbarer Mann - wären da nicht seine eindringlichen blauen Augen. Aufmerksam lauscht er dem Klang.

    So geht das eine halbe Stunde lang. Bernard sagt wenig und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Dann nimmt er selbst den Bogen in die Hand.

    Dann stellt er die Diagnose:

    "Zwischen diesen zwei Noten sitzt der Wolf. Das heißt, dass der Ton sich fast bricht, es hört sich fast an wie ein Röcheln."

    Grund dafür: die Luft im Klangkörper vibriert besonders stark auf einer Note, der ureigenen Note Instrumentes. Das schafft Probleme beim Spiel. Und bringt Martina zur Verzweiflung.

    Bernard nimmt die Bratsche und verschwindet mit ihr im Hinterzimmer. Martina schaut auf ihre leeren Hände. Dann streicht sie sich die Haare nach hinten und zupft an einer Ponysträhne. Ihr Blick hängt an der geschlossenen Tür.

    "Es ist, als wäre ich mit ihr beim Arzt. Ich habe ein fürsorgliches, ja mütterliches Verhältnis zu meiner Bratsche. Sie ist mein "Kind", das klingt vielleicht verrückt, aber so ist es. Wenn ich einkaufen gehe, drehe ich mich ständig um, als würde mir etwas fehlen, ich vermisse dann meine Bratsche, die zu Hause liegt. Sie ist ein Teil von mir geworden, anders kann ich es nicht beschreiben."

    Martina spielt in einem Orchester in Mailand. Morgens probt sie zuhause, nachmittags mit den Kollegen und abends sind die Konzerte. In Mailand und Umgebung. Heute Abend geht es nach Pavia. Premiere im Stadttheater "Teatro Fraschini" - bis dahin muss die Bratsche wieder klingen.

    "Vielleicht bin ich nicht ganz richtig im Kopf, aber ich habe ihr einen Namen gegeben, manchmal spreche ich auch mit ihr"

    Carlotta heißt die Bratsche, die Bernard nun in Behandlung hat. Sie ist nicht das einzige Instrument, das Martina heute morgen ins Auto gepackt und nach Cremona gebracht hat. Carlotta hat noch eine jüngere Schwester: Anna. Eine brandneue Bratsche, die in ihrer Farbe an flüssigen Honig erinnert.

    "(Lacht laut auf) Mit dem Namen ist sie geboren, ich hab sie gesehen und mich sofort verliebt."

    Anna ist erst wenige Wochen alt und muss noch "eingespielt" werden. Martina nimmt sie aus dem Kasten und spielt, als wolle sie sich ihre Unruhe vom Leib musizieren.

    Im Hinterzimmer liegt Carlotta, die Bratsche, auf dem Operationstisch. Bernard schiebt eine Art Essstäbchen durch das rechte F-Loch und stochert im Inneren des Klangkörpers herum.

    "Ich habe mich entschieden, die Note, die zwischen Saitenhalter und Steg angeschlagen wird, zu verschieben. Das ist in etwa die Note, die Martina so ärgert. Vielleicht bewirkt das etwas. Wenn das nichts bringt, muss ich den Stimmstock verschieben."

    Der dünne Stimmstock aus Fichtenholz wird innen zwischen Decke und Boden des Instrumentes eingeklemmt. Es sorgt für Stabilität und beeinflusst den Klang.

    "Geigenbauer, die vor allem neue Instrumente anfertigen, haben nicht so eine Routine im Herstellen und Einsetzen von Stimmstock und Steg wie wir. Wir sind auf Restauration und Einstimmen der Geigen spezialisiert."

    Bernard hält sich die Bratsche ganz nah ans Ohr und zupft die Saiten leicht an.

    "Jetzt gehen wir nach vorne und probieren aus, ob der Wolf verschwunden ist."

    Martinas Gesicht entspannt sich.

    Acht Stunden später steht Martina inmitten ihrer Kollegen vom Orchester in einem katakombenähnlichem Raum unterhalb der Bühne des Stadttheaters von Pavia. Carlotta, die Bratsche, liegt in ihrem Kasten. Noch eine halbe Stunde bis Konzertbeginn.

    "Natürlich bin ich aufgeregt, es ist ja auch eine Premiere heute Abend."

    Einige Musiker sitzen bereits auf ihren Stühlen und spielen sich ein. Martina kaut an einem mitgebrachten Brötchen.

    Noch einmal schlucken und dann geht's los.

