Kuwait City - die große Drehscheibe der US-Armee. Über die Militärbasis Ali al Salem werden jene Soldaten in den Irak geflogen, mit denen George Bush die bedrängte Streitmacht im Irak entlasten will. Specialist Giovianni Aouruz wirft noch einen letzten Blick auf die Palmen hinterm Rollfeld. Dann schließt sich die Ladeluke der Herkules-Transportmaschine. Anders als viele seiner Kameraden, weiß er ziemlich genau, was ihn erwartet.
"Scharfschützenfeuer, Mörserbeschuss, Angriffe mit Panzerfäusten, auch Molotow-Cocktails haben wir abbekommen, die Bandbreite ist ziemlich groß. Ein Freund von mir ist schon gefallen. Sein Humvee ist auf einen Sprengsatz draufgefahren, hat sich überschlagen und ihn sofort getötet. Ende November bin ich dann selbst mit meinem Fahrzeug hochgegangen. Es gab einen Verletzten. Danach durfte ich erst mal Urlaub machen. Während ich zu Hause war, ist mein Sergeant umgekommen."
"
"Everybody's got their ID's back? Military, just military. This time, if you live on the local FOB's, ‘Liberty', ‘Victory', ‘Striker', ‘Slayor', you got transportation ... - everyone else stand back.” "
Reform der irakischen Regierungsstrukturen, eine neue Außenpolitik: Verhandlungen mit Syrien und dem Iran, um im Irak den Terrorismus einzudämmen - so lauteten die Empfehlungen der Kommission, die unter Vorsitz von Ex-Außenminister James Baker die US-Strategie im Irak neu definieren sollte. Der Präsident entschied sich anders. Mit einer Aufstockung der Truppen und einem neuen Sicherheitskonzept will George Bush die Lage in den Griff bekommen. Zu diesem Zweck ernannte er für den Irak einen neuen Oberkommandierenden, General Petraeus, einen Vietnam-erfahrenen Spezialisten für Aufstandsbekämpfung. Außerdem entsandte er 21.500 zusätzliche Soldaten in den Irak. Gleich nach ihrer Ankunft am Militärflughafen von Bagdad werden die frischen Truppen zu Sammelstellen geleitet und von dort zu ihren Einsatzorten transportiert.
An einem davon, im Herzen des sunnitischen Dreiecks sitzen Corporal Bailey und Spezialist Fogg auf ihrem windumtosten Wachturm und blicken auf das 30.000 Einwohner starke Sunniya. Verstärkung könnten sie gut gebrauchen, denn Sunniya ist eine besondere Stadt: Hier soll sich das neue Sicherheitskonzept beweisen. Fogg und Bailey erleben das gerade hautnah mit. Alles begann damit, dass Ende vergangenen Jahres ein guter Freund durch eine Landmine getötet wurde.
"Corporal Chris Mason. Der witzigste Typ in unserm ganzen Zug. Er hat alle anderen bei Laune gehalten. Sogar am Tag, bevor wir zu diesem Einsatz rausgefahren sind. Uns allen war klar, dass es so viele Landminen gab wie nie zuvor. Deshalb machte Mason uns mit einem Lied Mut, das er sich ausgedacht hatte: Passt auf, passt auf, steigt bloß nicht drauf - oder so ähnlich. Ein Spaßvogel. Wenn er den Mund aufmachte, waren alle still. Er konnte uns richtig zum Lachen bringen... "
Für Lieutenant Colonel Harris war mit dem Tod von Chris Mason die Toleranzgrenze überschritten. Der Kommandeur der bei Sunniya stationierten Task Force Panther, beschloss, an dieser Stadt ein Exempel zu statuieren. Aber wie? Lieutenant Colonel Harris suchte Rat im neuen Leitfaden zur Aufstandsbekämpfung, der Ende 2006 erschienen ist. Kurz vor seiner Ernennung zum Oberkommandierenden im Irak hatte General Petraeus darin seine Kenntnisse der Kriegsgeschichte und seine eigenen Erfahrungen in Vietnam und am Tigris zusammengefasst.
