Die Amerikaner waren die ersten, die nach dem 11. September mit Kirgistan über die Stationierung ihrer Streitkräfte verhandelten. Mit 1000 Militärangehörigen stellen sie inzwischen auch das größte Kontingent unter den 2000 Soldaten der Antiterrorallianz auf kirgisischem Boden. "Eine einmalige Chance für Kirgistan, auf der Weltkarte zu erscheinen und eine kostenlose Reklame dazu", sagte kürzlich in einem Interview der "Washington Post" Dscho-omart Otorbajjew, Vize-Premierminister seines Landes.
Und Werbung hat das Land zur Zeit bitter nötig. Denn es ist gerade dabei, seinen Ruf, der demokratischste Staat Mittelasiens zu sein, zu verlieren. Journalisten unabhängiger Medien werden behindert, gegängelt, zuweilen sogar bedroht. Auch Menschenrechtsverletzungen kreiden internationale Organisationen der Regierung des kirgisischen Präsidenten Askar Akajew inzwischen an.
Dabei hatte einst alles so gut begonnen, als die ehemalige Sowjetrepublik vor 11 Jahren ihre Unabhängigkeit erklärte und den renommierten Wissenschaftler Askar Akajew zu ihrem Präsidenten wählte, während ihre Nachbarstaaten lediglich auf alte kommunistische Kader als Führungspersonal zurückgriffen. Akajew zeigte sich gegenüber dem Westen aufgeschlossen. Es befürwortete ein Mehrparteiensystem und eine freie Presse. Seine Regierung war die erste in Mittelasien, die ein vom Internationalen Währungsfond IWF vorgeschlagenes Wirtschaftsprogramm annahm. 1998 erfolgte dann die Aufnahme in die Welthandelsorganisation. Aber die Unterstützung westlicher Länder und internationaler Organisationen reichte nicht aus, um die Wirtschaft des Landes zu stabilisieren.
11 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung geht es der kirgisischen Wirtschaft schlechter als je zu vor. Schuld daran ist die ausufernde Korruption, meinen die meisten Kirgisen. Und nicht zuletzt die Familie des Präsidenten sei darin tief verwickelt, behauptet der Oppositionspolitiker und Parlaments-Abgeordnete Adacham Madumarow.
Außer Korruptionsvorwürfen und drängenden wirtschaftlichen Problemen hat Kirgistan seit Anfang dieses Jahres auch noch mit politischen Unruhen zu kämpfen. Auslöser dafür war die Verhaftung eines Regionalpolitikers im Süden des Landes, die zu heftigen Demonstrationen führte. Ein Beispiel für die Abstrafung unbequemer Kritiker, meinen unabhängige Politiker und Journalisten. Genau so sahen es auch die Wähler des Abgeordneten und gingen für ihn auf die Strasse. Bilanz des wochenlangen Protestes: Sechs tote Demonstranten und die Blockade der einzigen Fernstrasse Kirgisiens, die den Süden mit dem Norden des Landes verbindet.
Nach langem Hin und Her berief Akajev eine Untersuchungskommission ein. Deren harsche Kritik kostete zwar dem Premierminister des Landes das Amt. Im nächsten Schritt aber wurden dann alle anderen an dem Vorgang beteiligten Personen rehabilitiert: die Demonstranten ebenso wie die Todesschützen und die Funktionäre, die den Schießbefehl erteilt hatten!
Diese Entscheidung wiederum führte einige Wochen später, im September diesen Jahres, erneut zu Protesten. Nur mit viel Verhandlungsgeschick konnte die Regierung eine Ausweitung der Unruhen auf das ganze Land verhindern. Derweil treibe sein zunehmend autokratischer Regierungsstil seltsame Blüten, klagt der Oppositionelle Adacham Madumarov. So berichtet er beispielsweise über den Verlauf der Debatte im kirgisischen Parlament, als es um das Stationierungs-Abkommen der US-Streitkräfte ging:
In diesem Vertragsentwurf gab es noch nicht einmal eine offizielle Übersetzung des Textes. Wenn es also keine Übersetzung des offiziellen Textes gibt, wie kann man dann verhandeln, ohne zu wissen, zu welchen Bedingungen man den Vertrag abschließt? Ich fragte den Präsidenten persönlich: "Herr Akajew, wir haben ein Reglement. Wir haben ein Gesetz über internationale Abkommen. Wir haben eine Verfassung. Sind Sie mit mir einverstanden, dass Sie durch dieses Vorgehen die Verfassungsgrundsätze verletzten? Darauf sagt er: "Ja." - Darauf ich: "Also, wie können Sie dann heute das Parlament zwingen, diese Vereinbarung zu ratifizieren?" Seine Antwort:" Verstehen Sie doch, US-Unterhändler Powell ist schon in der Luft. Er ist schon unterwegs.