    Das harte Ahornholz, dass die Venezianer zu Galeeren-Ruder verarbeiteten hatte auch Andrea Amati für sich entdeckt: es eignet sich hervorragend für den Boden der Streicher, den Hals und den Steg. Für die Geigendecke ist die elastische Qualität des Fichtenholzes besser. Gutes Resonanzholz muss vor allem homogen und gleichmäßig dicht sein. Von Amati wird gesagt, er sei durch die Alpen gestreift und habe Bäume beklopft, um zu hören, wie ihr Holz klingt. Von dem Wissen des großen Amati profitierten die nachfolgenden Geigenbauergenerationen. Sein Ur-Enkel Nicola Amati war der Lehrmeister Antonio Stradivaris, der wiederum gab sein Wissen weiter an seine Söhne.

    Heute lernen die angehenden Geigenbauer ihr Handwerk auf der "Internationalen Handwerkschule für Geigenbau und Schreinerei" in Cremona. Dem Ruf der großen Geigenbauer folgen Koreaner ebenso wie Österreicher, Argentinier und Italiener.

    Gegründet wurde die renommierte Schule ein Jahr nach Stradivaris 200'stem Todestag im Jahr 1938. Derzeit lernen rund 200 Schüler aus 50 Nationen die Kunst des Geigenbaus im Dunstkreis der großen Namen, suchen das Geheimnis des brillanten Klangs zwischen Ahornholz, Lackmixturen und Vermessungstechnik:



    Die Geigenbauschule
    Halb elf am Morgen. Die Grosse Pause ist gerade vorbei. Zwei Jungen mit asiatischen Gesichtszügen rauchen noch ihre Zigarette zu Ende bevor sie die Treppe in den Zweiten Stock nehmen.

    Die Wände sind hoch, von manchen bröckelt der Putz: die angehenden Geigenbauer residieren im "Palazzo Raimondi", einem Adelspalais aus dem 15. Jahrhundert.

    Die beiden Asiaten und ein weiterer Nachzügler klopfen an, bevor sie die Klasse betreten. Aus Respekt vor dem Lehrer, der hier nicht Lehrer heißt, sondern "maestro". Maestro Giorgio Scolari, ein untersetzter Mann mittleren Alters, dreht nur kurz den Kopf, wie an Verspätungen gewöhnt.

    "Diese Schule hier hat ihre eigenen Gesetze. Ständig kommt jemand herein und jemand anders geht, weil er zum Beispiel im Lager etwas holen muss. Das ist hier keine klassische Schule, wo die Schüler still in ihren Bänken sitzen, hier wird handwerklich gearbeitet."

    An beiden Seiten des Raumes ziehen sich Werkbänke lang. Alle zwei Meter: ein Arbeitsplatz mit Holzschemel und Werkzeugen, die in gerader Reihe an der Wand hängen. Eine Laubsäge, ein Hammer, viele Feilen, noch mehr Hobel. Acht Plätze sind besetzt in dieser Klasse von Giorgio Scolari. Er geht zu einem der asiatischen Jungen, der an einer Art Geigenschablone aus Holz arbeitet. Um sie herum wird der Zargenkranz geformt.

    "Er konstruiert die Form, das ist eine zeitaufwändige und heikle Sache, weil mit Hilfe dieser Form später der Umriss der Geige gebaut wird. Mit der Form fängt alles an, sie ist essentiell. Er muss also ständig überprüfen, ob die Maße stimmen, die Form muss perfekt ,sein."

    Masahiro hört dem Maestro zu und nickt mehrmals. Besonders heftig bei dem Wort "perfekt".

    "Darum bin ich schließlich nach Italien gekommen", sagt er. Masahiro ist 24 Jahre alt und aus Tokio. Maestro Scolari nennt ihn kurz Masa, seine italienischen Mitschüler haben daraus "Masanello" gemacht.

    Maestro Scolari blickt zum nächsten Schüler. Matthias: Franzose, 25 Jahre alt.

    Er ist bereits weiter fortgeschritten in seiner Arbeit. An der Geigenschablone hat er kleine Holzklötzchen befestigt, die später helfen, den Druck, der auf die Geige beim Spielen ausgeübt wird, abzufangen. Nun bepinselt er diese Klötzchen mit Leim, um den hauchdünnen Zargenkranz, also den schön geschwungenen Umriss des Instrumentes, daran festzukleben.

    Maestro Scolari hilft ganz selbstverständlich mit. Er rät dazu, mehr Leim aufzutragen.

    Matthias wischt sich über das gerötete Gesicht. Ihm ist warm geworden. Matthias ist ausgebildeter Geiger. Nach sechs Jahren hat er sich von der Bühne zurückzogen.