"Säubern, Stabilisieren, Aufbauen - wenn Sie wissen, was das heißt: genau das wenden wir dort an. Wir hatten Grund zur Annahme, dass die Stadt den Terroristen als Etappe diente, die von Westen, aus der Wüste in diese Gegend kommen. Ende Oktober 2006 war es schon soweit, dass sämtliche Polizeikräfte aus Sunniya geflohen waren, Terroristen hatten die Polizeistation in die Luft gesprengt. Der Gemeinderat und der Bürgermeister waren ebenfalls davongelaufen. Es gab weder Recht noch Ordnung. Dann wurden auch noch einige meiner Soldaten dort getötet. An diesem Punkt haben wir uns entschlossen, die Stadt hermetisch abzuriegeln. 600 irakische Soldaten und zwei- bis dreihundert meiner Truppen begannen, die Stadt zu säubern. Dabei sind uns dreißig bis vierzig Terroristen ins Netz gegangen. Jetzt befinden wir uns auf Stufe zwei dieses Prozesses, beim Stabilisieren. Sunniya ist von allen Zugängen abgeschnitten, außer von einer Zufahrt, die wir kontrollieren. Es ist zur 'Gated Community' geworden."
Das Konzept der 'Gated Community' geht auf die Ideen Mao Tse Tungs zurück. Ein Aufständischer, meinte der "Große Vorsitzende", muss sich unter der Bevölkerung bewegen können wie ein Fisch im Wasser. Stimmt! sagt heute General Petraeus. Deshalb muss man ihm das Wasser entziehen. In Vietnam hatte die US-Armee aus diesem Grund militärisch verteidigte Wehrdörfer errichtet, eine Strategie, die aus Sicht von Petraeus veraltet ist. Der neue Leitbegriff 'Gated Community', bedeutet sinngemäß etwa: 'Gemeinwesen mit geregeltem Zugang'. Um es aufzubauen, gilt es in einem ersten Schritt herauszufinden, wer überhaupt zur Bevölkerung einer Stadt oder eines Dorfes gehört.
Lieutenant Fennell, ein 24-jähriger Offizier kniet im Wohnzimmer einer sunnitischen Familie, neben ihm sein Dolmetscher und sein Schriftführer: Wie viele Kinder gibt es hier, will er wissen. Wie viele Jungen, wie viele Mädchen? Wie viele Frauen, wie viele Männer leben in diesem Haushalt?
""Is there more than one tribe here?”"
Auch die Herkunft wird festgehalten. Der Hausbesitzer gehört zu den Dschannábi einem der wichtigsten Sunnitenstämme.
Um die begehrten Ausweise für Sunniya zu bekommen, sammelt sich allmorgendlich eine lange Schlange von Bewerbern vor einem Zelt am Stadteingang. Drei GIs und zwei Dolmetscher sitzen hier an Laptops und vergleichen alle Angaben mit den Informationen aus dem Zensus. Wer als Bewohner der Stadt anerkannt ist, wird vor dem Hintergrund der Zeltwand fotografiert und bekommt einen Ausweis ausgestellt. Die Aufgabe ist zäh und zerrt an den Nerven aller Beteiligten:
"Der ist überhaupt nicht aus Sunniya! - Wo kommst du her? - Er sagt: Er hat jemandem aus Sunniya Geld geborgt, und jetzt ist er gekommen, um es von ihm einzutreiben."
"Nein, wer einen Ausweis will, muss aus Sunniya sein. Er soll gehen. "
Grundlage dieser neuen Vorgehensweise ist die Annahme, die Bevölkerung werde die so errungene Stabilität nutzen, um wieder einem geregelten Leben nachzugehen. Rebellen würden als Störenfriede angesehen und ausgestoßen. - Lassen sich so tatsächlich "Herzen und Köpfe" gewinnen? Was in Sunniya versucht wird, stellt sich nüchtern betrachtet so dar: Eine Besatzungsmacht versucht in ausgewählten Ortschaften die Unterworfenen abzuriegeln, sie vom Widerstand zu trennen, Ruhe und Ordnung herzustellen. So will man die Iraker davon überzeugen, dass man eine bessere Gesellschaftsform, ein besseres Leben anzubieten hat. - Gibt es Beispiele dafür, dass so etwas irgendwo funktioniert, dass man so schon irgendwo den Widerstand gebrochen hat? Ja, durchaus, meint Captain Peterman, bei der in Sunniya stationierten Task Force Panther der Spezialist für Kontakte zur Zivilbevölkerung.
