Karin Fischer: Mit einem Atomkraftwerk ist die geplante Kölner Moschee schon verglichen worden, mit Raketen ihre Minarette. Eine Bürgeranhörung wurde von Rechtspopulisten gestört, in der Presse macht das Wort vom "Kulturkampf" die Runde. Während für die Integrationsbeauftragte das eigene Gotteshaus für die Muslime zur Religionsfreiheit gehört, fühlen sich dessen Gegner allein durch die Größe (die Kuppel soll 11 Stockwerke hoch sein, jedes Minarett 55 Meter hoch) bedrängt. Von diesem Gefühl der Unsicherheit soll mein Gespräch mit dem Konfliktsoziologen Jörg Hüttermann auch handeln. Er hat an der Universität Bielefeld zum Konflikt um islamische Symbole gearbeitet, denn der ist ja nicht ganz neu, sondern stammt vom Beginn der 90er Jahre, als die Zeit der "Hinterhofmoscheen" in Deutschland abgelaufen war. Worin genau besteht aus Sicht des Soziologen nun der Konflikt, Herr Hüttermann?
Jörg Hüttermann: Ja, Kulturkonflikt ist das Schlagwort unserer Zeit, wenn es um das Verhältnis von Alteingesessenen und Zuwanderern in modernen westlichen Gesellschaften geht. Aber meine These ist: Es geht nicht um Kulturkonflikt, sondern es geht um Rangordnungskonflikte, die bekannt sind, nicht nur im Bereich der Konflikte zwischen Religionsgemeinschaften oder religiös sich definierenden Gruppen, sondern auch ihre Geschichte haben, wenn man zum Beispiel an die Integration der Arbeiterklasse in die moderne bürgerliche Demokratie denkt. Auch da erfolgt die Integration über Konflikt- und über Rangordnungskämpfe, die sich unter anderem auch in der Architektur spiegeln. Denken Sie nur zum Beispiel an die Parteizentralen der großen Volksparteien, die mit ihren Fassaden ein Stück weit auch immer die Rangordnung einer sozialen Gruppe oder einer Klasse symbolisieren, und das ist auch zum Beispiel vergleichbar, wenn man ein anderes Beispiel herausgreift, mit Architektur diplomatischer Vertretungen, die die sozialen Machtverhältnisse von Staaten repräsentieren und symbolisieren. Das ist im Grunde ein ganz normales Konfliktverhalten, das immer dann zu beobachten ist, wenn sich Rangordnungen zwischen sozialen Gruppen, Klassen oder Staaten verändern.
Fischer: Um beim Stichwort Integration, das Sie auch schon erwähnt haben, zu bleiben: Als die neue Synagoge in München eingeweiht wurde, wollte man das ganz gerne so sehen, dass die Juden in Deutschland nun ernsthaft zu bleiben gedächten, also durchaus als Symbol der Integration. Wenn ich Sie recht verstehe, dann ist die Frage Integrationswille oder Machtdemonstration nicht die eigentliche, sondern es ist ein dynamischer Prozess.
Hüttermann: Es ist ein dynamischer Prozess, der immer schon mit Machtverhältnissen in Beziehung steht, wobei es jetzt nicht darum geht, dass eine religiös definierte Gruppe von Zuwanderern, eben die Muslime, sozusagen die Zuwanderungsgesellschaft dominieren wollen, aber es geht um eine Entwicklung, die viel tiefer ansetzt, nämlich an der Veränderung der Rangordnungsgefüge in den letzten 40 Jahren zwischen Zuwanderern und Alteingesessenen in Deutschland. Und dann nenne ich so als Beispiel, um das zu veranschaulichen, vielleicht die Beziehung zwischen dem klassischen Gastarbeiter und dem Vorarbeiter. Das ist sozusagen das Beziehungsmuster der 60er bis 80er Jahre für das Verhältnis von Alteingesessenen und Zuwanderern. Der Gast fügt sich den Anweisungen des Gastgebers, geht Konflikten aus dem Weg, gibt sich bescheiden und setzt sich auf den Platz, der ihm zugewiesen wird. Und was sich jetzt verändert hat seit den 90er Jahren, ist, dass die Vorarbeitergeneration nun mit Bürgern zu tun hat, mit Migrationshintergrund, die sich eben nicht mehr als Gäste verstehen, sondern einfach nur als Bürger mit Migrationshintergrund.
