Hasnain Kazim kennt sich aus mit Angriffen gegen seine Person. In seinem Buch "Post von Karlheinz" hat der Sohn indisch-pakistanischer Eltern beschrieben, welche wütenden Mails von "richtigen Deutschen" er im Laufe seiner Karriere als Journalist erhalten und was er geantwortet hat. Aktuell arbeitet Kazim für den "Spiegel" als Korrespondent in Österreich. Den Fall von Sigi Maurer hat er von Anfang an begleitet.
Die ehemalige Grünen-Politikerin hatte im Frühjahr 2018 den Screenshot einer an sie gerichteten privaten Facebook-Nachricht öffentlich gemacht. "Hallo du bist heute bei mir beim Geschäft vorbei gegangen und hast auf meinen Schwanz geguckt als wolltest du ihn essen", hieß es darin unter anderem. Der mutmaßliche Absender, ein Wiener Bierhändler, stritt das ab, klagte – und Maurer wurde wegen übler Nachrede verurteilt.
Wegweisendes Urteil aus Wien?
"Ich bin überzeugt, dass der Kläger lügt", stellte der Richter damals zwar fest. Nur sei nicht zweifelsfrei festzustellen, ob nicht auch ein anderer vom Facebook-Account des Bierhändlers die Nachrichten verschickt haben könnte. Maurer hätte sich im Sinne der "journalistischen Sorgfaltspflicht" darüber vergewissern müssen.
Maurer ging danach in Berufung – und hatte Erfolg: Der Prozess muss wiederholt werden, entschied am Dienstag das Oberlandesgericht Wien. Es sei im ersten Urteil nicht ausreichend gewürdigt worden, dass die Nachrichten vom Computer und vom Facebook-Account des Privatanklägers versendet wurden, hieß es seitens des Gerichts. Außerdem sei nicht beachtet worden, dass bei der Beurteilung des Wahrheitsbeweises "eine gewisse Lebensnähe zu beachten" sei.
"Ich bin zuversichtlich, dass ich diesmal gewinne", kommentierte Maurer auf Twitter die Entscheidung. "Es bestätigt sich auch meine Wahrnehmung und die vieler Beobachter_innen dass die Urteilsbegründung absurd war."
Klagen - und aufmerksam machen auf das Thema
Auch Hasnain Kazim begrüßt das Urteil. Auf Twitter kündigte er an, nun auch verstärkt gegen die Verfasser von Hassbriefen vorgehen zu wollen. Er habe "juristische Schritte" gegen zehn Personen in Deutschland in die Wege geleitet. Aus seinen bisherigen Erfahrungen damit wisse er aber auch, dass er nicht mit einem Erfolg rechnen könne, sagte Kazim im Deutschlandfunk. Bei vier seiner bisherigen sechs gestellten Strafanzeigen sei ihm mitgeteilt worden, "man habe den Absender gar nicht ermitteln können". In zwei Fällen hätten die mutmaßlichen Verfasser erklärt, "sie wären es gar nicht gewesen".
Der juristische Weg sei für ihn auch nicht der erste, betont Kazim. Zunächst suche er immer den Dialog. Doch das Urteil aus Österreich sei für ihn "ein Signal, dass man vielleicht auch in Deutschland zu der Erkenntnis kommt, dass Leute, von deren Computer aus Hassnachrichten verschickt werden, dass die auch zur Rechenschaft gezogen werden für das, was sie schreiben". Aus seinem Umfeld wisse er, dass Klagen auch Erfolg haben könnten. Und er wolle Aufmerksamkeit für das Thema erzeugen.
Auch andere Journalistinnen und Journalisten haben in der Vergangenheit immer wieder Angriffe gegen ihre Personen – bis hin zu Morddrohungen – im Netz beklagt. Und viele ziehen inzwischen dagegen vor Gericht. Nicole Diekmann vom ZDF zeigte sich gerade erst in einem Tweet erfreut darüber, dass die "meisten justiziablen Drohungen gegen mich aus dem Januar von Twitterern mit Klarnamen verfasst" worden seien. Und kündigte an: "Bald gibt's Post."
Ermittlungen "verlaufen häufig im Sande"
Grundsätzlich gebe es in Deutschland rechtliche Möglichkeiten für Journalisten und andere Betroffene, sagt der Berliner Anwalt für Presserecht, Christian-Oliver Moser. Dank des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) könnten Ermittlungsbehörden Plattformen wie Facebook und Twitter und so die Verfasser von Hassnachrichten erreichen, sagte Moser im Gespräch mit @mediasres. Doch praktisch würde "Hate Speech" häufig "als Straftaten eingestuft, die nicht von so hoher Bedeutung sind, und deshalb häufig eingestellt werden und im Sande verlaufen". Im Internet sei es leicht für Personen, ihre wahre Identität zu verstecken.
Moser hatte Noah Becker, den Sohn von Boris Becker, bei seiner Klage gegen den AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier vertreten. Unter dem Twitter-Account Maiers war Noah Becker Anfang 2018 rassistisch beleidigt worden. Strafrechtlich wurden die Ermittlungen gegen Maier eingestellt, weil ein Mitarbeiter des AfD-Politikers die Verantwortung für den Tweet übernommen hatte.
In einem zivilrechtlichen Verfahren entschied das Landgericht Berlin dagegen, "der Account-Inhaber haftet für das, was er ins Internet stellt", erklärt Moser. "So als hätte er die Beleidigungen selbst ausgesprochen." Maier wurde zu einer Schmerzensgeldzahlung an Noah Becker verurteilt, gegen die der er wiederum in Berufung gegangen ist.