Inzwischen sind die Amerikaner und mit ihnen Streitkräfte sieben anderer Nationen längst da. Ein erster Schritt in Richtung einer Verschiebung der Kräfte im mittelasiatischen Raum. Tomaka Powell, Pressesprecherin der US-Militärbasis in Bischkek ist derweil über die Zusammenarbeit mit den Kirgisen hoch erfreut. Die Amerikaner seien sich über ihren Gäste-Status bewusst, sagt sie betont diplomatisch.
"Wenn sie als Gäste hier sind, warum tragen sie dann auch außerhalb der Militärbasis Waffen?" fragten sich dagegen bald misstrauisch die Nachbarn des Flughafens, als bewaffnete Amerikaner in ihren Dörfern patrouillierten.
"Wir machen viel für das Wohlwollen der kirgisischen Bevölkerung", betont die Pressesprecherin der Militärbasis Tomaka Powell. Unsere Soldaten fallen im Stadtbild kaum auf, weil sie nur einmal pro Woche in kleinen Gruppen und von Dolmetschern begleitet die Militärbasis verlassen dürfen, erzählt sie weiter. Demnächst - so kündigt sie an - will man eine Sozial-Station einrichten und sich um die Probleme der örtlichen Bevölkerung kümmern.
Trotzdem sind über 60 Prozent der Kirgisen gegen eine Stationierung der Antiterror-Allianz. Das ergab eine Umfrage des unabhängigen kirgisischen Umfrageinstituts M-Vector im Frühjahr dieses Jahres. Vielen ist vor allem die militärische Präsenz des ehemaligen "Klassenfeindes" nicht geheuer, obwohl die Anwesenheit der Amerikaner für den chronisch klammen kirgisischen Staatshaushalt geradezu ein Segen ist. Denn seit ihrer Ankunft im Dezember letzen Jahres haben die Länder der Antiterror-Allianz über 35 Millionen US Dollar an die Staatskasse bezahlt, allein 29 Millionen davon kamen von den Amerikanern.
Trotzdem: Die Angst, dass die Amerikaner für immer hier bleiben könnten, überwiegt bei der kirgisischen Bevölkerung.
Die Stationierungsdauer des US-Kontingents und seiner Verbündeten ist genau abgesprochen und zunächst auf ein Jahr begrenzt, beteuert dagegen der kirgisische Verteidigungsminister Esen Topojew. Aber:
Keiner kann eine Garantie dafür geben, dass die Operation in einem Jahr oder etwas mehr schon abgeschlossen sein wird. (...) In allgemeiner Zukunft wird es sicherlich keinen Bedarf mehr geben, dass fremde Streitkräfte sich länger auf unserem Territorium aufhalten werden.
Dennoch: Mehr als ein Drittel der Kirgisen hat Angst, dass sich die kirgisisch-russischen Beziehungen wegen der Amerikaner verschlechtern könnten. Sie fürchten, dass das Land in die Militäroperationen im benachbarten Afghanistan hineingezogen würde. Die offizielle Sprachregelung der kirgisischen Regierung heißt deshalb:
Die Amerikaner sind eine zeitlich begrenzte Größe, der strategische Partner aber ist und bleibt Russland.
Immerhin habe man mit Russland vieles gemeinsam, meint Mirbek Kojlubajew, hoher Militär und Chef des Presseamtes im kirgisischen Verteidigungsministerium:
Kirgistan ist genauso an guten Beziehungen zu Russland interessiert, wie dies umgekehrt der Fall ist. (..) Russland ist für uns ein strategischer Partner auf dem euroasiatischen Kontinent und es wäre falsch, die Rolle Russlands einzuschränken, wenn es darum geht, Probleme in unserer Region lösen zu müssen. (...) Und: Zwischen den Russen und uns gibt es eine gemeinsame psychologische Ebene.
Schon im 18./19. Jahrhundert bestand zwischen dem mittelasiatischen Land und Russland ein Kolonialverhältnis. Auch in der Zeit der Sowjetunion, als Kirgistan eine von 15 Unionsrepubliken war, blieb das Land von Moskau abhängig. Erst nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Riesenreiches 1991 und mit dem Abschluss des Vertrags zur Kollektiven Sicherheit begann eine gewisse Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern.