Fischer: Es gibt natürlich eine zahlenmäßige Übermacht der christlichen Kirchen, die aber leerer und leerer werden, zu Kulturzentren umgewidmet oder verkauft, und dann gibt es den Islam, der ja auch all das demonstrativ verkörpert, was in dieser Gesellschaft verloren zu gehen glaubt - also Zusammenhalt, Kinder kriegen, Glauben, feste Autoritäten. Ist das denn vielleicht das eigentlich Bedrohliche?
Hüttermann: Ich glaube, das ist eine Projektion der Mehrheitsgesellschaft. Wenn man genau hinguckt, dann sind die Menschen, die wir als Muslime bezeichnen, in ähnlicher Weise mit der Religion verbunden wie viele Christen, ob sie katholisch oder evangelisch sind. Also ein Drittel, das wissen wir aus eigenen Untersuchungen, geht regelmäßig in die Moschee zum Freitagsgebet, ein zweites Drittel geht vielleicht einmal im Jahr und ein drittes Drittel geht überhaupt nicht in die Moschee. Und all diese Gruppen bezeichnen wir als Muslime. Und das ist auch eine Gefahr, die mit der ganzen Debatte verbunden ist, wenn man solche Konflikte, die ganz normale Integrationskonflikte sind, als Kulturkonflikte beschreibt. Integration und Konflikt gehen hier Hand in Hand.
Fischer: Straft diese neue Debatte um Moscheebauten in Deutschland nicht das Bekenntnis zur Einwanderungsgesellschaft Lügen, was bedeuten würde, wir machen die in Deutschland lebenden Muslime dadurch auch wieder zu Fremden?
Hüttermann: Ja, genau das passiert, und wir machen uns sozusagen als eine Gesellschaft, die sich säkular versteht, wieder zu einer Gesellschaft, die sich auf ihre religiösen Fundamente zurückbezieht, nicht unbedingt, weil sie sozusagen eine religiöse Erfahrung durchlebt, sondern weil sie sich abschottet gegenüber einer Zuwanderergemeinschaft, die sich nicht mehr mit der Hinterhofmoschee, nicht mehr mit der Außenseiterposition abfindet, sondern einfach auf die Mitte der Gesellschaft zugeht. Das sind ganz normale Statuskämpfe, Rangordnungskämpfe, die sich da vollziehen, und man sollte sich hüten, das als Kulturkonflikt zu bezeichnen.
Jörg Hüttermann: Ja, Kulturkonflikt ist das Schlagwort unserer Zeit, wenn es um das Verhältnis von Alteingesessenen und Zuwanderern in modernen westlichen Gesellschaften geht. Aber meine These ist: Es geht nicht um Kulturkonflikt, sondern es geht um Rangordnungskonflikte, die bekannt sind, nicht nur im Bereich der Konflikte zwischen Religionsgemeinschaften oder religiös sich definierenden Gruppen, sondern auch ihre Geschichte haben, wenn man zum Beispiel an die Integration der Arbeiterklasse in die moderne bürgerliche Demokratie denkt. Auch da erfolgt die Integration über Konflikt- und über Rangordnungskämpfe, die sich unter anderem auch in der Architektur spiegeln. Denken Sie nur zum Beispiel an die Parteizentralen der großen Volksparteien, die mit ihren Fassaden ein Stück weit auch immer die Rangordnung einer sozialen Gruppe oder einer Klasse symbolisieren, und das ist auch zum Beispiel vergleichbar, wenn man ein anderes Beispiel herausgreift, mit Architektur diplomatischer Vertretungen, die die sozialen Machtverhältnisse von Staaten repräsentieren und symbolisieren. Das ist im Grunde ein ganz normales Konfliktverhalten, das immer dann zu beobachten ist, wenn sich Rangordnungen zwischen sozialen Gruppen, Klassen oder Staaten verändern.