"Ja, und zwar in der Schlacht um Algier! Die Franzosen haben im Algerienkrieg vielleicht ziemlich archaische und drakonische Verhörmaßnahmen angewendet, das tun wir nicht. Aber die Art und Weise, wie sie die Aufständischen von der Bevölkerung getrennt haben, das war ein Schritt in die richtige Richtung. Zuerst haben sie einen Zensus durchgeführt und die Leute befragt, so haben sie ein geheimdienstlich verwertbares Bild der Einwohnerschaft erstellt. Zur gleichen Zeit haben sie sich am Wiederaufbau beteiligt und den Algeriern Hilfe angeboten. Auf diese Weise konnten sie die aufständische FLN-Bewegung in Algier knacken. Leider haben die französischen Politiker den Militärs dann nicht erlaubt, diese erfolgreichen Maßnahmen fortzusetzen. "
Captain Peterman gilt bei seiner Task Force als großer Kommunikator. Sein Spezialauftrag steht für den anderen Teil der neuen Strategie, für eine Wende um 180 Grad: Der Spezialist für zivile Angelegenheiten soll in der Region die Ex-Baathisten, die Saddam-Freunde und die verprellten Funktionäre des alten Regimes als neue Verbündete gewinnen. In Baydshi, wenige Kilometer von Saddam Husseins Heimatstadt Tikrit entfernt, ist die Ausgangslage dafür denkbar schlecht, wie einer von Petermans Leuten gerade meldet.
"Die haben hier eine Riesen-Saddam-Puppe angefertigt und sind damit durch die ganze Stadt gezogen, bis zum Friedhof. Dann haben sie die Saddam-Puppe begraben und eine Art Grabstein davor gesetzt. Jetzt gibt es hier einen Schrein für Saddam."
Captain Peterman bringt das nicht aus dem Konzept. Zielstrebig steuert er das Haus eines der Honoratioren der Stadt an, der zu Saddam Husseins Bin Nasr-Stamm gehört, und begrüßt die ganze Familie.
"Meine Anteilnahme zum Tod eures Führers. Ich verstehe, dass euer Stamm Saddam sehr nahe stand. Herzliches Beileid. Euer Schmerz ist mein Schmerz. Auch wenn er unser Feind war: Ihr seid nicht meine Feinde. Wir sind Brüder. "
Die Bin Nasr sind noch immer aufgebracht.
"Das Gericht, das Saddam Hussein verurteilt hat, bestand aus Schiiten und Kurden. Sie haben Saddam hingerichtet, weil sie Rache an den Sunniten nehmen wollten, denn Saddam ist die Symbolfigur der Sunniten. Jetzt brauchen wir eure Hilfe, wir brauchen amerikanische Truppen, damit sie uns vor den Schiiten schützen. "
Die neue Annährung an die Sunniten erschöpft sich nicht in Gesten und Worten. Das US-Außenministerium hat eine Menge Geld bereitgestellt: In der sunnitisch dominierten Salah ed-Din-Provinz sollen landwirtschaftliche Projekte gefördert, bedürftige Stämme mit Finanzspritzen unterstützt werden - besser gesagt: deren Stammesführer, die über die Verteilung zu entscheiden haben. Um den Willen zu solch einer Zusammenarbeit zu bekräftigen, hat Lieutenant Colonel Harris, der Kommandeur der Task Force Panther, den sunnitischen Gouverneur der Salah-ed-Din-Provinz zum Essen eingeladen, gemeinsam mit dem Vizegouverneur und dem Polizeichef - beide bekannte Exbaathisten. Es könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein, findet Harris:
"Gouverneur Shekti, Herr Abu Mahsen und General Hamid haben wesentlich dazu beigetragen, gemeinsam mit uns ein paar gute Dinge auf die Beine zu stellen. Sei es im Sicherheitsbereich oder auf anderen Gebieten. Leute wie er haben immer versucht, die Situation in dieser Provinz zu verbessern. Ja, diese Jungs arbeiten unermüdlich, sie wollen das Beste für den Irak."
Da kann der Gouverneur nur zustimmen.