Ergänzend dazu bildete Kirgistan Mitte der 90-er Jahre zusammen mit Russland, China, Kasachstan, Tadschikistan und Usbekistan die so genannte "Shanghaier Kooperations-Organisation". Ihr Ziel, so die Mitgliedsländer, sei der Aufbau gemeinsamer Einrichtungen zur Terrorismusbekämpfung. Dennoch bleibt festzuhalten: Trotz einer intensiveren kirgisisch-russischen Zusammenarbeit in der jüngsten Zeit sind inzwischen die USA offenkundig auf dem besten Weg, Russland aus Mittelasien herauszudrängen. - Adacham Madumarov:
Russland ist selbst daran schuld, weil es in den letzten Jahren - vor allem während der Jelzin-Ära - auf die Ideologie des Herrn Solschenitzyn gehört hatte, als dieser sagte: 'Wofür brauchen wir diesen mittelasiatischen Hinterhof? Lassen wir sie in Ruhe. Wir haben genug eigene Probleme.’ - Jelzin hat diese Ansichten unterstützt und die mittelasiatische Region schließlich völlig vergessen. Natürlich entstand auf diese Weise ein Vakuum.(...) Für uns ist es günstiger, wenn hier Amerikaner sind statt Chinesen.(...) Und erst seit Putin an der Macht ist, hat er erkannt, dass Russland strategisch wichtige Objekte bereits für sich verloren hat.
Putins Erkenntnis folgte bald eine Karawane hochrangiger russischer Politiker und Militärs nach Kirgistan. Diese Besuche in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek sind schließlich nicht ohne Erfolg geblieben.
Und so bezogen im Sommer dieses Jahres nun auch russische Soldaten auf einem Militärflughafen unweit der Hauptstadt Bischkek ebenfalls ihre Stellungen und Feldlager.
Ob Kirgisien sich mit der Stationierung von amerikanischem und russischem Militär einen Gefallen getan hat? - Oppositionspolitiker Madumarov ist skeptisch. Für ihn ist das so, als sei man zwischen zwei Riesenwale geraten, sagt er. Da bleibe es nicht aus, dass man eines Tages zerdrückt wird. - Kirgistans Verteidigungsminister Esen Topojew aber verteidigt die Allianz mit den USA und ihre Ziele:
Lassen Sie mich es an einem Beispiel erklären: Der Zweite Weltkrieg. Das Problem lag doch nicht im deutschen Volk, sondern im Faschismus. Genauso einen Faschismus erkennen wir jetzt im sogenannten Terrorismus und Extremismus. (..) Wir haben heute ein ähnliches Problem. Nämlich eine Bedrohung, die viele Staaten vereinigt, unabhängig davon, welche Unterschiede sie früher in ihrer Außen- oder Innenpolitik hatten.
Zwar habe sich Kirgistan zwischen zwei Mühlsteine der Weltmächte hineinbegeben, meint auch der unabhängige Journalist Almaz Ismanow. Aber seine Stellung im zentralasiatischen Gefüge ist nicht weniger schwierig:
Wir sind ein kleines Land. Es ist sehr schwierig Politik zu machen, wenn man zum Beispiel Usbekistan zum Nachbarn hat, ein Land das die Führungsrolle in der Region für sich beansprucht. Wenn in der Nähe China ist, das uns immer wieder auf die Problematik mit seiner ujgurischen Minderheit aufmerksam macht. Kasachstan, dass immer wieder zu verstehen gibt, es wäre nicht schlecht, die beiden Länder - Kasachstan und Kirgistan - zu vereinigen.
Vor allem der Süden des Landes und dessen Grenze zu Usbekistan ist der neuralgische Punkt Kirgistans. Die Hälfte der kirgisischen Bevölkerung lebt hier. Aber: Industrie gibt es dort kaum noch, weil viele Fabriken den Zusammenbruch der Sowjetunion nicht überlebt haben. Außer der zerstörten Industrie-Struktur sind dem Süden nur noch ein paar alte Uranminen übriggeblieben.
Früher - in ruhigeren Zeiten - handelte man in Osch und Umgebung mit den usbekischen Nachbarn. Außer Grundnahrungemitteln musste fast alles auf den großen Märkten der usbekischen Hauptstadt Taschkent eingekauft werden. Damit sei es aber schon lange vorbei, erzählt Almaz Ismanov, der in Osch, der Hauptstadt des Südens, lebt:
Als dann die Grenzen geschlossen wurden, waren wir eine Zeitlang wie in Trance. Wir wussten nicht, wie wir leben sollten, wovon wir uns ernähren sollten. Da haben wir ganz schön die Abhängigkeit von Usbekistan gespürt. Und dann fingen sie an, uns im Winter das Gas abzustellen. Jetzt sind die Winter etwas milder geworden. Aber damals waren sie ganz streng: Zwei bis drei Meter hoher Schnee... und sie haben uns das Gas für einen Monat abgestellt, sogar im Fastenmonat Ramadan.