Fischer: Um beim Stichwort Integration, das Sie auch schon erwähnt haben, zu bleiben: Als die neue Synagoge in München eingeweiht wurde, wollte man das ganz gerne so sehen, dass die Juden in Deutschland nun ernsthaft zu bleiben gedächten, also durchaus als Symbol der Integration. Wenn ich Sie recht verstehe, dann ist die Frage Integrationswille oder Machtdemonstration nicht die eigentliche, sondern es ist ein dynamischer Prozess.
Hüttermann: Es ist ein dynamischer Prozess, der immer schon mit Machtverhältnissen in Beziehung steht, wobei es jetzt nicht darum geht, dass eine religiös definierte Gruppe von Zuwanderern, eben die Muslime, sozusagen die Zuwanderungsgesellschaft dominieren wollen, aber es geht um eine Entwicklung, die viel tiefer ansetzt, nämlich an der Veränderung der Rangordnungsgefüge in den letzten 40 Jahren zwischen Zuwanderern und Alteingesessenen in Deutschland. Und dann nenne ich so als Beispiel, um das zu veranschaulichen, vielleicht die Beziehung zwischen dem klassischen Gastarbeiter und dem Vorarbeiter. Das ist sozusagen das Beziehungsmuster der 60er bis 80er Jahre für das Verhältnis von Alteingesessenen und Zuwanderern. Der Gast fügt sich den Anweisungen des Gastgebers, geht Konflikten aus dem Weg, gibt sich bescheiden und setzt sich auf den Platz, der ihm zugewiesen wird. Und was sich jetzt verändert hat seit den 90er Jahren, ist, dass die Vorarbeitergeneration nun mit Bürgern zu tun hat, mit Migrationshintergrund, die sich eben nicht mehr als Gäste verstehen, sondern einfach nur als Bürger mit Migrationshintergrund.
Fischer: Es gibt natürlich eine zahlenmäßige Übermacht der christlichen Kirchen, die aber leerer und leerer werden, zu Kulturzentren umgewidmet oder verkauft, und dann gibt es den Islam, der ja auch all das demonstrativ verkörpert, was in dieser Gesellschaft verloren zu gehen glaubt - also Zusammenhalt, Kinder kriegen, Glauben, feste Autoritäten. Ist das denn vielleicht das eigentlich Bedrohliche?
Hüttermann: Ich glaube, das ist eine Projektion der Mehrheitsgesellschaft. Wenn man genau hinguckt, dann sind die Menschen, die wir als Muslime bezeichnen, in ähnlicher Weise mit der Religion verbunden wie viele Christen, ob sie katholisch oder evangelisch sind. Also ein Drittel, das wissen wir aus eigenen Untersuchungen, geht regelmäßig in die Moschee zum Freitagsgebet, ein zweites Drittel geht vielleicht einmal im Jahr und ein drittes Drittel geht überhaupt nicht in die Moschee. Und all diese Gruppen bezeichnen wir als Muslime. Und das ist auch eine Gefahr, die mit der ganzen Debatte verbunden ist, wenn man solche Konflikte, die ganz normale Integrationskonflikte sind, als Kulturkonflikte beschreibt. Integration und Konflikt gehen hier Hand in Hand.
Fischer: Straft diese neue Debatte um Moscheebauten in Deutschland nicht das Bekenntnis zur Einwanderungsgesellschaft Lügen, was bedeuten würde, wir machen die in Deutschland lebenden Muslime dadurch auch wieder zu Fremden?
Hüttermann: Ja, genau das passiert, und wir machen uns sozusagen als eine Gesellschaft, die sich säkular versteht, wieder zu einer Gesellschaft, die sich auf ihre religiösen Fundamente zurückbezieht, nicht unbedingt, weil sie sozusagen eine religiöse Erfahrung durchlebt, sondern weil sie sich abschottet gegenüber einer Zuwanderergemeinschaft, die sich nicht mehr mit der Hinterhofmoschee, nicht mehr mit der Außenseiterposition abfindet, sondern einfach auf die Mitte der Gesellschaft zugeht. Das sind ganz normale Statuskämpfe, Rangordnungskämpfe, die sich da vollziehen, und man sollte sich hüten, das als Kulturkonflikt zu bezeichnen.