"Kommandeur Harris ist unser Freund. Er hilft uns tatkräftig dabei, die Sicherheit hier zu verbessern. Es waren viele Kommandeure vor ihm da, aber Colonel Harris ist unser allerbester Freund. Colonel Harris - der ist wie einer von uns. "
Verlierer der neuen US-Politik sind im sunnitischen Dreieck diejenigen Städte, in denen mehrheitlich Schiiten wohnen, Städte wie Balad oder Dudschail. Der Gouverneur, so meinen viele Schiiten hier, spiele ein doppeltes Spiel. Er streiche Geld ein und drangsaliere dann die schiitischen Ortschaften. Um die Bevölkerung der Schiitenstädte für die Rolle der schiitischen Milizen bei der Hinrichtung von Saddam Hussein zu bestrafen, kreisten bewaffnete Sunniten Schiitenstädte wie Dudschail regelrecht ein, erklärt ein Bewohner der Stadt, einige Kilometer südlich von Balad. Ob mit Wissen des Gouverneurs, ob gegen seinen Willen - das wisse niemand.
"Wir wollen Benzin. Und wir brauchen etwas zu essen. Aber wir haben Angst, die Stadt zu verlassen, um selber Nahrung zu beschaffen. Wann immer wir die Provinzregierung um etwas bitten, kommt zuerst die Frage, seid ihr Sunniten oder Schiiten? Wenn es jemand wagt, die Bahngleise vor der Stadt zu überschreiten, wird er umgebracht. Meine Familie lebt in Balad, ich kann sie nicht besuchen. "
Spät abends legen sich die Soldaten, die heute den Zensus in Sunniya durchgeführt haben, in einem großen Mannschaftszelt zur Ruhe. Das Zelt steht im Hof einer geschlossenen Schule, es regnet, es ist kalt. Ein Generator pustet durch einen dicken Schlauch Warmluft ins Innere, wo sich in Schlafsäcken zwei Dutzend GIs aneinanderdrängen, die Schutzwesten als Kopfkissen, die Helme neben sich. Kaum einer hier ist älter als 25, einige sind erst 18 oder 19. Eine Atmosphäre wie auf einer Klassenreise. Puerto Ricaner, Ostküstler aus Boston, GIs mit asiatischen und afroamerikanischen Vorfahren - kaum eine Gruppe aus dem Schmelztiegel USA, die nicht vertreten ist. Woher man kommt, welche Religion, welchen kulturellen Hintergrund man hat - all das spielt bei der täglichen Arbeit keine Rolle. Für einen Augenblick teilt sich der Optimismus mit, mit dem George Bush und seine Mannschaft an die Demokratisierung des Irak gegangen sind. Spielt es denn wirklich eine Rolle, ob die Befreier von einer Tyrannei, ob die Geburtshelfer einer Demokratie, Schwarze oder Weiße sind, US-Amerikaner, Araber, Christen oder Muslime? Ganz nette Überlegungen, meint First Sergeant Kowalczyk, ein hünenhafter Kahlkopf Anfang 30, einer der Ältesten im Zelt. Aber:
"Das ist kein Krieg, den man gewinnen oder verlieren kann. Wir haben gleich zu Anfang Riesenfehler gemacht, und unsere Verantwortlichen haben sie nicht schnell genug korrigiert. Wir haben das irakische Militär vollständig aufgelöst, die irakische Polizei. Wir haben ihre Wirtschaftsressourcen zerstört, wir haben ihre Ölproduktion, ihren Export zum Stillstand gebracht. Das hat die Leute ins Elend gestürzt, das hat den Aufstand angefacht. Selbst wenn wir noch 20 Jahre hier bleiben - wir werden diesen Krieg nie gewinnen. Auch in 20 Jahren werden hier immer noch Straßenbomben hochgehen, Checkpoints werden in die Luft gesprengt, die Syrer, die Jordanier, die Iraner, jeder, der ein paar Fanatiker zu bieten hat, wird sie gegen uns loslassen, die Religion wird sich nicht ändern und nicht die Leute, die sie auf perverse Weise auslegen, wir werden es immer mit diesen Dschihadisten zu tun haben."
Und wenn er, Kowalczyk, mit seiner langjährigen Irak-Erfahrungen dem neuen US-Verteidigungsminister Gates etwas raten sollte, was würde er ihm sagen?