"Unbezahlte Rechnungen" - so lautete stets die offizielle Begründung der usbekischen Führung über die Unterbrechung der Energieversorgung für Kirgistan. Aber eigentlich gehe es um ein simples Kräftemessen, um die Frage, wer von den beiden Nachbarn am Ende der Stärkere sei, sagt der unabhängige Journalist Almaz Ismanov.
Nicht weniger bedrohlich für das kleine Land sind die grenzüberschreitenden Aktionen islamischer Eiferer. Jedes Jahr im Frühjahr, wenn das Tauwetter die Bergpässe frei gibt, fallen sie in den Südwesten Kirgistans ein - obwohl die ländlichen Gebiete entlang der usbekisch-kirgisischen Grenze und zu Tadschikistan hin seit geraumer Zeit vermint sind.
Seit 1999 lieferte sich die kirgisische Armee mehrere Gefechte mit den islamischen Freischärlern, weil diese ausländische Touristen, Wissenschaftler und ganze Dorfgemeinschaften als Geiseln nahmen. Dabei sei es längst kein Geheimnis, dass die kirgisischen Soldaten schlecht ausgerüstet seien, meint Almaz Ismanow. Ein Grund mehr für ihre vorgesetzten Offiziere, sich über die finanziellen und materiellen Zuwendungen der Amerikaner zu freuen, seitdem diese in Kirgistan stationiert sind.
Und damit sind wir wieder bei der amerikanischen Einflussnahme in der mittelasiatischen Region. Gibt es, außer der Nähe zum afghanischen Kriegsschauplatz, sonst noch Argumente für die Amerikaner, sich für Kirgistan zu interessieren?
Erdöl oder andere Rohstoffe sind doch kaum vorhanden, meint Bolot Moldobekow, Mitarbeiter des Ministeriums für Ökologie und Katastrophenschutz. Die einzige Goldmine des Landes, die 20 Prozent des jährlichen Bruttosozialprodukts erwirtschaftet, wird bereits seit Jahren von Kanadiern ausgebeutet. Das Interessenobjekt der Amerikaner kann also nur die allgemeine geographische und geopolitische Situation des Landes sein, glaubt der Parlamentarier Adacham Madumarow:
Als wir beraten haben, ob die Antiterrorallianz auf dem Territorium Kirgistans stationiert werden soll, habe ich schon damals gesagt: "Ist es nicht so, dass die amerikanischen Streitkräfte aus ganz anderen Gründen den Flughafen "Manas" brauchen? Um China ein wenig zu ärgern? Das liegt doch nebenan, in einer Stunde Flugzeit ist man dort. Das ist eine sehr günstige Position. Wir sind doch das Herz Mittelasiens, geopolitisch, geografisch gesehen. In der Nähe ist Pakistan. Auch eine sehr günstige Position.
Diese Meinung vertreten viele Mittelasienexperten. Sie glauben darüber hinaus, dass die USA längerfristig in Mittelasien bleiben wollen. Daher wird Washington in absehbarer Zukunft versuchen seine provisorischen, bilateralen Verträge zur befristeten Nutzung mittelasiatischer Militärbasen in langfristige Verträge umzuwandeln. Damit hätten die Amerikaner auf Dauer die Chance, jederzeit in Afghanistan und Pakistan eingreifen zu können, wenn sich die Lage dort nicht stabilisieren sollte.
In erster Linie also ist Kirgistan, ist ganz Mittelasien heute für die USA deshalb von hohem Interesse, weil diese Regionen beim internationalen Kampf gegen den Terrorismus und das Al Kaida-Netzwerk eine wichtige Verbindungsfunktion zur islamischen Welt ausüben werden. Daher leistet Washington nicht nur im militärischen Bereich Entwicklungshilfe. Gesundheit, Bildung und Soziales gehören ebenso dazu und werden von vielen privaten und staatlichen US-Hilfsprogrammen dominiert. Die Verdrängung Russlands aus seinem angestammten Gebiet in Mittelasien und die Vielfalt der Interessenlagerungen, auch im Hinblick auf unmittelbare Nachbarn, ist ein weiterer Punkt der für das Engagement Amerikas in Kirgistan spricht. Ob dieses Interesse, wie bisher überwiegend militärisch und geopolitisch oder weiter ausgreifend sein wird – das wird die Zukunft erst zeigen müssen.
