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Streit im Parlament

Forschungspolitik. – Sechs Jahre nach der ersten heftigen Stammzelldebatte prallen im Bundestag erneut die Meinungen aufeinander. Im Parlament steht eine Novellierung des Stammzellgesetzes von 2002 an. Eine drei Stunden lange Debatte eröffnete den parlamentarischen Gesetzgebungsprozess.

Von Michael Lange |
    Im Bundestag ging es heute nicht nur um Forschungspolitik. Es ging um Grundsatzfragen: Wann beginnt menschliches Leben, wann der Mensch?
    Und viele redeten mit. Einer der über dreißig Redner in der dreistündigen Debatte war Volker Kauder, CDU:

    "Mit der Verbindung von Ei- und Samenzelle ist etwas ganz neuartiges entstanden. Etwas, mit dem sich der Start des Lebens verbindet und mit dem Leben weiter geht. Und jeder, der diese Position nicht vertritt, muss mir sagen, wann Leben beginnt."

    Diese Definition ist in vielen Bereichen nicht mehr gültig. Die künstliche Befruchtung, die Abtreibung und bestimmte Verhütungsmethoden wären nicht zulässig, wenn jede befruchtete Eizelle als Mensch betrachtet würde, erklärte Renate Schmidt, SPD.

    "Nur ein Bruchteil dieser befruchteten Eizellen führt zu einer Schwangerschaft. Die größere Zahl nistet sich nicht ein, ohne dass die Frau dies überhaupt merkt. Bei dem Einsetzen einer Spirale geschieht genau dasselbe."

    Das Austauschen bekannter Grundsatzpositionen, war aber nur eine Seite der heutigen Debatte. Viele Redner beschäftigten sich auch mit neuesten Forschungsergebnissen. Einer von ihnen René Röspel, SPD:

    "Wir haben in der letzten Zeit viel über die Arbeiten des japanischen Forschers Yamanaka gesprochen und gehört. Er hat es tatsächlich geschafft, normale Hautzellen des Menschen so weit zurück zu programmieren oder in einen Zustand zu versetzen, der fast einer embryonalen Stammzelle gleich ist."

    Diese so genannten induzierten pluripotenten Stammzellen könnten embryonale Stammzellen in Zukunft überflüssig machen. Aber noch werden Stammzellen aus Embryonen als Vorbild und Vergleichsmaßstab von den Forschern gebraucht. Dazu die Forschungspolitikerin Ilse Aigner, CSU:

    "Bisher wurde allerdings nur die prinzipielle Machbarkeit der Reprogrammierung bewiesen. Um zu verstehen, in welchem Maße induzierte pluripotente Stammzellen den embryonalen Stammzellen tatsächlich gleichen, werden jetzt Stammzellen benötigt, die unter standardisierten Bedingungen hergestellt wurden. Und diese gibt es eben erst seit 2006."

    Ilse Aigner und Rene Röspel warben für eine Verschiebung des Stichtages. Statt wie bisher nur Zellen zu importieren, die vor 2002 erzeugt wurden, soll es den Forschern ermöglicht werden, neue bessere Zellen zu importieren. Als neuer Stichtag wurde der 1. Mai 2007 vorgeschlagen. Dieser Kompromiss fand bisher im Bundestag die meisten Unterstützer. Die Befürworter-Liste umfasst 185 Abgeordnete. Die Grünen-Abgeornete Priska Hinz sprach sich für den Beibehalt des alten Stichtages aus:

    "Wir wollen nicht, dass der Stichtag zur Wanderdüne wird. Wir wollen, dass die ethische Grenzziehung bleibt. Der Wunsch, dass man mit embryonalen Stammzellen schwere Krankheiten heilen kann, bleibt ein Wunsch."

    Ob und wie schnell embryonale Stammzellen die Medizin verbessern werden, das wird jedoch nicht im deutschen Bundestag entschieden, auch wenn es bei der Debatte oft den Anschein machte. Dazu der Parlamentarische Staatssekretär im Forschungsministerium Thomas Rachel, CDU:

    "Wer die deutsche Nabelschau ein Stück weit verlässt, stellt fest, dass 98 Prozent aller Publikationen im Ausland entstehen. Wir geben – Bund und DFG – vier Millionen Euro innerhalb von fünf Jahren für die embryonale Stammzellenforschung aus. Alleine der Bundesstaat Kalifornien gibt in einem Jahr 300 Millionen US-Dollar aus, diese Größenverhältnisse sagen alles."

    Zusammengerechnet heißt das: Kalifornische Steuerzahler geben etwa 200 Mal mehr für embryonale Stammzellen aus als deutsche. Dennoch macht sich der Bundestag die Entscheidung nicht leicht. Eine weitere Anhörung von Experten ist geplant, bevor die Abgeordneten dann in zweiter und dritter Lesung in den nächsten Wochen beraten und entscheiden werden.