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Straffes Korsett für schlanke Taillen

Bauwerke aus Beton sehen oft klobig und massiv aus. Das muss nicht sein. Bauingenieure aus Kassel haben einen Hochleistungsbeton angerührt, der so fest ist, dass man viel weniger Baumaterial braucht. Brücken aus dem neuen Beton sind deshalb viel leichter und filigraner als bisher.

Von Anne Johann |
    Ich bin hier mal ein bisschen hochgesprungen. Die Brücke antwortet mir. Die schwingt nämlich ein ganz kleines bisschen,

    sagt Professor Ekkehard Fehling von der Universität Kassel.

    Das ist aber auch kein Wunder, weil das eine sehr schlanke Konstruktion ist. Aber das Schwingen ist nicht schädlich, es zeigt eher, die Brücke lebt.

    Die Fußgängerbrücke, um die es geht, ist zwölf Meter lang und führt über den Bach Nieste in der Nähe von Kassel. Die Konstruktion wirkt filigran und leicht. Sie besteht aus so genanntem ultrahochfesten Beton. Dieser zeigt, so der Leiter des Fachgebiets Massivbau

    Festigkeit weit oberhalb fünf bis zehn mal mehr als das, was normaler Beton, den man im Bauwesen meinetwegen für Einfamilienhäuser verwendet, haben würde. Das zweite ist, dass er eine unheimliche dichte Struktur hat, dass also kaum Poren und Hohlräume drin sind.

    Wie bei herkömmlichen Beton. Normaler Beton besteht aus Sand, Zement, Wasser und Kies oder Splitt, dem so genannten Zuschlag. Der muss für das neue Baumaterial feinkörniger sein, deshalb wird meist Sand verwendet.

    Der ultrahochfeste Beton wird zusätzlich mit Mikrosilica hergestellt. Das ist Siliziumdioxid in ganz feiner pulverförmiger Form. Die einzelnen Körnchen dieses Mikrosilica sind kugelförmig. Wie kleine Glaskugeln, ganz superkleine Glaskugeln.

    Dieser Silicastaub ist feiner als Zement. Es kommt aber nicht nur auf die Größe der Teilchen an, sondern auch darauf, wie sie gepackt sind.

    Und dann müssen wir schauen, dass in den Zwischenraum zwischen zwei großen Körnern immer das nächst kleinere hineinpasst.

    Flüssigkeiten und Gase können deshalb kaum eindringen. Dadurch ergibt sich eine neue Möglichkeit, den Beton mit Stahl zu verstärken. Der Stahl wird nicht wie üblich in Stangenform eingebaut, sondern in Form von dünnen Drahtstücken, die in den Beton hineingemischt werden. Die hohe Dichte des neuen Betons kann aber auch zum Problem werden - wenn es brennt: Das im Beton enthaltene Wasser verdampft bei den hohen Temperaturen und kann nicht entweichen. Der Dampfdruck im Innern des Betons nimmt so stark zu, dass Betonstücke abplatzen.

    Die Lösung des Problems: In den Beton werden Kunststofffasern eingemischt. Sie verschwelen bei Temperaturen von 170 Grad Celsius. Die entstehenden Hohlräume bieten dem Wasserdampf im Brandfall genügend Raum.

    Der Kunststoff gibt nach, und dadurch muss der Beton nicht nachgeben und kann da bleiben, wo er ist, und bleibt stabil.

    Der neue Hochleistungsbeton mit Stahlfasern ist sehr haltbar und belastbar - und daher gut geeignet zum Brückenbau. In Kassel erlebt der Beton nun den zweiten Praxistest. Die Bauingenieure erneuern die Gärtnerplatzbrücke, die über die Fulda führt. Die Brücke für Fußgänger und Fahrradfahrer wurde vor 20 Jahren aus Holz gebaut und ist inzwischen so morsch, dass sie zum Teil gesperrt ist.

    Diese Brücke, die wir jetzt als Ersatz für die alte Brücke bauen wollen, soll auf den alten Pfeilern, die noch in sehr gutem Zustand sind, errichtet werden. Und das bringt es mit sich, dass diese Brücke nicht viel schwerer sein darf als die alte Holzbrücke. Eine normale Betonbrücke wäre viel schwerer.

    Auf sieben Pfeilern gestützt überspannt sie die Fulda in sechs Bögen, 120 Meter lang und viereinhalb Meter breit. Zusammengesetzt aus Fertigteilen, die mit einem Kunststoffkleber verleimt werden.

    Im Sommer soll dann mit der Vorfertigung für die neue Brücke und der Stahlteile, die wir dafür brauchen, begonnen werden und im Herbst mit der Montage hier auf der Baustelle.

    Ultrahochfester Beton ist so neu, dass es für ihn noch keine DIN-Vorschriften gibt. Die in Kassel geplante Brücke darf deshalb nur mit einer Sondergenehmigung gebaut werden.

    Die neue Brücke wird sehr filigran aussehen. Sehr durchsichtig, transparent. Und wir denken, dass damit die Leichtigkeit, die mit dem neuen Baustoff UHPC, ultrahochfestem Beton, möglich ist, auch sichtbar wird.