Und Werbung hat das Land zur Zeit bitter nötig. Denn es ist gerade dabei, seinen Ruf, der demokratischste Staat Mittelasiens zu sein, zu verlieren. Journalisten unabhängiger Medien werden behindert, gegängelt, zuweilen sogar bedroht. Auch Menschenrechtsverletzungen kreiden internationale Organisationen der Regierung des kirgisischen Präsidenten Askar Akajew inzwischen an.
Dabei hatte einst alles so gut begonnen, als die ehemalige Sowjetrepublik vor 11 Jahren ihre Unabhängigkeit erklärte und den renommierten Wissenschaftler Askar Akajew zu ihrem Präsidenten wählte, während ihre Nachbarstaaten lediglich auf alte kommunistische Kader als Führungspersonal zurückgriffen. Akajew zeigte sich gegenüber dem Westen aufgeschlossen. Es befürwortete ein Mehrparteiensystem und eine freie Presse. Seine Regierung war die erste in Mittelasien, die ein vom Internationalen Währungsfond IWF vorgeschlagenes Wirtschaftsprogramm annahm. 1998 erfolgte dann die Aufnahme in die Welthandelsorganisation. Aber die Unterstützung westlicher Länder und internationaler Organisationen reichte nicht aus, um die Wirtschaft des Landes zu stabilisieren.
11 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung geht es der kirgisischen Wirtschaft schlechter als je zu vor. Schuld daran ist die ausufernde Korruption, meinen die meisten Kirgisen. Und nicht zuletzt die Familie des Präsidenten sei darin tief verwickelt, behauptet der Oppositionspolitiker und Parlaments-Abgeordnete Adacham Madumarow.
Außer Korruptionsvorwürfen und drängenden wirtschaftlichen Problemen hat Kirgistan seit Anfang dieses Jahres auch noch mit politischen Unruhen zu kämpfen. Auslöser dafür war die Verhaftung eines Regionalpolitikers im Süden des Landes, die zu heftigen Demonstrationen führte. Ein Beispiel für die Abstrafung unbequemer Kritiker, meinen unabhängige Politiker und Journalisten. Genau so sahen es auch die Wähler des Abgeordneten und gingen für ihn auf die Strasse. Bilanz des wochenlangen Protestes: Sechs tote Demonstranten und die Blockade der einzigen Fernstrasse Kirgisiens, die den Süden mit dem Norden des Landes verbindet.
Nach langem Hin und Her berief Akajev eine Untersuchungskommission ein. Deren harsche Kritik kostete zwar dem Premierminister des Landes das Amt. Im nächsten Schritt aber wurden dann alle anderen an dem Vorgang beteiligten Personen rehabilitiert: die Demonstranten ebenso wie die Todesschützen und die Funktionäre, die den Schießbefehl erteilt hatten!
Diese Entscheidung wiederum führte einige Wochen später, im September diesen Jahres, erneut zu Protesten. Nur mit viel Verhandlungsgeschick konnte die Regierung eine Ausweitung der Unruhen auf das ganze Land verhindern. Derweil treibe sein zunehmend autokratischer Regierungsstil seltsame Blüten, klagt der Oppositionelle Adacham Madumarov. So berichtet er beispielsweise über den Verlauf der Debatte im kirgisischen Parlament, als es um das Stationierungs-Abkommen der US-Streitkräfte ging:
In diesem Vertragsentwurf gab es noch nicht einmal eine offizielle Übersetzung des Textes. Wenn es also keine Übersetzung des offiziellen Textes gibt, wie kann man dann verhandeln, ohne zu wissen, zu welchen Bedingungen man den Vertrag abschließt? Ich fragte den Präsidenten persönlich: "Herr Akajew, wir haben ein Reglement. Wir haben ein Gesetz über internationale Abkommen. Wir haben eine Verfassung. Sind Sie mit mir einverstanden, dass Sie durch dieses Vorgehen die Verfassungsgrundsätze verletzten? Darauf sagt er: "Ja." - Darauf ich: "Also, wie können Sie dann heute das Parlament zwingen, diese Vereinbarung zu ratifizieren?" Seine Antwort:" Verstehen Sie doch, US-Unterhändler Powell ist schon in der Luft. Er ist schon unterwegs.
