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Streit um die Visavergabe

Als türkischer Privat- oder Geschäftsmann muss man bei einer Reise in den Euro-Raum oft absurden Hürden überwinden. Darüber ist man in der Türkei ernsthaft verärgert. Für weiteren Unmut sorgt auch die rigide Visapolitik Deutschlands.

Von Gunnar Köhne | 03.01.2011
    Vor der Visastelle des deutschen Konsulats in Istanbul. Vor dem Eingang stehen zwei Dutzend Menschen Schlange. Alles macht einen ruhigen und geordneten Eindruck – seit Einführung eines Terminvergabesystems vor zwei Jahren hat das chaotische Gedränge ein Ende gefunden. Doch das Prozedere ärgert die Antragsteller immer noch:

    "Natürlich! Wir müssen reihenweise Dokumente vorlegen und dafür von einem Platz zum anderen rennen, zum Grundbuchamt, zur Bank und so weiter. Das kostet uns Zeit und Geld. Ich hoffe, dass das bald ein Ende hat."

    Das hofft auch die türkische Regierung. Seit Langem schon drängt Ankara auf ein vereinfachtes Visaverfahren und beruft sich dabei unter anderem auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes von Mitte des Jahres, nach dem Lkw-Fahrer, Unternehmer, Sportler, Künstler sowie Wissenschaftler aus der Türkei allein aufgrund der Zollunion mit der EU ohne Visum in den Schengenraum einreisen dürften. Über die Bedeutung und die Umsetzung dieses Urteils herrscht allerdings Verwirrung. Dass nun auch Bosnier und Albaner Visafrei in die EU einreisen können, hat für zusätzliche Verärgerung bei den Türken gesorgt. Denn die Voraussetzung dafür – nämlich die Einführung biometrischer Pässe – ist längst auch in der Türkei beschlossene Sache. Nach Ansicht von Europaminister Egeman Bagis, setzt sich die EU dem Verdacht der Diskriminierung eines Beitrittskandidaten aus:

    "Für uns ist dies nur ein weiteres Beispiel für zweierlei Maß, mit dem die EU misst. Es gibt auf beiden Seiten – der Türkei und der EU – Befürchtungen und Ängste. Und warum? Weil wir einander nicht gut genug kennen. Daran müssen wir arbeiten. Wenn man die Stärken und Schwächen des anderen kennt, dann wird man sich nicht mehr vor ihm fürchten."

    Doch die Angst vor einer unkontrollierten Einreise Arbeitssuchender sei bei einem so großen Land wie der Türkei nun mal stärker als bei einem kleinen Land wie Albanien. Das machte der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit bei einem Besuch in Istanbul Anfang November deutlich. Aber er machte auch Hoffnung: Denn hinter den Kulissen laufen längst Verhandlungen zwischen beiden Seiten, an deren Ende schon Anfang des neuen Jahres Visaerleichterungen stehen könnten. Brüssel fordert im Gegenzug die Verpflichtung Ankaras, Flüchtlinge, die illegal über die Türkei nach Griechenland eingereist sind, wieder zurückzunehmen. Cohn-Bendit ist sich sicher:
    "Die Türkei wird diese Verpflichtung eingehen und Europa wird die Visafrage erleichtern."

    Doch in der Türkei bleibt man misstrauisch. Schon oft wurden Visaerleichterungen in Aussicht gestellt. Zuletzt hatte Bundeskanzlerin Merkel bei ihrem Türkei-Besuch Anfang des Jahres angekündigt, für Künstler, Studenten und Geschäftsleute aus der Türkei eine vereinfachte Ausstellung von Visa zu ermöglichen. Doch eine neue Regelung dieser Frage steht bislang aus.

    Die Unzufriedenheit über die rigide Visapolitik Deutschlands wächst und belastet das deutsch-türkische Verhältnis zunehmend. Die deutsch-türkische Handelskammer warnt davor, dass die guten Wirtschaftsbeziehungen beider Länder durch die restriktive Visavergabe an Geschäftsleute Schaden nehmen könne. Davon profitierten andere Schengenstaaten wie Italien oder Frankreich, in die türkische Unternehmer leichter einreisen könnten.

    Das Auswärtige Amt weist die Kritik zurück und gleichzeitig darauf hin, dass allein im deutschen Generalkonsulat Istanbul im Jahr 2009 64.000 Visa vergeben worden seien. Die Zahl der abgelehnten Anträge läge bei nur etwa neun Prozent.

    Auf einer neu eingerichteten Internetseite für "Schengen-Geschädigte" bringen die Betroffenen ihre Enttäuschung und Wut zum Ausdruck und tauschen besonders absurde Behördenerlebnisse aus. So berichtet ein Mitarbeiter des Istanbuler Museums für Moderne Kunst, die Sachbearbeiterin im deutschen Konsulat habe von ihm – es war erst Anfang des Monats - einen Einkommensnachweis vom laufenden Monat sehen wollen. Die entsprechenden Belege für die drei letzten Monate hätten ihr nicht gereicht.