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Streit um Direktor der Vertriebenen-Stiftung

Nach ihrem Austritt aus dem Beirat der Stiftung Flucht, Vertreibung und Versöhnung hat die Publizistin Helga Hirsch den Rücktritt von Stiftungsdirektor Manfred Kittel gefordert. Statt die Sicht der Stiftung zu vertreten, stehe er für eine Art von Rückzug aus der öffentlichen Debatte.

Helga Hirsch im Gespräch mit Katja Lückert | 10.03.2010
    Katja Lückert: Einen Konflikt eint zuweilen auch die streitenden Parteien, so paradox das klingt, aber seit Erika Steinbach nicht mehr, wie die "FAZ" es heute formuliert, als Damoklesschwert über dem Rat der Stiftung Flucht, Vertreibung und Versöhnung schwebe, schaue kaum einer genau hin, wie es um diese Einrichtung selbst bestellt war.

    In der letzten Zeit offenbar nicht sehr gut, denn immer mehr Wissenschaftler treten aus dem wissenschaftlichen Beirat aus. Der polnische Historiker Szarota tat dies bereits im Dezember. Es folgte die Tschechin Kristina Kaiserová und gerade gestern die Publizistin Helga Hirsch. Frau Hirsch, was sind denn Ihre Beweggründe, den Beirat zu verlassen?

    Helga Hirsch: Wenn ich von mir spreche, so kann ich sagen, ich bin doch erstens sehr enttäuscht, wie bisher die Arbeit der Stiftung Flucht, Vertreibung und Versöhnung verlaufen ist, und - das ist, glaube ich, mindestens so wichtig - ich sehe nicht, wie unter den augenblicklichen Konstellationen eine Lösung herbeigeführt werden kann.

    Lückert: Welche Rolle spielt der Stiftungsdirektor, der Historiker Manfred Kittel, wie gelingt es ihm, die Geschicke der Stiftung zu lenken?

    Hirsch: Ich denke, von vorneherein musste klar sein, dass derjenige, der der Direktor dieser Stiftung wird, eine wirklich sehr schwierige Aufgabe übernehmen wird, weil das Thema ja so ein Streitpunkt im parteipolitischen Gehedder war, aber auch weit darüber hinaus, denke ich, in der Öffentlichkeit sehr kontrovers diskutiert wurde.

    Und wenn ich jetzt zurückblicke - ich habe Manfred Kittel vorher nicht gekannt -, dann könnte ich mir vorstellen, dass er unterschätzt hat, in was für eine schwierige Ausgangslage er kommt, das heißt, wie viel Rückgrat er braucht, wie viel auch Selbstbewusstsein, um Anwürfen standzuhalten, die sehr häufig überzeichnet waren, und um gleichzeitig sich aber auch so weit abzuschirmen gegen diese Debatte in der Öffentlichkeit, dass überhaupt noch eine konstruktive Arbeit innerhalb der Stiftung zustande kommt.

    Und ich denke, wir haben jetzt eine Situation, wo ich sagen würde, Herr Kittel hat sich weder gegen die vielen Anwürfe oder die zunehmende Anzahl von Anwürfen geäußert, noch hat er wirklich der Öffentlichkeit klarmachen können, wofür wir stehen. Und das ist nicht zufällig, weil - obwohl wir ja jetzt erst mit dem wissenschaftlichen Beraterkreis drei Monate arbeiten, aber immerhin - es gibt nicht mal Thesen für eine Ausstellungskonzeption, also für die Dauerausstellung für das Museum. Und es gibt auch keinen Plan zum Beispiel für Veranstaltungen innerhalb dieses Jahres, sondern es ist einfach eine Art von Rückzug, und wir haben kein Profil. Und das ist meine eigentliche Angst, dass wir statt offensiv dieses Thema in der Weise, in der wir es für richtig halten, auch dafür zu stehen und dafür zu streiten, und zwar mit den anderen, dass das überhaupt nicht existiert.

    Lückert: Kittel wurde ja stark kritisiert, zu Unrecht vielleicht auch, als rechtsradikaler Historiker. Was ist davon zu halten?

    Hirsch: Also in dem Zusammenhang möchte ich noch mal darauf eingehen, woraus meine Enttäuschung wirklich resultiert. Das Zentrum gegen Vertreibung von Frau Steinbach konnte man immer noch darstellen als ein privates, das sie zusammen damals mit Peter Glotz gegründet hatte.

    Jetzt haben wir eine staatliche Institution, und man muss sich wirklich mal in Erinnerung rufen, die SPD hat sowohl im Koalitionsvertrag dieses sichtbare Zeichen mitgetragen, das war schon 2005, dann hat sie in dem Gesetz zur Errichtung der Stiftung 2008 es mitgetragen. Die SPD-Abgeordnete Frau Schwall-Düren sitzt im Stiftungsrat, und sie hat insofern Einfluss nehmen können auf die Besetzung des wissenschaftlichen Beraterkreises. Und die SPD hat auch nicht protestiert, als dieser Kreis berufen wurde.

    Jetzt auf einmal sollen wir - so heißt es jetzt in einer Presseerklärung - mehrheitlich den Ansprüchen des BDV entsprechen, und diese Taktik zieht sich durch die ganze Zeit. Herr Kittel soll rechts oder ganz rechtslastig sein, der Beraterkreis soll dem BDV, der ja nun im gemeinen Verständnis immer für rechts steht, zugehörig sein, und der Krieg soll wieder umbewertet werden.

    Das heißt, statt zu einer Differenzierung zu kommen, kommen genau die alten Frontlinien, und es zeigt sich, dass gar nicht Frau Steinbach die wirkliche Hürde war, sondern die Hürde ist immer noch, dass in bestimmten Kreisen das Thema Vertreibung selber als schmutzig, als relativierend, als jedenfalls nicht vereinbar mit einem Verständnis vom Zweiten Weltkrieg, was die Verbrechen der Deutschen auch deutlich formuliert. Und darin sehe ich weiter das eigentliche Problem.

    Lückert: In knapp zwei Wochen tagt der Stiftungsrat, wo ein Neuanfang beschlossen werden soll. Wie könnte der aussehen und wer müsste Ihrer Ansicht nach in das Gremium berufen werden?

    Hirsch: Das sind ja nicht nur meine Vorstellungen. Also für mich bedeutet es zum Beispiel, dass einige Personen, die exzellente Fachleute sind, wie Professor Stefan Troebst oder Professor Michael Schwartz, würde ich auf jeden Fall in diesem Gremium wünschen.

    Ich denke, andere Parteien oder - was heißt andere Parteien - überhaupt andere Menschen oder die Kirchen, die ja auch im Stiftungsrat sitzen, haben auch noch Vorschläge, das ist das eine. Aber die Erweiterung des wissenschaftlichen Beraterkreises kann nicht die einzige Lösung sein.

    Wie gesagt, solange eine Leitung nicht imstande ist, politischen Gegenwind auszuhalten, solange sie nicht überzeugt ist, sie kann auf eine konstruktive Weise auch Dissens organisieren - denn das haben wir jetzt nötig -, solange wird dieses Projekt nicht von der Stelle kommen, von diesem Stillstand, auf dem wir uns jetzt bewegen. Und deswegen denke ich, wir brauchen auch eine neue Leitung.

    Lückert: Die Publizistin Helga Hirsch ist aus dem wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Flucht, Vertreibung und Versöhnung ausgetreten.