Donnerstag, 18. April 2024

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Streit in der EU über Corona-Bonds
"Italien braucht grundlegende Reformen"

Kurzfristig seien EU-Hilfen für Italien wohl notwendig, doch das eigentliche Problem lasse sich damit nicht lösen, sagte der Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Bert van Roosebeke im Dlf. Das Land müsse endlich wettbewerbsfähig werden. Darum sollten die Kredite eigentlich mit Auflagen vergeben werden.

Bert van Roosebeke im Gespräch mit Dirk Müller | 08.04.2020
In Italien wehen die Flaggen aus Trauer um die Corona-Toten auf Halbmast - wie hier am "Altare della Patria - Vittorio Emanuele II" in Rom.
Italien werde seine akute gesundheitliche Krise ebensowenig mit EU-Geldern lösen können wie die sich anbahnende Wirtschaftskrise - es brauche Reformen, sagte Wirtschaftsexperte van Roosebeke im Dlf (AFP / Vincenzo PINTO)
Soll es schnell und zügig europäische Corona-Bonds geben oder nicht? Trotz Marathon-Verhandlungen konnten sich die Finanzminister der EU nicht auf eine einstimmige Position in der Diskussion um Corona-Bonds einigen. Die Nordstaaten einschließlich Deutschlands sind gegen die Einführung von Kreditlinien ohne Auflagen; die Südstaaten sind dafür. Unser Thema mit dem Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Bert van Roosebeke vom Center für Europäische Politik (CEP).
Eine zerrissene EU-Fahne flattert im Wind.
Coronabonds, ESM-Rettungsschirm und Co.Streit um EU-Finanzhilfen in der Coronakrise Gemeinschaftliche Anleihen aller EU-Staaten oder ESM, der Rettungsmechanismus aus der Finanzkrise – in der EU ist ein Streit darüber entbrannt, wie die immensen finanziellen Herausforderungen der Coronakrise bewältigt werden sollen. Doch es gibt auch Kompromissvorschläge. Ein Überblick.
Dirk Müller: Herr van Roosebeke, verstehen Sie noch das Problem?
Bert van Roosebeke: Das Problem verstehen wir sehr wohl, aber die Frage, wie die Lösung gefunden werden kann, da sind wir uns nicht alle einig.
"Wir können die Kreditlinien im ESM aktivieren"
Müller: Haben Sie eine Lösung?
van Roosebeke: Lösung ist ein großes Wort diese Tage. Unser Vorschlag wäre aber, dass man, statt neue Instrumente wie Corona-Bonds oder Euro-Bonds zu schaffen, auf das setzt, was wir schon haben, und das ist der ESM. Der ist sofort aktivierbar. Wir müssen nicht langwierige neue Instrumente durch nationale Parlamente jagen. Wir können mehr oder weniger auf Knopfdruck die Kreditlinien im ESM aktivieren und können so den Ländern, die die Hilfe brauchen, diese auch tatsächlich geben.
Brantner (Grüne) zu Coronabonds: "Einmalig Lasten gemeinsam schultern"
In der Diskussion um sogenannte Coronabonds und die Haftungsfrage gehe es nicht darum, die Altschulden der Italiener zu begleichen, sagte die Grünen-Politikerin Franziska Brantner im Dlf. In der aktuellen Situation solle die EU einmalig gemeinsam Geld ausleihen - sonst drohe eine neue Finanzkrise.
Müller: Dafür ist er ja auch da. Er ist ja nach der finanz- und Wirtschaftskrise geschaffen worden, um solche Situationen abzufedern. Warum sagen die Südstaaten, das reicht uns nicht?
van Roosebeke: Ich denke, Ihre Korrespondentin hat das gerade ziemlich gut wiedergegeben. Wir haben am Ende einen Grundsatzstreit über die Frage, ob wir in der Eurozone uns gegenseitig Geld leihen wollen ohne Bedingungen. Das ist letztlich der Kernunterschied zwischen Corona-Bonds oder langfristig vielleicht Euro-Bonds einerseits und ESM andererseits.
