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Straßenverkehr
Paris schafft Rotlicht für rechtsabbiegende Radfahrer ab

An 1.805 Pariser Ampeln dürfen Radler künftig auch bei Rotlicht rechts abbiegen. Kommt eine Stichstraße von links darf man ebenfalls geradeaus weiter fahren, auch wenn die Ampel auf Rot steht. Gute Idee, sagen viele auch in Deutschland. Kritiker hingegen befürchten, dass es dann zu einem Verkehrschaos kommen könnte.

Von Cornelius Wüllenkemper | 25.08.2015
    Radfahrer warten an einer Ampel in der Oranienstraße am Görlitzer Bahnhof in Kreuzberg in Berlin.
    Wäre die Regelung auch für Deutschland übertragbar und praktikabel? (dpa / picture alliance / Özlem Yilmazer)
    Schon wieder ein deutscher Autofahrer, der die Pariser Regeln nicht zu kennen scheint. 3,6 Kilometer durch den dichten Berliner Mittagsverkehr, sieben rote Ampeln, die ich als Rechtsabbieger – testweise - missachte.
    "Also, wenn man's nicht ganz genau nimmt, 14 Minuten!"
    Vierzehn Minuten und ziemlich viel Stress im Verkehr, um zum Sprecher des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs ADFC zu kommen, René Filippek. Freie Fahrt für Fahrradfahrer beim Rechtsabbiegen, eine gute Idee, findet er.
    "Ampeln sind eingeführt worden, um das Gefährdungspotenzial von Autos einzudämmen. Durch so eine Regelung könnte man erreichen, dass der Radverkehr flüssiger wird, es werden auch Konflikte vermieden, gerade mit Autofahrern. Denn wenn Auto und Radfahrer gleichzeitig an Ampeln losfahren, kommt es eben häufig zu solchen Konflikten. Aber wenn die Ampel bereits geräumt ist von Radfahrern, haben es auch Autofahrer leichter."
    Als Autofahrer kennt man die Situation, wenn ein Pulk Fahrradfahrer vor einem an der Ampel das zügige Losfahren verhindert und es zur Drängelei kommt. Dieses Problem ist auch in einigen Städten in den Niederlanden, in Dänemark und sogar im schweizerischen Basel bekannt. Dort hat ein Versuchsprojekt mit liberaler Rotlichtregelung für Fahrradfahrer bewiesen, dass es "zu deutlich weniger Konflikten zwischen Velos und Motorfahrzeugen kam und die Regelung auch bei Fußgängern gute Akzeptanz fand". Unfälle gab es keine.
    Ob man als Radfahrer wirklich merklich schneller ans Ziel kommt, will ich als Nächstes ausprobieren. Die gleichen 3,6 Kilometer zurück, dieses Mal halte ich an jeder Ampel vorschriftsgemäß.
    Wer bremst, verliert Zeit
    Kaum zu glauben, aber wahr: Kurz vor dem Ende des Versuchs lande ich in einer Polizeikontrolle für Fahrradfahrer. Zum Glück habe ich alles richtig gemacht. Auf Nachfrage erklärt mir einer der Polizisten seine Ansichten zur neuen Rotlichtregelung in Paris.
    "Weiß ich nicht, ob das so vorteilhaft ist alles. In Paris fahren sie ja nu eh ziemlich wild alle, dann ist man das als Autofahrer von vornherein schon gewohnt auf alles zu achten. Das ist ja ähnlich wie in Italien, da kennen die ja auch keine rote Ampeln."
    Aha. Eines steht fest: Wer sich stoisch an alle Regelungen hält, muss deutlich mehr Zeit einplanen.
    "Bei sieben roten Ampel und einer kurzen Kontrolle sind wir bei 18 Minuten."
    Fast ein Drittel langsamer als auf dem Hinweg mit liberaler Rotlichtregelung. Dafür komme ich aber entspannter an. Was in anderen Ländern bereits funktioniert, so meint auch der Sprecher der Berliner Polizeigewerkschaft Steve Feldmann, dafür ist der deutsche Verkehr noch nicht bereit.
    "Ich glaub, das ist eine Mentalitätsfrage. Wie tickt denn der Deutsche? Rechthaberisch im Straßenverkehr, ohne Ende. Mag es in Paris funktionieren, schauen wir aufmerksam hin, sehr interessiert. Aber ich glaube, für Deutschland ist das nicht realistisch, aufgrund der Rechthaberei der Verkehrsteilnehmer."
    Vorbehalte in Berliner Senat
    Da könnte etwas Wahres dran sein: Auf dem großen Pariser Kreisverkehr am Arc de Triomphe, auf den zwölf Stichstraßen ohne eine einzige Ampel treffen, kommt es so gut wie nie zu Unfällen – man guckt einfach und fährt wenn frei ist.
    Der Kreisverkehr am Moritzplatz in Berlin Kreuzberg, auf den gerade einmal vier Stichstraßen ohne Ampel zulaufen, gilt als Unfallschwerpunkt, gerade für Fahrradfahrer. Sechs Radfahrer sind in diesem Jahr in Berlin bereits zu Tode gekommen, drei von ihnen wurden beim Rechtsabbiegen im toten Winkel von Pkw oder Lastwagen überrollt. Eine Unfallursache, die durch die liberale Rotlichtregelung definitiv minimiert würde. Im Berliner Senat hält man dennoch nichts von einer neuen Regelung für Rechtsabbieger, denn schon die bestehenden Regeln würden nicht konsequent befolgt. Im Klartext: Der Berliner Radfahrer macht eh, was er will.
    "Okay, da muss ich mal kurz lachen. Ähm, ich glaube allerdings, das ist kein Alleinstellungsmerkmal für die Radfahrer, das ist auch ein Merkmal, das viele Verkehrsteilnehmer, gerade hier in Berlin kennzeichnet, um übrigen auch den Senat!"
    Geltende Regeln beachten
    Meint dazu Steve Feldmann von der Polizeigewerkschaft. In Deutschland dürfte es also noch etwas dauern, bis eine liberale Rotlichtregelung für Radfahrer durchgesetzt werden kann.
    Vielleicht sollte man sich bis dahin einfach an Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung halten. Dort heißt es: "Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht."