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Streit um Gift im Spielzeug

Die EU hat die Grenzwerte für Spielzeug geändert - doch der Bundesregierung sind sie zu lasch. Bis nun der Europäische Gerichtshof eine endgültige Entscheidung fällt, gelten weiterhin die alten Grenzwerte in Deutschland.

Jule Reimer im Gespräch mit Dieter Nürnberger | 22.07.2013
    Jule Reimer:Seit dem Wochenende gelten EU-weit für die Belastung von Spielzeug mit Schwermetallen andere Grenzwerte als in Deutschland - nämlich schlappere - sagt zumindest die deutsche Bundesregierung. Das klingt alles sehr verwirrend, zumal in einem grenzenlosen europäischen Binnenmarkt. Dieter Nürnberger in unserem Berliner Studio, wie ist die Rechtlage?

    Dieter Nürnberger: Deutschland hatte ja im Mai 2012 eine Klage gegen die EU-Kommission eingereicht, um die nationalen Grenzwerte beispielsweise für Blei und Barium oder auch für Arsen und Quecksilber über den Stichtag 20. Juli 2013 hinaus, das war vor zwei Tagen, beibehalten zu können.

    Nun gab es einen Beschluss des EuGH, des Gerichts der Europäischen Union, und hier sagen die Richter, dass der Streit zwischen der Bundesregierung und der Kommission so wörtlich - "hochtechnische und komplexe Fragen" aufwerfe, die auf den ersten Blick nicht für irrelevant erklärt werden können. Im Klartext: Das Gericht spricht sich für eine weitere vertiefte Prüfung des Sachverhalts aus. Eine endgültige Entscheidung im Verfahren wird in den nächsten ein bis zwei Jahren fallen - und bis dahin gelten weiterhin die deutschen Grenzwerte. Die Bundesregierung, federführend ist hier das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, spricht von einem Erfolg, sie betont die strengeren deutschen Grenzwerte beim Kinderspielzeug, die nun zum Schutz der Kinder weiterhin angewendet werden dürfen.

    Reimer: Spielzeug wird ja auch in Deutschland hergestellt. Aber natürlich wird auch viel importiert. Wo genau könnte denn eine höhere Belastung auftauchen? Wie erkenne ich diese überhaupt?

    Nürnberger:Für den Verbraucher ist dies schwierig. Es gab in den vergangenen Jahren immer wieder Meldungen über beispielsweise zu hohe Bleigehalte in Kinderspielzeug - gefunden in Produkten vor allem aus Fernost. Das Blei war in Farben enthalten, die bei der Verarbeitung, beim Anstrich eingesetzt wurden. Und es kam vor, dass hier bestehende Grenzwerte deutlich überschritten wurden. Experten sagen aber auch, dass neben der Menge eines Metalls auch die Art und Weise, wie ein Kind damit in Kontakt kommt, entscheidend oder wichtig sei. Wird das Spielzeug nur in die Hände genommen, wird darauf herumgekaut. Werden dadurch Partikel auch verschluckt und so weiter.

    Blei ist - wie auch die meisten Schwermetalle - für den Menschen giftig, sprich gesundheitsgefährdend. Bleivergiftungen können Erbrechen, Darmkoliken und auch Nierenprobleme nach sich ziehen. Da Kinder noch im Entwicklungsstadium sind, reagieren sie zudem empfindlicher. Eine erhöhte Bleibelastung kann zu Nervenschäden oder auch Störungen der Hirnfunktion führen. Das ist ein Beispiel - die Stiftung Warentest hatte Ende 2011 auch andere kritische Stoffe im Kinderspielzeug entdeckt: Nickel beispielsweise. Hier können Kontaktallergien entstehen. Also: Schwermetalle im Kinderspielzeug sollten nicht verharmlost werden.

    Reimer: Was heißt das denn für Importwaren? Einmal in die EU eingeführt, kann diese ja Problem auch nach Deutschland kommen.

    Nürnberger: Das ist richtig. Zuallererst muss man aber sagen, dass durch die Beibehaltung der deutschen Grenzwerte nun im Grunde zwei Rechtsgrundlagen in Europa bestehen. Das ist beispielsweise für die heimischen Hersteller, nach Angaben des Deutschen Verbandes der Spielwarenindustrie in Stuttgart, nicht unproblematisch. Verantwortlich für die Spielzeugsicherheit ist der Hersteller, er muss Produktionsprozesse so gestalten, dass beispielsweise Grenzwerte eingehalten oder gefährliche Stoffe durch unbedenkliche ersetzt werden.

    Ein Großteil des Spielzeugs kommt heutzutage aber aus Fernost. Der Marktanteil chinesischer Produkte liegt hier bei rund 70 Prozent. Gefragt ist jetzt und generell natürlich eine entsprechende Kontrolle. Das beginnt beim Zoll und wird dann fortgeführt über die Marktüberwachung, die Sache der Bundesländer ist. Experten fordern aber auch schon seit Langem eine Art Spielzeug-TÜV, also eine unabhängige Sicherheitsüberprüfung. Derzeit reicht es aber aus, wenn der Hersteller mit CE-Zeichen auf dem Produkt erklärt, dass er die Sicherheitsstandards eingehalten hat.

    Reimer: Also besser noch einmal nachfragen beim Einkauf von Spielzeug. Dieter Nürnberger klärte über unterschiedliche Grenzwerte beim Spielzeug in Deutschland und innerhalb Europas auf.


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