    "Wer die Musik liebt und das Handwerkliche, so wie ich, der endet im Geigenbau, das ist ganz logisch."

    Der Maestro steht bereits beim nächsten Schüler. Auf seiner Stirn: eine steile Falte.

    Die Wölbung der Geigendecke ist nicht exakt. Hier muss nachgehobelt werden. Maestro Scolari zeigt dem jungen Mann, wo er den feinen Hobel ansetzen soll.

    "Ich habe einen sehr vertrauten Umgang mit meinen Schülern, sie dürfen nicht den Mut verlieren."

    Währenddessen wird im oberen Stockwerk lackiert. Dafür hat die Geigenbauschule einen eigenen Raum. An den Wänden: Glasvitrinen mit Geigen in den verschiedensten Schattierungen. Von bernsteinfarben bis braunrot. Auf einem Tisch in der Mitte stehen alte Marmeladen-Gläser mit hellen und dunklen Flüssigkeiten. Die Lacke.

    "Der Lack ist ungeheuer wichtig. Er hat zwei Funktionen. Zum einen schützt er das Holz. Und außerdem gibt er dem Instrument sein charakteristisch warmes Timbre. Eine Geige ohne Lack klingt nicht sehr angenehm für das menschliche Ohr. Ein gut lackiertes Instrument bekommt dagegen einen idealen Klang"

    Der Maestro taucht seinen Pinsel in den Lack und fährt mit Schwung den Zargenkranz der Geige auf seinen Knien nach. So gekonnt sieht es bei den Schülern noch nicht aus.

    "Diese hier bekommt einen rötliche Ton", " murmelt eine Frau mit grauen, kurzgeschnittenen Haaren. Die einzige Schülerin in der Klasse.

    " "Rot ist groß in Mode, weil es den Japanern gefällt", " bemerkt ihr Nachbar mit feinem Lächeln. Sein Pinsel fährt etwas zu langsam über das Holz. Es bilden sich Klümpchen. Der Maestro korrigiert wortlos die Handbewegung.

    Im Erdgeschoss des Palazzo Raimondi beginnt der Musikunterricht. Hier werden keine Geigen gebaut, sondern gespielt. Die angehenden Geigenbauer müssen wenigstens die Grundlagen des Geigenspiels beherrschen, wie sollen sie ihre Instrumente sonst prüfen?

    Die meisten spielen jedoch sehr gut, wenn sie die fünfjährige Ausbildung an der Geigenbauschule beginnen. Pflicht ist es nicht. auch wer noch nie eine Saite mit dem Bogen berührt hat, kann angenommen werden.

    Weich und dennoch kräftig, auch leise von großer Tragweite und in der Höhe kein Quietschen, kein Winseln nicht mal im Flageolett. Die großen Geigen Stradivaris haben diesen vollen Klang, bei dem die Obertöne bei Schwingungen um die 2000 Hertz besonders gut verstärkt werden. Auch wenn die Form und Farbe bei Stradivaris Streichern variieren, weichen sie aber nie vom berühmten "Goldenen Schnitt" ab.

    Die Violine und ihre Verwandten sind aus annährend 80 Teilen zusammengesetzt. Die Haupteile sind der hohle Resonanzkörper, Hals und Wirbelkasten. Das haben alle Streicher gemeinsam, ansonsten gibt es große Unterschiede.


    Jung und modern - die deutsche Geigenbauerin
    Die Musik kommt von oben. Aus dem dritten Stock, wo Hildegard Dodel lebt und arbeitet. Die Tür steht offen.

    Hildegard kommt mit einer Tasse Tee aus der Küche.

    " Ich mach mal leiser, dann können wir uns besser unterhalten."

    Sie dreht an der Stereoanlage und stellt ihre Tasse auf einem Tisch ab. Neben eine funkelnagelneue Geige auf einem Metallständer.

    "Die ist fertig. Geigenbautechnisch ist sie fertig. Also, ich bin am Lackieren. Die hab ich hier im Eingangsbereich stehen, nachdem ich sie lackiert hab, damit nicht Staub aus der Werkstatt drauf kommt. Die trocknet einfach hier und bevor ich morgens anfange an meiner Bratsche, die ich im Augenblick baue, lackier ich die."

    Hildegard Dodel setzt sich ihrer Geige gegenüber und betrachtet sie. Trotz eines harmonischen Gesamteindrucks wirkt das Instrument kantiger als die antiken Meister-Geigen.

