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Strafen in Maßen

Verhaltensforschung. - Wer klaut, muss weniger Strafe fürchten, als jemand, der einen anderen tötet. Schon lange vermuten Forscher, dass derselbe Grundsatz auch im Tierreich gilt, doch ein Nachweis dafür war schwer zu bekommen. Eine Londoner Biologin hat es jetzt an Putzerfischen aus Australien nachgewiesen.

Von Katrin Zöfel |
    Im glasklaren Wasser des Great Barrier Reefs vor der Nordostküste Australiens schwimmen sie alle: riesenhafte Rochen, Napoleonfische, Doktorfische, Muränen und Haie. Wer sie sehen will, sucht am besten dort, wo Putzerfische ihre Dienste anbieten. Kleine, schlanke, blau-gelbe Fische mit dicken schwarzen Seitenstreifen. Kommt eine großer Fisch an ihre Putzstation, schwärmen sie eifrig um ihren Kunden herum.

    "Die Putzerfische entfernen alle Parasiten von der Hautoberfläche der großen Fische. Sie liefern also eine Art Reinigungsservice."

    Es ist eine Kooperation zwischen groß und klein, sagt Nichola Raihani, Biologin am Zoological Institute in London. Die großen Fische werden sauber dabei, die Putzerfische ernähren sich von den Parasiten. Ein Gewinn für beide Seiten. Mit einer Einschränkung.

    "Die Putzerfische fressen dabei eine Art von Futter, die sie eigentlich gar nicht mögen."

    Viel lieber würden sie die großen Fische beißen und ein Stück Mucus fressen, eine zähe Schleimhaut, die die Körperoberfläche fast aller großen Fische überzieht. Mucus ist nahrhafter als die meisten Parasiten. Doch wagt ein Putzerfisch einen solchen Biss, ist der große Fisch meist schnell weggeschwommen, der Biss stört ihn oder tut sogar weh. Die Nahrungsquelle ist fort, und das nicht nur für den einen Putzerfisch, die ganze Putzerstation muss auf neue Kundschaft warten. Deshalb achten Putzerfische untereinander penibel darauf, dass kein Kollege die Kundschaft vergrault. Dabei sind die Rollen klar nach Geschlechtern verteilt.

    "Das Männchen kann machen, was es will, es wird nie von einem Weibchen bestraft. Wenn ein Weibchen aber etwas falsch macht, kann sie sicher sein, dass das Männchen sie jagen wird, und versucht sie zu beißen."

    Nichola Raihani wollte nun herausfinden, ob die Strafe variiert, je nachdem wie vielversprechend der Kundenfisch war, der durch einen Biss vertrieben wurde. Sie fing deshalb Putzerfischpärchen am Riff ein und setzte sie ins Aquarium. Als Ersatz für den Kundenfisch dienten Plastikteller, auf denen schmackhafte Happen aus Garnelen neben weniger attraktiven Fischfutterflocken lagen. Jedes Mal, wenn ein Putzerfisch die Garnelenspeise anging, zog die Forscherin den Teller weg. Nach nur wenigen Versuchen wussten die Fische Bescheid und beschränkten sich meist auf die Futterflocken. Raihani variierte nun die Attraktivität der Futterteller: auf großen Tellern war mehr Futter zu holen als auf kleinen Tellern. Und tatsächlich

    #"Wenn Weibchen einen wertvollen Fisch – also im Experiment einen großen Teller –verscheuchten, straften die Männchen härter."

    Die Weibchen wiederum passten ihr Verhalten schnell dem Strafmaß an. Hatten sie es mit einem aggressiven, hart strafenden Männchen zu tun, verhielten sie sich in Zukunft angepasster. Weibchen mit sanftmütigeren Partnern dagegen erlaubten sich eher einen Fehltritt.

    "Das ist wirklich spannend, denn bisher hat noch keiner ein solch flexibles Verhalten bei einem anderen Lebewesen als dem Menschen beobachtet."

    Doch damit nicht genug der Anpassungsfähigkeit. Die Art von Putzerfischen, mit denen Nichola Raihani arbeitet, hat eine Besonderheit. Alle Fische dieser Art kommen als Weibchen zur Welt. In einer Gruppe von Fischen wechselt stets der größte sein Geschlecht und wird zum Männchen. Wachsen die Weibchen der Gruppe dann langsam heran, machen sie dem Männchen mehr und mehr Konkurrenz. Überrundet schließlich eines den Chef, wechselt es sein Geschlecht und vertreibt ihn. Je größer ein Weibchen also ist, umso eher ist es eine Gefahr für den Boss der Putzertruppe. Und er weiß das.

    "Das Männchen achtet ganz genau auf diese Größenunterschiede. Wenn ein Weibchen fast genauso groß ist wie er, reagiert er viel aggressiver, als gegenüber kleinen Weibchen."

    Ein fein abgestuftes, hierarchisches System. Damit Strafe als Ordnungsmittel funktioniert, brauche es dieses Gefälle der Macht, sagt die Forscherin. Denn gleich starke Partner bekämpften einander häufig, anstatt sich anzupassen und zu kooperieren. Ihr älterer Forscherkollege Tim Clutton-Brock von der Universität Cambridge stimmt zu.

    "Es ist ein schönes Experiment, das zeigt, wie wichtig Strafen in größeren Gemeinschaften sind, um das Verhalten von anderen zu lenken und einzuschränken."