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Streit mit Türkei
Das Brüsseler Angstschlottern

Nicht sonderlich prinzipienfest habe die EU-Kommission auf die türkische Beschwerde gegen ein Dresdner Konzertprojekt über den Völkermord in Armenien reagiert, kommentiert Uwe Friedrich im DLF. Es möge ja stimmen, dass es Abhängigkeiten wegen der Flüchtlingspolitik gebe. Aber dann sollten sich Jean-Claude Juncker, Donald Tusk und Martin Schulz demnächst Verweise auf europäische Werte sparen.

Von Uwe Friedrich | 25.04.2016
    Sie sehen Fotos von ermordeten armenischen Intellektuellen, darauf rote Nelken.
    Auf einer Kundgebung in Istanbul erinnern Teilnehmer an Völkermord an den Armeniern vor 100 Jahren. (AFP / Ozan Kose)
    Ist das nun europäische Diplomatie oder pure Angst vor dem wachsenden Zorn der Hohen Pforte, wie der Regierungssitz des Osmanischen Reichs vor dem Ersten Weltkrieg hieß? In diese Zeit scheint der türkische Präsident Erdogan ja zurück zu wollen, nur allzu genau möge man sich an die Verbrechen der Vergangenheit nicht erinnern.
    Der Titel "Aghet" ist nämlich der armenische Begriff für den Völkermord der türkischen Regierung vor gut 100 Jahren, übrigens unter tätiger Mithilfe des Deutschen Reichs. Ein Begriff, gegen den sich die heutige Regierung in Ankara vehement wehrt, aus ihrer Sicht habe keine Verfolgung stattgefunden. Der deutsch-türkische Komponist und Gitarrist Marc Sinan hat sich diesem Sprachdiktat nie gebeugt, hat schon in früheren Projekten die Erinnerung an den Genozid thematisiert. Dabei ging es ihm nie um platte Schuldzuweisung oder gar Rache, sondern vielmehr um einen offenen Umgang der beteiligten Völker mit ihrer Geschichte.
    Das Brüsseler Angstschlottern tönt laut
    Dazu gehört gerade heute offenbar besonderer Mut, denn die türkische Regierung geht mit Kritikern nicht gerade zimperlich um, auch nicht mit Musikern, die den Dialog suchen. Gerade in dieser Situation wirkt das verschämte "Ich bin’s nicht, die Dresdner Sinfoniker sind’s gewesen" der Europäischen Kommission nicht sonderlich prinzipienfest. Man meint geradezu, das Brüsseler Angstschlottern bis nach Berlin hören zu können.
    Mag ja sein, dass die EU sich durch den Flüchtlingsdeal in Abhängigkeit von der Türkei begeben hat. Mag auch sein, dass die fragwürdige und rechtliche umstrittene Absprache mit Ankara aus Sicht der Kommission dieses kleinlaute Verhalten nötig macht. Mag sogar sein, dass es aus politischen Erwägungen unumgänglich scheint, den mutigen Künstlern aus der Türkei und Armenien in den Rücken zu fallen.
    Aber dann möchte ich aus dem Mund von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Ratspräsident Donald Tusk oder Europaparlamentspräsident Martin Schulz auch nie wieder etwas über die Verpflichtung der Europahymne, Beethovensches Freiheitspathos oder europäische Werte hören.