    "Tja, ist ja auch keine Stradivari, sondern meine Geige. Und ich find's so schön. Solange es nicht spieltechnisch stört, dieser Eckenverlauf, das heißt, der Bogen muss sich frei im C-Bügel, so heißt's wo die Geige so schmal wird in der Taille, muss natürlich ohne Probleme laufen ohne dass sich die Bogenhaare in den Ecken verkannten. Aber das hab ich natürlich im Vorhinein berücksichtigt beim Planen des Modells, das gibt es keine Probleme."

    Hildegards Augen blitzen. Sie baut ihre Geigen nicht detailgetreu nach dem Modell Stradivaris, sie baut Geigen, wie es ihr passt. Und verkauft sie längst nicht jedem.

    "Mir hat mal ein Zahnarzt, der wollte eine Geige von mir kaufen, nur um eine Wertanlage haben, der konnte nicht spielen. Ich hab sie nicht verkauft, ich hab gedacht, nee, das ist mir zu schade, die soll schon gespielt, wenn auch von jemandem, der nicht gut spielt, aber mit Freude spielt. Aber sie nur auf dem Schrank rumliegen zu haben, das fand ich doch traurig."

    Ihre erste Geige baute Hildegard mit 19 Jahren in einer Werkstatt im Schwarzwald. nach Stationen in Norddeutschland, Holland und Spanien ist die 38-Jährige in Cremona angekommen. In den ersten drei Jahren hatte sie mit einem befreundeten Geigenbauer eine gemeinsame Werkstatt. Inzwischen arbeitet sie zuhause.

    "Ich wollte nicht mehr in der Werkstatt mit jemandem zusammenarbeiten, weil das oft ist, dass die Leute reinkommen und denken, dass ich da angestellt bin als Putzfrau, Sekretärin, Fremdsprachenkorrespondentin oder ich weiß nicht was, aber nicht als Geigenbauerin mit mehr Erfahrung als mein Geigenbaubekannter."

    Hildegard verzieht den Mund bei der Erinnerung.

    "Bis vor 25, 30 Jahren war es ja gar nicht üblich, dass eine Frau diesen Beruf ausübte. Man muss doch mit beiden Ellenbogen sich durchsetzen und vor allem im Bild der Musiker, im Kopf einfach dreifach so gut sein, um das zu erzielen, was ein Mann ja ganz einfach hinkriegt."

    Inzwischen ist auch "Hildegard Dodel" ein Name in der Zunft.

    "Das letzte Instrument ging nach Süddeutschland, der Musiker ist höchstbegeistert und schreibt mir dauernd E-Mails (lacht) wie er sich wohl fühlt auf der Geige und dass er endlich Sachen machen kann, die er nie vorher auf seiner auch schönen englischen alten Geige machen konnte."

    Je älter, desto kostbarer - das gilt für Geigen, dank ihres Antiquitätenwertes. Wer ein neues Instrument kauft, bezahlt dagegen allein die Qualität der Arbeit.

    "Es sind viele Geigenbauer, die heutzutage kopieren, auch den Lack auf alt machen. Sicher ist das angenehm, so ein gebrauchtes Instrument zu sehen, vielleicht sieht's auch ein bisschen kalt aus so ein neues, aber ich denk, wenn der Musiker das spielt, kriegt es seinen eigenen Abtrag und Stradivari hat auch neue Geigen gebaut. Die sind erst in 300 Jahren alt geworden. Und so werden meine auch in 300 Jahren ausschauen."

    Der Boden zwischen Mailand und Parma ist fruchtbar, das flache Land ist durchzogen von Flüssen: dem Po und der Adda und vielen Kanälen, aus denen zu dieser Jahreszeit oft Nebel aufsteigt der auch am Tag nicht weicht. Mittendrin liegt Cremona. Und neben dem Dom steht, auch im Dunst gut sichtbar, der höchste Campanile Italiens.

    Der lateinische Dichter Vergil ging hier auf das Gymnasium und Monteverdi wurde in Cremona geboren. Doch die Piazza, neben dem Rathaus heißt nicht etwas Piazza Cavour - wie in fast jeder italienischen Stadt - noch ist sie nach dem Dichter oder Monteverdi benannt. Nein. Sie heißt Piazza Stradivari!


    Die Besucher-Gruppe
    Der Domplatz von Cremona. Eine Besuchergruppe bestaunt die Marmor-Fassade des Kirchenbaus. Dann folgt sie ihrem Stadtführer ins Innere.

    Die Fresken dort im südlichen Querschiff begründen den Ruhm Cremonas als Sixtinische Kapelle des Norden."

    Igelschnitt, dunkle Augen, Hände, die durch die Luft fliegen - der Stadtführer zeigt hierhin und dort hin, die Blicke folgen.

