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Streik im britischen Gesundheitwesen

Von der Büroklammer bis zur Bettpfanne - die Krankenhaus-Logistik in Großbritannien übernimmt die deutsche Post-Tochter DHL. Für die britischen Gewerkschaften ein Grund zum Streik. Sie fühlen sich an die Privatisierungswut einer Maggie Thatcher erinnert und wollen mit dem ersten landesweiten Streik im Gesundheitswesen seit 18 Jahren gegen die vermeintliche Zerschlagungspolitik protestieren. Aus London berichtet Martin Zagatta.

    Die Regierung spricht von Einsparungen, die Gewerkschaft von einer "Provokation". Nicht nur, weil nun ein deutsches Unternehmen mit Aufgaben betraut wird, für die bisher die Bediensteten des NHS, des staatlichen britischen Gesundheitsdienstes, zuständig waren. Der Posttochter DHL die Versorgung der rund 600 öffentlichen Krankenhäuser auf der Insel zu übertragen, das ist für den Gewerkschaftsdachverband TUC ein Beleg, dass das britische Gesundheitswesen nun doch privatisiert werden soll - und das von einer Linksregierung.

    "Eine Labour-Regierung darf keine Zerschlagungspolitik vorantreiben mit weiteren Privatisierungen im Gesundheitswesen. Es war schon ein Riesenfehler, öffentliche Dienstleistungen wie die Strom- und die Gasversorgung zu verscherbeln, Wasser und die Eisenbahn. Das darf im Gesundheitswesen nicht passieren"
    warnt der Gewerkschafter Tony Woodley. Der Gewerkschaftsbund unterstützt den 24-stündigen Ausstand, mit dem sich Logistik-Abteilung des NHS heute gegen die Übernahme durch die Deutschen wehren will. Der erste landesweite Streik im britischen Gesundheitswesen seit 18 Jahren, und das obwohl DHL zugesagt hat, die mehr als 1.000 betroffenen Beschäftigten zu übernehmen, ja mittelfristig sogar noch 1.000 weitere Arbeitsplätze zu schaffen.

    Doch das Misstrauen ist groß: schließlich sorgt auch der deutsche RWE-Konzern seit Monaten schon für skandalträchtige Schlagzeilen mit seinem britischen Tochterunternehmen "Thames Water", mit schlechtem Service und Massenentlassungen trotz Rekordgewinnen. Die Gewerkschaften ziehen Vergleiche mit dem derzeitigen Stellenabbau im Gesundheitswesen. Sie werfen der Regierung vor, den NHS in den Ruin zu treiben, in dem sie aus Steuern finanzierte medizinische Hilfe nun auch in privaten Behandlungszentren zulässt, eine Politik, an der Premierminister Tony Blair aber unbedingt festhalten will.

    Der NHS und die öffentlichen Dienste seien besser geworden, verteidigt sich der Regierungschef. Blair, der nach zehn Jahren an der Macht, im nächsten Frühjahr oder Sommer zurücktreten will, kann darauf verweisen, den Etat für die berüchtigt schlechte Krankenversorgung im Königreich verdreifacht zu haben. Unter New Labour seien mehr als 80.000 zusätzliche Krankenschwestern eingestellt worden.

    Die britischen Ärzte gehörten jetzt zu den bestbezahlten, und niemand müsse mehr länger als halbes Jahr auf eine Operation warten, beileibe keine Selbstverständlichkeit in Großbritannien. Der Staatsgesundheitsdienst mit seinen 1,3 Millionen Beschäftigten schreibt aber auch rote Zahlen, mit einem Jahresverlust von zuletzt 750 Millionen Euro. Fast ein Fünftel dieser Summe hofft die Regierung nun jährlich einzusparen mit Hilfe der Deutschen Post, Gewerkschaftskritik hin oder her.

    Wenn unabhängige Anbieter den Gesundheitsdienst in die Lage versetzen, die Patienten besser und günstiger zu versorgen - dann könne man das doch nie und nimmer eine Privatisierung nennen, argumentiert die Gesundheitsministerin Patricia Hewitt jetzt etwas abenteuerlich. Doch so scheint sich die Labour-Partei bei ihrem Kongress nächste Woche zur Wehr setzen zu wollen gegen Kritik der Gewerkschaften, die immer noch ihre wichtigsten Geldgeber sind.

    Die Unison, die Vertretung der im öffentlichen Dienst Beschäftigten, will den Druck während des Parteitags dann mit einem zweiten Streiktag noch erhöhen, mit wenig Aussicht allerdings auf Erfolg. Die Deutsche Post, so ein Konzernsprecher, geht davon aus, wie vereinbart, schon am 1. Oktober tätig zu werden für den NHS. Und das britische Massenblatt "Sun" zeigt auch nicht allzu viel Verständnis für die Klagen über die Neuorganisation des Gesundheitsdienstes. Im NHS, so das harte Urteil der Zeitung, im NHS gebe es "mehr Bürokraten als Betten".