"Dem neuen Verteidigungsminister? Dem hab ich nichts zu sagen. Aber mit dem alten würd' ich gern mal ein paar Takte reden. "
"Scharfschützenfeuer, Mörserbeschuss, Angriffe mit Panzerfäusten, auch Molotow-Cocktails haben wir abbekommen, die Bandbreite ist ziemlich groß. Ein Freund von mir ist schon gefallen. Sein Humvee ist auf einen Sprengsatz draufgefahren, hat sich überschlagen und ihn sofort getötet. Ende November bin ich dann selbst mit meinem Fahrzeug hochgegangen. Es gab einen Verletzten. Danach durfte ich erst mal Urlaub machen. Während ich zu Hause war, ist mein Sergeant umgekommen."
"
"Everybody's got their ID's back? Military, just military. This time, if you live on the local FOB's, ‘Liberty', ‘Victory', ‘Striker', ‘Slayor', you got transportation ... - everyone else stand back.” "
Reform der irakischen Regierungsstrukturen, eine neue Außenpolitik: Verhandlungen mit Syrien und dem Iran, um im Irak den Terrorismus einzudämmen - so lauteten die Empfehlungen der Kommission, die unter Vorsitz von Ex-Außenminister James Baker die US-Strategie im Irak neu definieren sollte. Der Präsident entschied sich anders. Mit einer Aufstockung der Truppen und einem neuen Sicherheitskonzept will George Bush die Lage in den Griff bekommen. Zu diesem Zweck ernannte er für den Irak einen neuen Oberkommandierenden, General Petraeus, einen Vietnam-erfahrenen Spezialisten für Aufstandsbekämpfung. Außerdem entsandte er 21.500 zusätzliche Soldaten in den Irak. Gleich nach ihrer Ankunft am Militärflughafen von Bagdad werden die frischen Truppen zu Sammelstellen geleitet und von dort zu ihren Einsatzorten transportiert.
An einem davon, im Herzen des sunnitischen Dreiecks sitzen Corporal Bailey und Spezialist Fogg auf ihrem windumtosten Wachturm und blicken auf das 30.000 Einwohner starke Sunniya. Verstärkung könnten sie gut gebrauchen, denn Sunniya ist eine besondere Stadt: Hier soll sich das neue Sicherheitskonzept beweisen. Fogg und Bailey erleben das gerade hautnah mit. Alles begann damit, dass Ende vergangenen Jahres ein guter Freund durch eine Landmine getötet wurde.
"Corporal Chris Mason. Der witzigste Typ in unserm ganzen Zug. Er hat alle anderen bei Laune gehalten. Sogar am Tag, bevor wir zu diesem Einsatz rausgefahren sind. Uns allen war klar, dass es so viele Landminen gab wie nie zuvor. Deshalb machte Mason uns mit einem Lied Mut, das er sich ausgedacht hatte: Passt auf, passt auf, steigt bloß nicht drauf - oder so ähnlich. Ein Spaßvogel. Wenn er den Mund aufmachte, waren alle still. Er konnte uns richtig zum Lachen bringen... "
Für Lieutenant Colonel Harris war mit dem Tod von Chris Mason die Toleranzgrenze überschritten. Der Kommandeur der bei Sunniya stationierten Task Force Panther, beschloss, an dieser Stadt ein Exempel zu statuieren. Aber wie? Lieutenant Colonel Harris suchte Rat im neuen Leitfaden zur Aufstandsbekämpfung, der Ende 2006 erschienen ist. Kurz vor seiner Ernennung zum Oberkommandierenden im Irak hatte General Petraeus darin seine Kenntnisse der Kriegsgeschichte und seine eigenen Erfahrungen in Vietnam und am Tigris zusammengefasst.