Inzwischen sind die Amerikaner und mit ihnen Streitkräfte sieben anderer Nationen längst da. Ein erster Schritt in Richtung einer Verschiebung der Kräfte im mittelasiatischen Raum. Tomaka Powell, Pressesprecherin der US-Militärbasis in Bischkek ist derweil über die Zusammenarbeit mit den Kirgisen hoch erfreut. Die Amerikaner seien sich über ihren Gäste-Status bewusst, sagt sie betont diplomatisch.
"Wenn sie als Gäste hier sind, warum tragen sie dann auch außerhalb der Militärbasis Waffen?" fragten sich dagegen bald misstrauisch die Nachbarn des Flughafens, als bewaffnete Amerikaner in ihren Dörfern patrouillierten.
"Wir machen viel für das Wohlwollen der kirgisischen Bevölkerung", betont die Pressesprecherin der Militärbasis Tomaka Powell. Unsere Soldaten fallen im Stadtbild kaum auf, weil sie nur einmal pro Woche in kleinen Gruppen und von Dolmetschern begleitet die Militärbasis verlassen dürfen, erzählt sie weiter. Demnächst - so kündigt sie an - will man eine Sozial-Station einrichten und sich um die Probleme der örtlichen Bevölkerung kümmern.
Trotzdem sind über 60 Prozent der Kirgisen gegen eine Stationierung der Antiterror-Allianz. Das ergab eine Umfrage des unabhängigen kirgisischen Umfrageinstituts M-Vector im Frühjahr dieses Jahres. Vielen ist vor allem die militärische Präsenz des ehemaligen "Klassenfeindes" nicht geheuer, obwohl die Anwesenheit der Amerikaner für den chronisch klammen kirgisischen Staatshaushalt geradezu ein Segen ist. Denn seit ihrer Ankunft im Dezember letzen Jahres haben die Länder der Antiterror-Allianz über 35 Millionen US Dollar an die Staatskasse bezahlt, allein 29 Millionen davon kamen von den Amerikanern.
Trotzdem: Die Angst, dass die Amerikaner für immer hier bleiben könnten, überwiegt bei der kirgisischen Bevölkerung.
Die Stationierungsdauer des US-Kontingents und seiner Verbündeten ist genau abgesprochen und zunächst auf ein Jahr begrenzt, beteuert dagegen der kirgisische Verteidigungsminister Esen Topojew. Aber:
Keiner kann eine Garantie dafür geben, dass die Operation in einem Jahr oder etwas mehr schon abgeschlossen sein wird. (...) In allgemeiner Zukunft wird es sicherlich keinen Bedarf mehr geben, dass fremde Streitkräfte sich länger auf unserem Territorium aufhalten werden.
Dennoch: Mehr als ein Drittel der Kirgisen hat Angst, dass sich die kirgisisch-russischen Beziehungen wegen der Amerikaner verschlechtern könnten. Sie fürchten, dass das Land in die Militäroperationen im benachbarten Afghanistan hineingezogen würde. Die offizielle Sprachregelung der kirgisischen Regierung heißt deshalb:
Die Amerikaner sind eine zeitlich begrenzte Größe, der strategische Partner aber ist und bleibt Russland.
Immerhin habe man mit Russland vieles gemeinsam, meint Mirbek Kojlubajew, hoher Militär und Chef des Presseamtes im kirgisischen Verteidigungsministerium:
Kirgistan ist genauso an guten Beziehungen zu Russland interessiert, wie dies umgekehrt der Fall ist. (..) Russland ist für uns ein strategischer Partner auf dem euroasiatischen Kontinent und es wäre falsch, die Rolle Russlands einzuschränken, wenn es darum geht, Probleme in unserer Region lösen zu müssen. (...) Und: Zwischen den Russen und uns gibt es eine gemeinsame psychologische Ebene.
Schon im 18./19. Jahrhundert bestand zwischen dem mittelasiatischen Land und Russland ein Kolonialverhältnis. Auch in der Zeit der Sowjetunion, als Kirgistan eine von 15 Unionsrepubliken war, blieb das Land von Moskau abhängig. Erst nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Riesenreiches 1991 und mit dem Abschluss des Vertrags zur Kollektiven Sicherheit begann eine gewisse Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern.
