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Streit in der SPD um Mazedonieneinsatz der Bundeswehr

    Durak: Es gibt also Streit innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion um einen möglichen Mazedonieneinsatz der Bundeswehr - wann auch immer. Der Streit schwelt nicht erst seit gestern - schon seit mindestens zwei Wochen, wenn nicht schon früher. Einige SPD-Bundestagsabgeordnete, die Gegner eines solchen Einsatzes sind - sie pochen auf ihr Recht einer eigenen Meinung; die Zahl schwankt heute morgen zwischen 9 und 25. Da sind auch schon einige Grüne mitgezählt. Beruhigendes kommt immer von der anderen Seite, von den Befürwortern: Solange die politischen Ziele der NATO und der Bundesregierung nicht in Sichtweite seien, sei es sinnlos, über einen deutschen Beitrag nachzudenken - das hat der Verteidigungsminister selbst gestern noch einmal hier in Köln gesagt. Erhebt sich unter anderem die Frage, wie: Haben wir denn kein politisches Ziel für eine solche Aktion, wäre das nicht eine Einigung der beiden Seiten in Mazedonien? Gernot Erler ist also am Telefon, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender, Mitglied im Verteidigungsausschuss, außen- und sicherheitspolitischer Experte seiner Partei. Herr Erler, haben wir kein politisches Ziel?

    Erler: Natürlich gibt es ein politisches Ziel, und das wird auch ausschließlich mit politischen Mitteln im Augenblick verfolgt. Seit Wochen bemühen sich ja die Vermittler der EU und der Amerikaner um eine politische Lösung. Und ohne eine solche wird dieser letzte Teil, der dann eine militärische Absicherung dieser politischen Lösung darstellt, auch gar nicht möglich sein. Denn schon von der Vorplanung - von dem Operationsplan - ist die Voraussetzung für die Entsendung dieser Soldaten ohne Kampfauftrag, die da zum Schluss stehen soll, dass sich die Konfliktparteien in Mazedonien geeinigt haben. Und ohne das ist es gar nicht möglich.

    Durak: Wenn wir also ein politisches Ziel haben, Herr Erler, entfällt diese Begründung dafür, dass wir nicht darüber diskutieren sollten, ‚was wäre wenn'. Irgendwie versteht man das ja nicht mehr.

    Erler: Nein, ich meine, selbstverständlich kann man die Befürchtung äußern, was meine Kollegen da gemacht haben, die diese Erklärung jetzt verbreiten, dass von der Logik der Verhandlungen irgendwann ein Übergang zur Logik von Kampfhandlungen gegangen wird. Aber das ist von der Planung her nicht vorgesehen. Und das ist auch nicht möglich, denn dann müsste sich die NATO auf eine völlig andere Operation vorbereiten, auf eine viel umfangreichere - wenn es wirklich darum gehen sollte, eine militärische Intervention zu machen. Natürlich traut man nicht so ganz dem Frieden, dass tatsächlich die albanische Seite die Waffen alle abgeben wird, wenn da plötzlich NATO-Soldaten auftauchen und an 15 verschiedenen Stellen sagen: ‚So, jetzt gebt sie doch mal ab'. Aber das ist auch gar nicht - für mich nicht - der Kern des politischen Sinns dieser Operation . . .

    Durak: . . . sondern?

    Erler: Der Kern ist, dass man mit der Autorität von den NATO-Staaten sich hinstellt und sagt: Die politische Lösung, die wir jetzt gefunden haben, die Ihr - Mazedonier, Albaner - unterzeichnet habt, die wollen wir durchsetzen, die wollen wir auch umsetzen, und an der darf nicht mehr gerüttelt werden. Und das unterstreichen wir durch diese fast symbolische militärische Präsenz. Das heißt aber auch: Jeder, der sich dann dagegenstellt, stellt sich gegen die ganze Autorität der beteiligten NATO-Staaten.

    Durak: Mit welchem Recht, Herr Erler, kann denn die NATO sich hinstellen und sagen: ‚Ihr beiden habt unterschrieben, und wenn Ihr das nicht tut, dann werden wir eingreifen'. Mit welchem Recht?

    Erler: Das Recht besteht darin, dass eine politische Lösung, die jetzt gefunden werden soll und an der man seit Wochen schon verhandelt, die einzige und letzte Alternative zu einem unkontrollierbaren Bürgerkrieg mit vielen Verlusten, mit sehr vielen Flüchtlingen - und dann können Sie gleich raten, wohin die kommen - ist, und dass man deswegen schon versuchen muss, mit aller Autorität, die man da hat als westliches Land, auch von seiten Amerikas, einen solchen Bürgerkrieg zu verhindern. Das ist die ganze Raison der westlichen Anstrengungen im Augenblick - in Skopje und jetzt in Tetowo vor Ort.

    Durak: Es ist doch alles so klar, Herr Erler, was Sie auch eben beschrieben haben. Dann lassen Sie uns doch darüber reden, wenn dieser Fall eintritt - und der Balkan ist eben nicht planbar, wie wir aus Erfahrung wissen -, wenn dieser Fall eintritt: Was wird Deutschland tun müssen/werden? Werden deutsche Soldaten dort hingeschickt werden müssen? Erler: Also, ich sage nochmal: Es sind sehr umfangreiche Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen. Es muss eine politische Lösung geben, der beide Konfliktparteien zustimmen. Es muss einen Waffenstillstand, der wirklich hält, geben - nicht etwa der jetzt immer mal wieder überraschend gebrochen wird. Und es muss eine verbindliche Erklärung dieser UCK-Rebellen geben, dass sie ihre Waffen auch tatsächlich abliefern wollen. Wenn diese drei Voraussetzungen nicht gegeben sind, wird die Bundesregierung nicht mal eine Vorlage eines Beschlusses an den Bundestag machen, geschweige denn, ihn aus der Sommerpause zurückholen. Und bis das nicht gegeben ist, wird es auch keine . . .