"Säubern, Stabilisieren, Aufbauen - wenn Sie wissen, was das heißt: genau das wenden wir dort an. Wir hatten Grund zur Annahme, dass die Stadt den Terroristen als Etappe diente, die von Westen, aus der Wüste in diese Gegend kommen. Ende Oktober 2006 war es schon soweit, dass sämtliche Polizeikräfte aus Sunniya geflohen waren, Terroristen hatten die Polizeistation in die Luft gesprengt. Der Gemeinderat und der Bürgermeister waren ebenfalls davongelaufen. Es gab weder Recht noch Ordnung. Dann wurden auch noch einige meiner Soldaten dort getötet. An diesem Punkt haben wir uns entschlossen, die Stadt hermetisch abzuriegeln. 600 irakische Soldaten und zwei- bis dreihundert meiner Truppen begannen, die Stadt zu säubern. Dabei sind uns dreißig bis vierzig Terroristen ins Netz gegangen. Jetzt befinden wir uns auf Stufe zwei dieses Prozesses, beim Stabilisieren. Sunniya ist von allen Zugängen abgeschnitten, außer von einer Zufahrt, die wir kontrollieren. Es ist zur 'Gated Community' geworden."
Das Konzept der 'Gated Community' geht auf die Ideen Mao Tse Tungs zurück. Ein Aufständischer, meinte der "Große Vorsitzende", muss sich unter der Bevölkerung bewegen können wie ein Fisch im Wasser. Stimmt! sagt heute General Petraeus. Deshalb muss man ihm das Wasser entziehen. In Vietnam hatte die US-Armee aus diesem Grund militärisch verteidigte Wehrdörfer errichtet, eine Strategie, die aus Sicht von Petraeus veraltet ist. Der neue Leitbegriff 'Gated Community', bedeutet sinngemäß etwa: 'Gemeinwesen mit geregeltem Zugang'. Um es aufzubauen, gilt es in einem ersten Schritt herauszufinden, wer überhaupt zur Bevölkerung einer Stadt oder eines Dorfes gehört.
Lieutenant Fennell, ein 24-jähriger Offizier kniet im Wohnzimmer einer sunnitischen Familie, neben ihm sein Dolmetscher und sein Schriftführer: Wie viele Kinder gibt es hier, will er wissen. Wie viele Jungen, wie viele Mädchen? Wie viele Frauen, wie viele Männer leben in diesem Haushalt?
""Is there more than one tribe here?”"
Auch die Herkunft wird festgehalten. Der Hausbesitzer gehört zu den Dschannábi einem der wichtigsten Sunnitenstämme.
Um die begehrten Ausweise für Sunniya zu bekommen, sammelt sich allmorgendlich eine lange Schlange von Bewerbern vor einem Zelt am Stadteingang. Drei GIs und zwei Dolmetscher sitzen hier an Laptops und vergleichen alle Angaben mit den Informationen aus dem Zensus. Wer als Bewohner der Stadt anerkannt ist, wird vor dem Hintergrund der Zeltwand fotografiert und bekommt einen Ausweis ausgestellt. Die Aufgabe ist zäh und zerrt an den Nerven aller Beteiligten:
"Der ist überhaupt nicht aus Sunniya! - Wo kommst du her? - Er sagt: Er hat jemandem aus Sunniya Geld geborgt, und jetzt ist er gekommen, um es von ihm einzutreiben."
"Nein, wer einen Ausweis will, muss aus Sunniya sein. Er soll gehen. "
Grundlage dieser neuen Vorgehensweise ist die Annahme, die Bevölkerung werde die so errungene Stabilität nutzen, um wieder einem geregelten Leben nachzugehen. Rebellen würden als Störenfriede angesehen und ausgestoßen. - Lassen sich so tatsächlich "Herzen und Köpfe" gewinnen? Was in Sunniya versucht wird, stellt sich nüchtern betrachtet so dar: Eine Besatzungsmacht versucht in ausgewählten Ortschaften die Unterworfenen abzuriegeln, sie vom Widerstand zu trennen, Ruhe und Ordnung herzustellen. So will man die Iraker davon überzeugen, dass man eine bessere Gesellschaftsform, ein besseres Leben anzubieten hat. - Gibt es Beispiele dafür, dass so etwas irgendwo funktioniert, dass man so schon irgendwo den Widerstand gebrochen hat? Ja, durchaus, meint Captain Peterman, bei der in Sunniya stationierten Task Force Panther der Spezialist für Kontakte zur Zivilbevölkerung.
