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Strahlentor über dem Nordpol

Umwelt. - Ging es um das Ozonloch, dann war vor allem die Rede von der Antarktis, über der das ultraviolette Strahlung filternde Gas immer mehr schwindet. Jetzt warnen aber Forscher des in Bremerhaven, eine ähnliche Entwicklung zeichne sich auch in der Arktis immer mehr ab. Denn hier fressen trotz Emissionsregelungen schädliche Verbindungen am Schutzpanzer der Atmosphäre.

    Seit Jahren bestehen klare Bestimmungen zu Klimakillern wie beispielsweise den berüchtigten Fluorchlorkohlenwasserstoffen, die den Ozonschild in luftiger Höhe anfressen. Doch damit ist das Problem keineswegs beseitigt, denn die schädlichen Chlor- und Bromverbindungen sind ausgesprochen langlebige Substanzen, die auch ohne weiteren Nachschub aus irdischen Fabriken Ozon noch auf lange Sicht beseitigen und damit den Weg für UV-Strahlung aus dem All immer weiter öffnen werden. Eine andere Komponente stellt ein gewaltiger, sehr stabiler atmosphärischer Wirbel der südpolaren Nachtphase dar. Das meteorologische Gebilde liefert mit seinen extremen Tieftemperaturen beste Bedingungen für die Zersetzung der Ozonmoleküle. Im Norden liegt die Sache indes etwas anders: über der Arktis spielt sich ein sehr viel regeres Treiben in den verschiedenen Luftschichten ab. Zwar besteht auch hier ein Polar-Wirbel, doch verhält er sich sehr viel launischer als sein südliches Pendant. In diesem Winter gibt sich der Strudel ausgesprochen ruhig und kalt und plustert sich auch auf beträchtliche Ausmaße auf. Damit nähert sich die Situation antarktischen Verhältnissen an und nährt unter Experte Befürchtungen, entsprechend könnte auch der Ozonzerfall im hohen Norden zunehmen.

    Neue Messungen des europäischen Wetterspähers "Envisat" zeigen, so berichten Atmosphärenchemiker, dass große Mengen bestimmter Chlorverbindungen in weiten Bereichen über der Arktis vorhanden sind. Normalerweise liegen sie als so genannte Reservoirverbindungen vor, die den Strahlenschutz nicht angreifen können. Durch die besonders kalte meteorologische Situation werden diese Speicher aber aktiviert und zeigen sich prompt auf den Messbildern der Erdbeobachter beim Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Seit 1995 habe sich der Teppich der Klimakiller-Verbindungen nicht mehr so sehr ausgedehnt wie in diesem Winter, so die AWI-Forscher. Ein weiteres Indiz sehen sie in den sehr tiefen Temperaturen von bis zu Minus 85 Grad Celsius in der entscheidenden Atmosphärenschicht zwischen 15 und 20 Kilometern Höhe. Als Folge bildeten sich so genannte Stratosphärenwolken, die aus Wasser und Salpetersäure oder aber aus einfachem Eis bestehen können. Diese "kalten Riesen" sind es, die die Ozonzerstörer in ihren Reservoirs wecken. Mit einer Fläche von drei Millionen Quadratkilometern erreichen die Eiswolken derzeit eine Ausdehnung, die jene aus dem Winter 1999/2000 um das fünffache übertrifft. Damals wurden jedoch die bislang größten arktischen Ozonverluste überhaupt gemessen.

    Zwar seien in diesem Winter ähnliche Bedingungen für einen großen Ozonschwund über der Arktis gegeben, doch dazu müsse es nicht zwangsläufig auch kommen. Weil sich der Prozess bis in den März hinzieht, könne eine Erwärmung der Atmosphäre eine dramatische Entwicklung möglicherweise abwenden. Dazu müssten wärmere Luftmassen aus südlichen Breiten nach Norden vordringen und hier die Luft in kritischer Höhe erwärmen. Hält aber die Kaltphase weiter an, rechnen Experten erneut mit großen Verlusten an Höhenozon.

    [Quelle: Volker Mrasek]