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Streit um Figur im Erfurter Dom
Wird aus Wolfram Aaron?

Eine bronzene Figur im Erfurter Dom heißt Wolfram, ist aber nicht Wolfram. Das behauptet zumindest der Religionshistoriker Jörg Rüpke. Er meint, der richtige Name der Figur sei Aaron und die Statue gehöre als Thora-Träger in eine Synagoge. Noch ist sein Aufsatz darüber nicht erschienen, aber eine pikante Auseinandersetzung um den Mann aus Bronze hat begonnen.

Von Henry Bernhard | 03.03.2016
    Der Erfurter Dom.
    Der Erfurter Dom. (imago/stock&people/Karina Hessland)
    Die Glocke des Erfurter Doms oben auf dem Domberg schlägt 9 Uhr. Falko Bornschein öffnet das Triangelportal mit Mühe. Bornschein ist Kunstgutbeauftragter des Bistums Erfurt.
    "Das ist er, der Wolfram?"
    "Das ist er, der Wolfram."
    "Oder Aaron?"
    "Wolfram!"
    Bornschein wacht auch über den "Wolfram" in der Heiligblutkapelle im Dom, eine fast lebensgroße bronzene Figur eines bärtigen Mannes, der auf seinen weit ausgestreckten Armen zwei Leuchter trägt.
    "Er hat eine große Bedeutung, weil sie eine der ältesten Plastiken ist aus der Zeit des romanischen Doms, aus den 1150er Jahren. Ikonografisch ist es schwierig; auf jeden Fall eine Leuchterfigur, wie wir sie jetzt sehen. Das lässt sich also zurückverfolgen bis 1425."
    Jörg Rüpke: keine plausible Erklärung für die historische Figur
    Seit fast 600 Jahren steht der Wolfram nachweislich im Erfurter Dom, seit fast 600 Jahren trägt er Kerzen. Ob er auch in den fast 300 Jahren vor der ersten Erwähnung im Dom oder einer anderen Kirche gestanden hat, weiß man nicht. Ebenso wenig, wen er darstellt: Einen wichtigen Stifter, einen Büßer, Johannes oder einen Propheten.
    "Auch Christus selbst als Lichterträger ist eine Theorie nach Johannes 8.12. Oder der Mann auf den Zinnen nach Jesaja. Also, es gibt insgesamt etwa acht solcher Hypothesen mit mehr oder weniger Grad an Wahrscheinlichkeit, und Aaron ist nun eine weitere."
    Die jüdische Figur des Aaron hat ein Erfurter Religionshistoriker vergangene Woche in Spiel gebracht. Jörg Rüpke wollte eigentlich in einer Broschüre über den christlichen Wolfram schreiben, fand aber keine der vielen Erklärungshypothesen überzeugend.
    "Man muss dazu sagen, dass die einfachste Annahme, es sei die Figur dessen, der seinen Namen darauf geschrieben hat, also ein Wolfram, dass diese These also völlig ausgeschlossen ist. Niemand könnte sich im Hochmittelalter erlauben – es sei denn, er sei ein Bischof oder König, eine Bronzefigur von sich selbst in der Öffentlichkeit aufzustellen. Das wäre eine Anmaßung sondergleichen gewesen."
    Jörg Rüpke fand einfach keine für ihn plausible Erklärung für die historische Figur. Eine hinzugezogene Kollegin aus Toulouse machte ihn dann darauf aufmerksam, dass die Figur statt Kerzen auch Thora-Rollen hätte tragen können.
    "Und dafür hat sie dann in mittelalterlichen Handschriften Belege gefunden. Die Darstellung eines Aaron in genau der Haltung, die wir beim Wolfram sehen können, und das in einer Handschrift, die Ende des 13. Jahrhunderts in Erfurt entstanden ist."
    Im Mai sollen detaillierte Ausführungen erscheinen
    Rüpke ist sich sehr sicher, dass seine Hypothese die endlich schlüssige, richtige Erklärung für die Bedeutung der Figur ist. Dies würde bedeuten, dass der christliche Wolfram im Erfurter Dom als jüdischer Aaron gegossen worden ist und in einer Synagoge stand. Für Falko Bornschein vom Bistum Erfurt eine kühne These, die auf wackeligen Beinen stehe.
    "Mich wundert’s auch insofern, weil es für Darstellungen gerade des Aaron als Priester ja genaue Vorschriften gibt im Alten Testament. Es würde mich wundern, wenn man in der jüdischen Kunst nicht genau diese Vorschriften befolgt hätte."
    Im Mai soll ein Zeitschriftenaufsatz von Jörg Rüpke mit detaillierteren Ausführungen zu seiner Hypothese erscheinen. Aber die Diskussion in Erfurt hat längst die Sphäre der Kunst- und Religionshistoriker verlassen. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Thüringens, Reinhard Schramm, hat sich zu Wort gemeldet und Interesse an der Figur angemeldet, sollte es sich gesichert und unzweifelhaft um eine jüdische Provenienz handeln. Pikanter Hintergrund: In der Zeit zwischen der Entstehung der Figur und deren erstmaligen Erwähnung im Dom liegt das verheerende Pogrom im Jahr 1349, dem Hunderte Erfurter Juden zum Opfer fielen und das das jüdische Leben in der Stadt für Jahre völlig auslöschte. Reinhard Schramm:
    "Wenn diese Skulptur im Zusammenhang mit der Ermordung Erfurter Juden – wo ja zum Schluss nicht nur die Menschen, sondern die Synagoge nicht mehr da war – wenn das in dem Zusammenhang geschehen ist, dann ist die mit einem Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung verbunden, diese Statue. Und dann bin ich der Meinung, ist es höchste Zeit, dass sie in jüdische Hände zurückkommt."
    Eine Replik denkbar?
    Vorher aber werde er in Ruhe die wissenschaftliche Debatte abwarten, so Schramm. Eiliger hat es da Thomas Kretschmer, Vorsitzender des Laiengremiums Katholikenrat in Thüringen. Kretschmer schrieb in einem offenen Brief an die jüdische Gemeinde von "Erschrecken und Bestürzung", warnte vor "bösem Blut" und davor, eine Verbindung zum Pogrom herzustellen.
    "Letztendlich stehen hier auch zwei Ansprüche nebeneinander, wenn es so wäre. Es ist eine 700 Jahre alte Tradition, den Leuchter hier im Dom in der Stadt Erfurt stehen zu haben. Das ist sozusagen auch ein öffentliches Gut."
    Im Erfurter Domkapitel ist man etwas verschnupft. Der Domkustos, Weihbischof Reinhard Hauke, hält die Presseöffentlichkeit ohne die erst im Mai erscheinende wissenschaftliche Arbeit von Jörg Rüpke für ungeschickt:
    "Ich habe ihm mein Unverständnis schon ausgedrückt."
    Ebenso unglücklich ist man über den scharfen Ton des Katholikenrates. Nun will man die wissenschaftliche Veröffentlichung abwarten und ausgiebig diskutieren, auch mit der jüdischen Gemeinde. Auch eine Replik des Wolfram für die Synagoge sei ja denkbar. Dort hieße er dann Aaron.