"Ja, und zwar in der Schlacht um Algier! Die Franzosen haben im Algerienkrieg vielleicht ziemlich archaische und drakonische Verhörmaßnahmen angewendet, das tun wir nicht. Aber die Art und Weise, wie sie die Aufständischen von der Bevölkerung getrennt haben, das war ein Schritt in die richtige Richtung. Zuerst haben sie einen Zensus durchgeführt und die Leute befragt, so haben sie ein geheimdienstlich verwertbares Bild der Einwohnerschaft erstellt. Zur gleichen Zeit haben sie sich am Wiederaufbau beteiligt und den Algeriern Hilfe angeboten. Auf diese Weise konnten sie die aufständische FLN-Bewegung in Algier knacken. Leider haben die französischen Politiker den Militärs dann nicht erlaubt, diese erfolgreichen Maßnahmen fortzusetzen. "
Captain Peterman gilt bei seiner Task Force als großer Kommunikator. Sein Spezialauftrag steht für den anderen Teil der neuen Strategie, für eine Wende um 180 Grad: Der Spezialist für zivile Angelegenheiten soll in der Region die Ex-Baathisten, die Saddam-Freunde und die verprellten Funktionäre des alten Regimes als neue Verbündete gewinnen. In Baydshi, wenige Kilometer von Saddam Husseins Heimatstadt Tikrit entfernt, ist die Ausgangslage dafür denkbar schlecht, wie einer von Petermans Leuten gerade meldet.
"Die haben hier eine Riesen-Saddam-Puppe angefertigt und sind damit durch die ganze Stadt gezogen, bis zum Friedhof. Dann haben sie die Saddam-Puppe begraben und eine Art Grabstein davor gesetzt. Jetzt gibt es hier einen Schrein für Saddam."
Captain Peterman bringt das nicht aus dem Konzept. Zielstrebig steuert er das Haus eines der Honoratioren der Stadt an, der zu Saddam Husseins Bin Nasr-Stamm gehört, und begrüßt die ganze Familie.
"Meine Anteilnahme zum Tod eures Führers. Ich verstehe, dass euer Stamm Saddam sehr nahe stand. Herzliches Beileid. Euer Schmerz ist mein Schmerz. Auch wenn er unser Feind war: Ihr seid nicht meine Feinde. Wir sind Brüder. "
Die Bin Nasr sind noch immer aufgebracht.
"Das Gericht, das Saddam Hussein verurteilt hat, bestand aus Schiiten und Kurden. Sie haben Saddam hingerichtet, weil sie Rache an den Sunniten nehmen wollten, denn Saddam ist die Symbolfigur der Sunniten. Jetzt brauchen wir eure Hilfe, wir brauchen amerikanische Truppen, damit sie uns vor den Schiiten schützen. "
Die neue Annährung an die Sunniten erschöpft sich nicht in Gesten und Worten. Das US-Außenministerium hat eine Menge Geld bereitgestellt: In der sunnitisch dominierten Salah ed-Din-Provinz sollen landwirtschaftliche Projekte gefördert, bedürftige Stämme mit Finanzspritzen unterstützt werden - besser gesagt: deren Stammesführer, die über die Verteilung zu entscheiden haben. Um den Willen zu solch einer Zusammenarbeit zu bekräftigen, hat Lieutenant Colonel Harris, der Kommandeur der Task Force Panther, den sunnitischen Gouverneur der Salah-ed-Din-Provinz zum Essen eingeladen, gemeinsam mit dem Vizegouverneur und dem Polizeichef - beide bekannte Exbaathisten. Es könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein, findet Harris:
"Gouverneur Shekti, Herr Abu Mahsen und General Hamid haben wesentlich dazu beigetragen, gemeinsam mit uns ein paar gute Dinge auf die Beine zu stellen. Sei es im Sicherheitsbereich oder auf anderen Gebieten. Leute wie er haben immer versucht, die Situation in dieser Provinz zu verbessern. Ja, diese Jungs arbeiten unermüdlich, sie wollen das Beste für den Irak."
Da kann der Gouverneur nur zustimmen.