Ergänzend dazu bildete Kirgistan Mitte der 90-er Jahre zusammen mit Russland, China, Kasachstan, Tadschikistan und Usbekistan die so genannte "Shanghaier Kooperations-Organisation". Ihr Ziel, so die Mitgliedsländer, sei der Aufbau gemeinsamer Einrichtungen zur Terrorismusbekämpfung. Dennoch bleibt festzuhalten: Trotz einer intensiveren kirgisisch-russischen Zusammenarbeit in der jüngsten Zeit sind inzwischen die USA offenkundig auf dem besten Weg, Russland aus Mittelasien herauszudrängen. - Adacham Madumarov:
Russland ist selbst daran schuld, weil es in den letzten Jahren - vor allem während der Jelzin-Ära - auf die Ideologie des Herrn Solschenitzyn gehört hatte, als dieser sagte: 'Wofür brauchen wir diesen mittelasiatischen Hinterhof? Lassen wir sie in Ruhe. Wir haben genug eigene Probleme.’ - Jelzin hat diese Ansichten unterstützt und die mittelasiatische Region schließlich völlig vergessen. Natürlich entstand auf diese Weise ein Vakuum.(...) Für uns ist es günstiger, wenn hier Amerikaner sind statt Chinesen.(...) Und erst seit Putin an der Macht ist, hat er erkannt, dass Russland strategisch wichtige Objekte bereits für sich verloren hat.
Putins Erkenntnis folgte bald eine Karawane hochrangiger russischer Politiker und Militärs nach Kirgistan. Diese Besuche in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek sind schließlich nicht ohne Erfolg geblieben.
Und so bezogen im Sommer dieses Jahres nun auch russische Soldaten auf einem Militärflughafen unweit der Hauptstadt Bischkek ebenfalls ihre Stellungen und Feldlager.
Ob Kirgisien sich mit der Stationierung von amerikanischem und russischem Militär einen Gefallen getan hat? - Oppositionspolitiker Madumarov ist skeptisch. Für ihn ist das so, als sei man zwischen zwei Riesenwale geraten, sagt er. Da bleibe es nicht aus, dass man eines Tages zerdrückt wird. - Kirgistans Verteidigungsminister Esen Topojew aber verteidigt die Allianz mit den USA und ihre Ziele:
Lassen Sie mich es an einem Beispiel erklären: Der Zweite Weltkrieg. Das Problem lag doch nicht im deutschen Volk, sondern im Faschismus. Genauso einen Faschismus erkennen wir jetzt im sogenannten Terrorismus und Extremismus. (..) Wir haben heute ein ähnliches Problem. Nämlich eine Bedrohung, die viele Staaten vereinigt, unabhängig davon, welche Unterschiede sie früher in ihrer Außen- oder Innenpolitik hatten.
Zwar habe sich Kirgistan zwischen zwei Mühlsteine der Weltmächte hineinbegeben, meint auch der unabhängige Journalist Almaz Ismanow. Aber seine Stellung im zentralasiatischen Gefüge ist nicht weniger schwierig:
Wir sind ein kleines Land. Es ist sehr schwierig Politik zu machen, wenn man zum Beispiel Usbekistan zum Nachbarn hat, ein Land das die Führungsrolle in der Region für sich beansprucht. Wenn in der Nähe China ist, das uns immer wieder auf die Problematik mit seiner ujgurischen Minderheit aufmerksam macht. Kasachstan, dass immer wieder zu verstehen gibt, es wäre nicht schlecht, die beiden Länder - Kasachstan und Kirgistan - zu vereinigen.
Vor allem der Süden des Landes und dessen Grenze zu Usbekistan ist der neuralgische Punkt Kirgistans. Die Hälfte der kirgisischen Bevölkerung lebt hier. Aber: Industrie gibt es dort kaum noch, weil viele Fabriken den Zusammenbruch der Sowjetunion nicht überlebt haben. Außer der zerstörten Industrie-Struktur sind dem Süden nur noch ein paar alte Uranminen übriggeblieben.
Früher - in ruhigeren Zeiten - handelte man in Osch und Umgebung mit den usbekischen Nachbarn. Außer Grundnahrungemitteln musste fast alles auf den großen Märkten der usbekischen Hauptstadt Taschkent eingekauft werden. Damit sei es aber schon lange vorbei, erzählt Almaz Ismanov, der in Osch, der Hauptstadt des Südens, lebt:
Als dann die Grenzen geschlossen wurden, waren wir eine Zeitlang wie in Trance. Wir wussten nicht, wie wir leben sollten, wovon wir uns ernähren sollten. Da haben wir ganz schön die Abhängigkeit von Usbekistan gespürt. Und dann fingen sie an, uns im Winter das Gas abzustellen. Jetzt sind die Winter etwas milder geworden. Aber damals waren sie ganz streng: Zwei bis drei Meter hoher Schnee... und sie haben uns das Gas für einen Monat abgestellt, sogar im Fastenmonat Ramadan.