Die Grundidee des ESM ist: Ja, wir geben Ländern wie Griechenland, Portugal etc., vielleicht künftig auch Italien Geld, aber wir tun das nur gegen strikte Bedingungen, und jetzt sind wir schon so weit, dass wir mit den Instrumenten, die gerade eigentlich schon fast vereinbart wurden – das sind die Kreditlinien -, dass wir schon sehr weit heruntergehen, was die Auflagen angeht. Nur noch Holland sagt, wir wollen auch langfristig wirtschaftliche Auflagen haben, aber das werden die nicht durchsetzen können. Wir werden Italien die Kreditlinie mehr oder weniger ohne Auflagen geben.
Das reicht einigen Südstaaten immer noch nicht. Die sagen: Nein, das ist jetzt der Moment, aufs Gaspedal zu drücken und irgendein Instrument zu schaffen, nennen wir es Corona-Bonds, das Geld ohne Auflagen bereitstellt, und das ist die Kernfrage und das werden wir in einer Nachtsitzung, zumindest nicht in der ersten Nachtsitzung per Videokonferenz nicht lösen können.
Südstaaten fordern neues Instrument auch für die Zukunft
Müller: Wenn es Geld gibt ohne Auflagen, ohne Kriterien, ohne strenge Rahmenbedingungen, dann wird Europa willfährig?
van Roosebeke: Das ist genau das Problem, ja. Und wenn wir sehen, was derzeit schon alles auf dem Tisch liegt - wie gesagt: ESM-Kreditlinien ohne echte Auflagen. Wir haben auch das Sure-Programm, sprich die Kredite für die Finanzierung von Kurzarbeitergeld. Das ist letztlich nichts anderes als Corona-Bonds in einem anderen Gewand. Das sind auch Kredite, die von der EU aufgenommen werden, für die wir alle gemeinsam haften, und die ohne konkrete Auflagen vergeben werden können.
Müller: Reden wir von 100 Milliarden, um das noch mal einzubringen?
van Roosebeke: Ganz genau. Das sind ja nur 100 Milliarden, kann man sagen,. Aber klar: Das ist, wenn man es so formulieren will, ein Fuß in der Tür. Das Instrument ist damit geschaffen und wir treffen uns in ein, zwei Jahren wieder, wenn die Frage ist, wie soll Italien diese Mittel zur Finanzierung der Kurzarbeit, die sie damals bekommen haben vor zwei Jahren, zurückbezahlen. Das geht ja gar nicht. Wir brauchen ein neues Instrument, und dann sind wir natürlich ruckzuck bei der Frage, müssen wir jetzt doch nicht ein dauerhaftes Instrument installieren – nennen wir es Euro-Bonds -, um diese Gelder zu finanzieren. Genauso hat der ESM auch angefangen.
"Wie kann ein Land wie Italien wettbewerbsfähig werden?"
Müller: Ist das ein Geschenk und keine seriöse Wirtschafts- und Finanzpolitik mehr?
van Roosebeke: Das ist die Gefahr. Wir dürfen nicht vergessen, bei aller Notwendigkeit:, Ländern wie Italien und vielleicht auch Spanien zu helfen. Da ist sehr großes Leid vorhanden. Aber man darf nicht vergessen: Das eigentliche Problem, das wir haben werden, ist die Frage, wie kann ein Land wie Italien in zwei, drei Jahren gesund und glücklich werden in der Eurozone, sprich wie kann das Land wettbewerbsfähig werden.
Müller: Glauben Sie daran, dass das jemals passiert, weil wir hören immer wieder Italien, sobald es Probleme gibt, und die Italiener schaffen es dann nicht, die italienische Regierung, offenbar in besseren Zeiten so viel zurückzulegen, dass man schlechte Zeiten überstehen kann?
van Roosebeke: Ja, ich würde nicht nur ans Geld denken, nicht nur an die Frage der Defizite und der Schuld Italiens. Die Frage ist vielmehr grundlegend: Wie kriegt Italien eine wettbewerbsfähige Wirtschaft hin.