"Kommandeur Harris ist unser Freund. Er hilft uns tatkräftig dabei, die Sicherheit hier zu verbessern. Es waren viele Kommandeure vor ihm da, aber Colonel Harris ist unser allerbester Freund. Colonel Harris - der ist wie einer von uns. "
Verlierer der neuen US-Politik sind im sunnitischen Dreieck diejenigen Städte, in denen mehrheitlich Schiiten wohnen, Städte wie Balad oder Dudschail. Der Gouverneur, so meinen viele Schiiten hier, spiele ein doppeltes Spiel. Er streiche Geld ein und drangsaliere dann die schiitischen Ortschaften. Um die Bevölkerung der Schiitenstädte für die Rolle der schiitischen Milizen bei der Hinrichtung von Saddam Hussein zu bestrafen, kreisten bewaffnete Sunniten Schiitenstädte wie Dudschail regelrecht ein, erklärt ein Bewohner der Stadt, einige Kilometer südlich von Balad. Ob mit Wissen des Gouverneurs, ob gegen seinen Willen - das wisse niemand.
"Wir wollen Benzin. Und wir brauchen etwas zu essen. Aber wir haben Angst, die Stadt zu verlassen, um selber Nahrung zu beschaffen. Wann immer wir die Provinzregierung um etwas bitten, kommt zuerst die Frage, seid ihr Sunniten oder Schiiten? Wenn es jemand wagt, die Bahngleise vor der Stadt zu überschreiten, wird er umgebracht. Meine Familie lebt in Balad, ich kann sie nicht besuchen. "
Spät abends legen sich die Soldaten, die heute den Zensus in Sunniya durchgeführt haben, in einem großen Mannschaftszelt zur Ruhe. Das Zelt steht im Hof einer geschlossenen Schule, es regnet, es ist kalt. Ein Generator pustet durch einen dicken Schlauch Warmluft ins Innere, wo sich in Schlafsäcken zwei Dutzend GIs aneinanderdrängen, die Schutzwesten als Kopfkissen, die Helme neben sich. Kaum einer hier ist älter als 25, einige sind erst 18 oder 19. Eine Atmosphäre wie auf einer Klassenreise. Puerto Ricaner, Ostküstler aus Boston, GIs mit asiatischen und afroamerikanischen Vorfahren - kaum eine Gruppe aus dem Schmelztiegel USA, die nicht vertreten ist. Woher man kommt, welche Religion, welchen kulturellen Hintergrund man hat - all das spielt bei der täglichen Arbeit keine Rolle. Für einen Augenblick teilt sich der Optimismus mit, mit dem George Bush und seine Mannschaft an die Demokratisierung des Irak gegangen sind. Spielt es denn wirklich eine Rolle, ob die Befreier von einer Tyrannei, ob die Geburtshelfer einer Demokratie, Schwarze oder Weiße sind, US-Amerikaner, Araber, Christen oder Muslime? Ganz nette Überlegungen, meint First Sergeant Kowalczyk, ein hünenhafter Kahlkopf Anfang 30, einer der Ältesten im Zelt. Aber:
"Das ist kein Krieg, den man gewinnen oder verlieren kann. Wir haben gleich zu Anfang Riesenfehler gemacht, und unsere Verantwortlichen haben sie nicht schnell genug korrigiert. Wir haben das irakische Militär vollständig aufgelöst, die irakische Polizei. Wir haben ihre Wirtschaftsressourcen zerstört, wir haben ihre Ölproduktion, ihren Export zum Stillstand gebracht. Das hat die Leute ins Elend gestürzt, das hat den Aufstand angefacht. Selbst wenn wir noch 20 Jahre hier bleiben - wir werden diesen Krieg nie gewinnen. Auch in 20 Jahren werden hier immer noch Straßenbomben hochgehen, Checkpoints werden in die Luft gesprengt, die Syrer, die Jordanier, die Iraner, jeder, der ein paar Fanatiker zu bieten hat, wird sie gegen uns loslassen, die Religion wird sich nicht ändern und nicht die Leute, die sie auf perverse Weise auslegen, wir werden es immer mit diesen Dschihadisten zu tun haben."
Und wenn er, Kowalczyk, mit seiner langjährigen Irak-Erfahrungen dem neuen US-Verteidigungsminister Gates etwas raten sollte, was würde er ihm sagen?
"Dem neuen Verteidigungsminister? Dem hab ich nichts zu sagen. Aber mit dem alten würd' ich gern mal ein paar Takte reden. "