"Unbezahlte Rechnungen" - so lautete stets die offizielle Begründung der usbekischen Führung über die Unterbrechung der Energieversorgung für Kirgistan. Aber eigentlich gehe es um ein simples Kräftemessen, um die Frage, wer von den beiden Nachbarn am Ende der Stärkere sei, sagt der unabhängige Journalist Almaz Ismanov.
Nicht weniger bedrohlich für das kleine Land sind die grenzüberschreitenden Aktionen islamischer Eiferer. Jedes Jahr im Frühjahr, wenn das Tauwetter die Bergpässe frei gibt, fallen sie in den Südwesten Kirgistans ein - obwohl die ländlichen Gebiete entlang der usbekisch-kirgisischen Grenze und zu Tadschikistan hin seit geraumer Zeit vermint sind.
Seit 1999 lieferte sich die kirgisische Armee mehrere Gefechte mit den islamischen Freischärlern, weil diese ausländische Touristen, Wissenschaftler und ganze Dorfgemeinschaften als Geiseln nahmen. Dabei sei es längst kein Geheimnis, dass die kirgisischen Soldaten schlecht ausgerüstet seien, meint Almaz Ismanow. Ein Grund mehr für ihre vorgesetzten Offiziere, sich über die finanziellen und materiellen Zuwendungen der Amerikaner zu freuen, seitdem diese in Kirgistan stationiert sind.
Und damit sind wir wieder bei der amerikanischen Einflussnahme in der mittelasiatischen Region. Gibt es, außer der Nähe zum afghanischen Kriegsschauplatz, sonst noch Argumente für die Amerikaner, sich für Kirgistan zu interessieren?
Erdöl oder andere Rohstoffe sind doch kaum vorhanden, meint Bolot Moldobekow, Mitarbeiter des Ministeriums für Ökologie und Katastrophenschutz. Die einzige Goldmine des Landes, die 20 Prozent des jährlichen Bruttosozialprodukts erwirtschaftet, wird bereits seit Jahren von Kanadiern ausgebeutet. Das Interessenobjekt der Amerikaner kann also nur die allgemeine geographische und geopolitische Situation des Landes sein, glaubt der Parlamentarier Adacham Madumarow:
Als wir beraten haben, ob die Antiterrorallianz auf dem Territorium Kirgistans stationiert werden soll, habe ich schon damals gesagt: "Ist es nicht so, dass die amerikanischen Streitkräfte aus ganz anderen Gründen den Flughafen "Manas" brauchen? Um China ein wenig zu ärgern? Das liegt doch nebenan, in einer Stunde Flugzeit ist man dort. Das ist eine sehr günstige Position. Wir sind doch das Herz Mittelasiens, geopolitisch, geografisch gesehen. In der Nähe ist Pakistan. Auch eine sehr günstige Position.
Diese Meinung vertreten viele Mittelasienexperten. Sie glauben darüber hinaus, dass die USA längerfristig in Mittelasien bleiben wollen. Daher wird Washington in absehbarer Zukunft versuchen seine provisorischen, bilateralen Verträge zur befristeten Nutzung mittelasiatischer Militärbasen in langfristige Verträge umzuwandeln. Damit hätten die Amerikaner auf Dauer die Chance, jederzeit in Afghanistan und Pakistan eingreifen zu können, wenn sich die Lage dort nicht stabilisieren sollte.
In erster Linie also ist Kirgistan, ist ganz Mittelasien heute für die USA deshalb von hohem Interesse, weil diese Regionen beim internationalen Kampf gegen den Terrorismus und das Al Kaida-Netzwerk eine wichtige Verbindungsfunktion zur islamischen Welt ausüben werden. Daher leistet Washington nicht nur im militärischen Bereich Entwicklungshilfe. Gesundheit, Bildung und Soziales gehören ebenso dazu und werden von vielen privaten und staatlichen US-Hilfsprogrammen dominiert. Die Verdrängung Russlands aus seinem angestammten Gebiet in Mittelasien und die Vielfalt der Interessenlagerungen, auch im Hinblick auf unmittelbare Nachbarn, ist ein weiterer Punkt der für das Engagement Amerikas in Kirgistan spricht. Ob dieses Interesse, wie bisher überwiegend militärisch und geopolitisch oder weiter ausgreifend sein wird – das wird die Zukunft erst zeigen müssen.