Schauen Sie sich mal in Ihrem Wohnzimmer um. Da stehen sehr viele Sachen aus Italien. Das Land hat definitiv das Potenzial, tolle Luxusprodukte, Autos, weiß der Geier was zu produzieren. Die Leute dort sind nicht doofer wie wir. Es ist definitiv möglich, eine wettbewerbsfähige italienische Wirtschaft hinzukriegen – bei allen politischen Problemen, die es da gibt. Aber offensichtlich muss die Not sehr groß werden, damit ein Ruck durch dieses Land geht in Italien und tatsächlich auch die Wettbewerbsfähigkeit wiederhergestellt wird.
"Muss die Eurozone Italien mit externen Auflagen zu Reformen zwingen?"
Müller: Bisher ist das nicht der Fall, damit wir uns jetzt nicht missverstehen? Sie haben gesagt, die sind nicht blöder als wir. Ist klar, würde auch keiner ernsthaft behaupten. Aber Sie gehen schon mit bei der Feststellung vieler Experten, die da sagen, es klappt eben nicht?
van Roosebeke: Es klappt nicht. Derzeit ist es definitiv nicht ausreichend. Die entscheidende Frage ist, können die Italiener selber das Ruder herumreißen und Reformen durchführen, oder muss die Eurozone, kann die Eurozone sie mit externen Auflagen, wie wir das damals mit Griechenland gemacht haben, dazu zwingen.
"Geld wird die aktuelle Gesundheitskrise in Italien nicht lösen"
Müller: Aber dann wäre das doch absurd, wenn man jetzt Milliarden dort investiert, ohne Kriterien?
van Roosebeke: Kurzfristig mag es notwendig sein, wenngleich ich sagen möchte, ich sehe jetzt nicht, dass Italien akute finanzielle Probleme hat, um die gesundheitlichen Probleme, die es dort gibt, zu lösen.
Müller: Sagen die Italiener aber!
van Roosebeke: Das sehe ich im Moment nicht. Ich denke nicht. Geld wird weder die aktuelle Gesundheitskrise, noch die künftige Wirtschaftskrise in Italien lösen. Dafür braucht es grundlegende Reformen.
Müller: Das sehen die Italiener nicht so?
van Roosebeke: Derzeit sehen sie es nicht so.
Müller: Warum wissen wir das immer besser, was die anderen machen müssen?
van Roosebeke: Ich würde gar nicht sagen, dass wir es besser wissen. Ich bin der Letzte, der ein Interesse daran hat, den Italienern zu sagen, welche Reformen sie durchführen sollten. Das sollen sie, bitte schön, selber machen.
Müller: Machen sie aber nicht.
van Roosebeke: Machen sie nicht! Und man muss auch sehen: Wir sind natürlich ein Stück weit abhängig von Italien. Wir müssen faktisch Italien dazu zwingen, sich helfen zu lassen, weil Italien ist natürlich viel größer, als Griechenland es jemals war, und wir können uns es gar nicht leisten, dass Italien die Hilfe, die wir anbieten, gar nicht annimmt.
Pokerspiel zwischen Holländern und Italienern
Müller: Sagen Sie jetzt. Ja, ja! Aber abhängig sind wir alle voneinander immer wieder. Dann kann man ja keine Politik mehr machen. Das heißt, man ist im Grunde auf die Politik der Nationalstaaten angewiesen. Aber wenn die das nicht vernünftig hinbekommen, dann muss die Geldschatulle aus Europa einspringen?
van Roosebeke: Ganz genauso ist es, und im Moment erleben wir ein Pokerspiel darüber, ob, ich sage es jetzt mal extrem, die Holländer sich durchsetzen können mit ihren Auflagen, oder ob die Italiener sagen, nein, wir akzeptieren keine Auflagen und ihr habt gar keine andere Wahl, als uns zu helfen und das Geld zu geben.
Müller: Sie würden die niederländische Position einbringen?
van Roosebeke: Ich persönlich würde die niederländische Position einnehmen, weil ich denke, dass das langfristig die einzig tragbare Lösung ist. Wir können nicht mit dem, jetzt mal platt gesagt, Verschenken von Geld die Probleme lösen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.