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Strawinsky in Paris

Als Opernpremiere zog "The Rake’s Progress" von Igor Strawinsky ins imperial-feierliche Palais Garnier in Paris ein. Es dirigierte Edward Gardner. Statt des erkrankten Luc Bondy inszenierte in einer aufwendigen Ausstattung Olivier Py, der in der Vergangenheit durch schrille sexuelle Darstellungen auffiel.

Von Frieder Reininghaus | 04.03.2008
    In der französischen Hauptstadt gibt es seit fast hundert Jahren so etwas wie "Strawinsky-Tradition": Bereits 1910 wurde im Palais Garnier das Ballett "Der Feuervogel" uraufgeführt. Aber auch die Konkurrenz schlief nicht: Zum Beispiel war im Théâtre du Châtelet vor einem Dutzend Jahre eine höchst eindrückliche Interpretationen der einzigen veritablen Oper von Igor Strawinsky zu sehen: "The Rake’s Progress".

    Peter Sellars inszenierte ein "Grab der Lebenden" - von Anfang bis Ende ein modernes Hochleistungsgefängnis für die "Rake’s" der Gegenwart. In einer weißgetünchten Verwahranstalt für "Wüstlinge" bewegte sich viel farbiges Personal auf den Wegen der Läuterung - prügelnde und korrupte Schließer und Opfer des Knast-Alltags. Die Aktualisierung der Fabel aus der guten alten Kupferstich-Zeit des William Hogarth beglaubigten der dämonische, dunkelhäutige Bassbariton Willard White als Nick Shadow, Dawn Upshaw sang die allemal anrührende Anne Trulove. Interpreten dieses Kalibers hat die neue Pariser "Rake"-Produktion nicht aufzubieten.

    Mit Laura Claycomb wurde eine keusche Unschuld aufgeboten, die ihr anmutiges Auftreten und die Beleidigungen des Beziehungsalltags mit warm timbrierten Sopranstimme unterstreicht. Rollendeckend auch Laurent Naouri als Inkarnation des von Anfang an präsenten Teufels - ein schlanker Mr. Shadow, der das Abgründige mit abgefeimter Glätte darzustellen sucht, aber nicht eben eine Sensation. Toby Spence ist ein jungenhaft wirkender Tenor mit frisch und unbeschwert geführter Stimme, aber auch hübsch melancholisch - gerade recht also für die Rolle des Tom Rakewell, den es von seinem Treuliebchen auf dem Lande in die Lasterhöllen der Großstadt verschlägt.
    Das Problem all dieser Partien ist und bleibt, dass die Figuren Stereotype an der Grenze zur Karikatur sind - Prototypen einer historische gesellschaftlichen Konstellation oder schablonierte Muster ohne Individualität. Wie Igor Strawinskys Tonsatz ja demonstrativ "unpersönlich", neoklassizistisch-formelhaft zugeschnitten wurde.
    Olivier Py erwarb sich im Opern-Metier einen Namen, als er im Herbst 2005 am Grand Théâtre in Genf für die Neuinszenierung von Richard Wagners "Tannhäuser" einen Pornostar engagierte und der Presse vorab mitteilte, dieser werde in der Venusberg-Szene als Zeus in Stiergestalt mit garantiert erigiertem Penis die Europa entführen - und tatsächlich hat das Versprechen Stand gehalten. Dem Erektionskünstler sekundierte eine stimulierende Schar nackter Nymphen und Bacchantinnen.

    Vergnügungen dieses Härtegrads bot Monsieur Py nun im Palais Garnier nicht auf. Er ließ allerdings in den Varieté- und Bordellszenen hübsche Brüstchen und reichlich Reizwäsche unter stereotyp blonden Perücken zeigen sowie heftige Paarungs-Simulationen. Als besonders erotisch empfand ich die demonstrativen Misslaunigkeiten der Schwulen-Ästhetik nicht. Auch die aufwendige Animation der Stadt- und Landszenen mit Leuchtstäben und Gitterwerk wirkt wie Kunsthandwerk des zweiten Frischegrads.

    Da kann es heute Abend im anderen Haus der Pariser Nationaloper, der noch relativ neuen, aber bereits stark renovierungsbedürftigen großen Halle an der Place de la Bastille, eigentlich nur besser werden. Auf dem Programm steht die Premiere von Richard Wagners, "Parsifal" – Hartmut Haenchen hat versprochen, die Tempi so zügig zu nehmen wie noch nie (und damit den Intentionen des Dichterkomponisten näher zu kommen als andere). Auch Krzysztof Warlikowskis Regie verspricht einige Umtriebigkeit anlässlich der "Erlösung des Erlösers".