    Dann sind die zwölf Besucher auch schon wieder draußen. Die Zeit drängt. In wenigen Minuten ist Termin im Rathaus auf der gegenüberliegenden Seite des Domplatz.

    Hier warten bereits Giorgio Toscani, Dezernent für Landwirtschaft und Tourismus in Cremona und seine Mitarbeiter. Er ist selten pünktlich, aber heute hat er besonders wichtige Gäste. Durch das Fenster sieht er die Besuchergruppe den Platz überqueren. Es sind Reiseveranstalter aus Deutschland, die Cremona besichtigen, um die Stadt eventuell in ihre Pauschalreisekataloge aufzunehmen. Eine große Chance, glaubt Giorgio Toscani.

    "Wir wollen Besuchern aus Deutschland Pauschalreisen anbieten, um ihnen einen Teil Italiens zu zeigen, den sie vielleicht noch nicht kennen."

    Der Mittvierziger rückt seine Krawatte zurecht. Vor ihm liegen Informationsbroschüren mit großformatigen Fotos: Cremonas Domplatz voller Menschen, Cremonas traditionelle Kaffeehäuser, Cremonas Stadttheater, und: Cremonas Geigen.

    "Der cremoneser Geigenbau ist dank der großen Meister Stradivari, Amati, Guerneri del Gesù, sehr bedeutend. Das wollen wir nutzen, um unsere Stadt Cremona bekannt zu machen. Die Geigenbauer sind unser Aushängeschild. Ihre Arbeit zieht das Interesse auf sich und vielleicht auch auf unsere Stadt und ihre Umgebung."

    Giorgio Toscani wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. An dem Besichtigungsprogramm von heute haben seine Mitarbeiter tagelang gearbeitet. Der Höhepunkt des Ganzen steht kurz bevor.

    Der Stadtführer eilt ihm auf der Rathaustreppe entgegen. Im Laufen preist er die Söhne der Stadt.

    "Es stimmt, Stradivari ist wohl der berühmteste unter allen Geigenbauern, aber wir sagen immer: ohne Andrea Amati hätten wir nie einen Stradivari gehabt. "

    Seine zwölf Zuhörer stutzen. Die lange (betont) Geigenbautradition Cremonas ist ihnen neu. Einer aus der Gruppe stiehlt sich durch die Hintertür davon. Die anderen betreten den Rathaus-Saal.

    Giorgio Toscani macht einen Schritt nach vorn, dann überlegt er es sich anders und überlässt dem engagierten Stadtführer das Wort.

    " "'Lliutaio' , also Geigenbauer, heißt auf italienisch eigentlich 'Lautenbauer' , und das hat den Grund, dass man hier in Cremona schon vor den Geigen Lauten gebaut hat. Man suchte nach einem Instrument, das leichter zu spielen sei, weil man an den Höfen Europas 1500 Tanzmusik haben wollte und die Laute war für Gesangbegleitung passend. Und aus diesem Grund hat die Geige einen unheimlichen Erfolg gehabt. Dank unsrem Andrea Amati, das wollen wir immer unterstreichen, denn wir haben die Konkurrenz bei Brescia, der Gasparro di Salò. Also man nennt immer diesen Namen Gasparro di Salò als den Erfinder der Geige, aber der ist 50 Jahre nach unserem Andrea Amati geboren und deshalb ist das schon Pfusch irgendwie."

    Er verteidigt sie gut, die Ehre Cremonas. Die Besucher schmunzeln. Man sitzt, die Beine lässig übereinandergeschlagen und wartet. Verstohlen drückt sich der Mann, der zum WC musste, durch die Tür. Ein Blick aus dem Augenwinkel: und er ist registriert.

    "Ich glaube, wir sind jetzt vollzählig. Dann geht es gleich los."

    Aus dem angrenzenden Raum kommt ein Mann in schwarzem Anzug. In der Hand hält er: eine Geige. Eine echte Stradivari.

    "Was wir jetzt hören, ist die Stradivari aus dem Jahr 1715, das ist wenn nicht die schönste Geige, eine der schönsten überhaupt."

    Die Besucherrücken richten sich auf, skeptische Blicke werden weich, kein Tuscheln mehr, nur noch Hören.

    Die Atmosphäre im Raum ist plötzlich eine Andere. Alles nüchtern-sachliche wird für einen Augenblick ausgeblendet. Keine Ziele, Gedanken, Urteile mehr - nur noch Hier und Jetzt.


    Literatur:
    Wolf Wondratschek: Mara. Carl-Hanser Verlag 2003