    Durak: . . . Herr Erler, wir waren schon ein ganz kleines Stück weiter, Sie kehren jetzt wieder an den Ausgangspunkt zurück. Wir waren ja schon an dem Punkt, da es absehbar sein könnte, dass es doch einen offenen Bürgerkrieg gibt bzw. die drei Voraussetzungen nicht erfüllt werden. Was also - man muss doch langfristig darüber nachdenken, die Bevölkerung vorbereiten, die Parlamentarier bitten, sich oder ihr Gewissen zu prüfen.

    Erler: Da muss ich Sie leider enttäuschen. Die NATO hat für diesen Fall bisher weder eine technische noch eine politische Vorbereitung getroffen. Die ganzen westlichen Staaten, auch die jetzt dort verhandeln, einschließlich Amerika, setzen auf eine politische Lösung des Konfliktes. Und es gibt überhaupt keine politische Bereitschaft im Augenblick in der NATO, sich auf dieses andere Szenario einzustellen - das heißt also, dann eine militärische Beendigung des Bürgerkrieges vorzubereiten.

    Durak: Die NATO ist doch aber keine Fremdorganisation - fast hätte ich gesagt ‚kein Fremdverein'. Die NATO - dazu gehört auch Deutschland, das heißt, wir könnten Einfluss nehmen. Tun wir das nicht?

    Erler: Wir sind auch der Meinung, dass alle Kräfte konzentriert werden müssen auf die politische Lösung jetzt. Und dass Spekulationen darüber, was man macht, wenn das jetzt nicht gelingt, eher von diesem Ziel ablenken - dieses schlechteste Szenario, was man leider nicht ausschließen kann, ist im Augenblick nicht Gegenstand, auch nicht der deutschen Beratungen.

    Durak: Ja, die Bevölkerung denkt wahrscheinlich darüber nach. Mehr als 50 Prozent, knapp 60, sind gegen einen solchen Einsatz.

    Erler: Moment, von welchem Einsatz sprechen wir jetzt? Also, Wir haben ja eben das Szenario aufgemacht, dass es einen Bürgerkrieg gibt. Ich sage nochmal: Dafür gibt es keine Vorbereitungen. Was den anderen NATO-Einsatz dieser ‚Ernte', wie das da heißt, angeht, da gibt es eine Vorbereitung. Und die würde eben bedeuten, dass eine politische Lösung ganz zum Schluss, wenn im Grunde genommen alle sich einig sind, mit der Autorität der NATO-Staaten versehen wird, die - technisch gesehen - die Waffen dort einsammelt.

    Durak: Herr Erler, zurück zur Fraktion, die Abweichler, Abtrünnigen. Sie haben schon gesagt, es wird im Notfall dem Kanzler gelingen, die Mehrheit zustande zu kriegen. Was ist denn der Notfall, wie wollen Sie das denn schaffen?

    Erler: Ich verlasse mich da nicht auf den Bundeskanzler; wir wollen nämlich einen Punkt vermeiden - dass eine formale Drucksituation entsteht, sagen wir mal Handlungsfähigkeit, Solidarität. Wir wollen inhaltlich überzeugen, und wir haben ja die Diskussion im Lichte einer dann notwendigen politischen Lage noch gar nicht geführt. Das heißt, wir haben versprochen - und das werden wir einhalten -, dass auf jeden Fall alle Kolleginnen und Kollegen, die dann aus dem Sommer zurückgeholt werden, genügend Zeit haben werden, in den Arbeitsgruppen und in der Fraktion die Fakten kennenzulernen und dann abzuwägen und dann auch miteinander zu debattieren über die Lage. Das ist bei einer solchen Entscheidung notwendig, und das werden wir einhalten.

    Durak: Ich kann mir nicht vorstellen, Herr Erler, dass die Bundestagsabgeordneten nicht jetzt schon darüber nachdenken. Weshalb dauert das so lange?

    Erler: Natürlich denken sie darüber nach. Aber wenn Sie zum Beispiel den Text lesen von denen, die da jetzt schon eine Erklärung zur Abstimmung vorbereiten, dann stellen Sie fest, dass die wirklich von Befürchtungen ausgehen, die - wenn sie zutreffen würden - in der Tat fast jedem verbieten würden, eine Zustimmung zu geben. Also müssen wir erstmal die Diskussion darüber führen, ob diese Befürchtungen überhaupt berechtigt sind. Da heißt es: ‚Wir wollen keinen Kriegseinsatz, wir wollen nicht, dass die NATO hier das Kommando übernimmt und sich als Konfliktschlichter aufspielt.' Und Sie sehen einen Widerspruch in der Aufgabe, die hier ausgedrückt wird. Ich habe aber eben in unserem Gespräch deutlich gemacht, dass all diese Befürchtungen nicht zutreffen. Das heißt, es ist überhaupt nicht geplant, so etwas zu tun. Und ich glaube auch, das kann man in einem Gespräch - in einer Debatte - noch klären.

    Durak: Gernot Erler, stellvertretender SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzender. Herzlichen Dank, Herr Erler, für das Gespräch.

    Erler: Bitteschön.

    Link: Interview als RealAudio