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Streit um katalanisches Autonomiestatut

Das spanische Verfassungsgericht in Madrid muss demnächst das Autonomiestatut Kataloniens überprüfen. Bei einer Probeabstimmung sollen die Richter sich an der Definition Kataloniens als Nation gestört haben.

Von Hans-Günter Kellner |
    Einst war der Park der Ciutadella vor dem Parlament in Barcelona eine enorme Festung, von der aus Spaniens Könige die katalanische Stadt unter Kontrolle hielten. Die Zeiten sind lange vorbei, Katalonien hat heute weitreichende Autonomierechte, eine eigene Polizei, ein eigenes Bildungssystem. Die katalanische Sprache ist nach ihrem Verbot während der Diktatur wieder überall zu hören. Diese Rechte erweiterten die Abgeordneten im katalanischen und spanischen Parlament vor drei Jahren mit einer Reform des Autonomiestatuts, das die Frage der Verteilung der Steuern neu regelt, aber auch Katalonien als eigenständige Nation definiert. Der katalanische Parlamentspräsident Ernest Benach erklärt:

    "Katalonien ist eine Kultur. Es definiert sich nicht aus ethnischen Gründen als Nation. Aber es hat eine eigene Sprache, seine eigenen Institutionen, das Parlament und die Regierung. Dieses Parlament existierte schon vor der Franco-Diktatur und ging während des Regimes ins Exil. Katalonien hat eine Rechtstradition, die Jahrhunderte alt ist. Es steht überhaupt nicht zur Debatte, ob wir eine Nation sind oder nicht. Da kann das Verfassungsgericht sagen, was es will."

    Mit Argwohn blickt man in Barcelona daher zum spanischen Verfassungsgericht in Madrid. Die Richter dort sollen spanischen Presseberichten zufolge schon zur Probe über das Autonomiestatut abgestimmt und sich dabei gerade an der Definition von Katalonien als Nation gestört haben. Der Parlamentspräsident fürchtet nun einen ähnlichen Urteilsspruch.

    "Das wäre sehr frustrierend und würde zu einer tiefen Staatskrise führen. Der Staat wäre in seinen Grundfesten erschüttert. Die Rolle der historischen Nationen innerhalb Spaniens, von Katalonien und dem Baskenland, ist in der Demokratisierung nach Francos Tod 1976 nicht ausreichend geklärt worden. Die große Chance zur Lösung des Problems wäre verpasst, wenn das Verfassungsgericht unser Statut ganz oder in Teilen ablehnt."

    Benach gehört den republikanischen Linken an, die eine katalanische Unabhängigkeit fordern. Damit gehört er Umfragen zufolge einer Minderheit an - die bei einem ablehnenden Urteil des Verfassungsgerichts aber wachsen könnte. Das hofft zumindest Josep Ximénez, der im September in der kleinen Ortschaft Arenys de Munt ein symbolisches Referendum abhielten lies. Mehr als 90 Prozent stimmten für die Unabhängigkeit, 41 Prozent der Wahlberechtigten nahmen teil.

    "Die Spanier sind schlechte Nachbarn. Sie betrügen uns um unser Geld, sie verbieten unsere Sprache. Katalonien ist militärisch besetzt. Die einzige Lösung ist die Unabhängigkeit, je früher desto besser. Denn die Spanier wollen unsere Identität auslöschen. Wir wären dann nicht mehr, als Indianer in einem Reservat."

    Spanien werde immer noch faschistisch kontrolliert, sagt Ximénez, das Autonomiestatut sei eine Farce, um die Katalanen ruhigzustellen. Solche extremen Stimmen hört man in Katalonien zwar selten, aber sie werden lauter. Diese Entwicklung war absehbar, kritisiert der katalanische Schriftsteller und Hochschulprofessor Lluis Maria Todó.

    "Dieses Statut ist eine Summe von Fehlern. Der erste Fehler war, mit dieser Reform zu beginnen. Unsere Autonomie hat bis zu dieser Debatte gut funktioniert. Dann hat die Volkspartei den Text vor das Verfassungsgericht gebracht, der zweite Fehler. Und jetzt zeichnet sich der dritte Fehler ab. Das Gericht sollte zum Schluss kommen, dass der Text keine Gefahr für das Zusammenleben in Spanien darstellt. Aber so wird es ja wohl nicht kommen. Diese unangenehmen nationalistischen Debatten werden damit wieder schärfer."

    Debatten, die der Intellektuelle aber nicht in den Straßen und Cafés beobachtet, sondern vor allem im Fernsehen bei den Politikern. Die Politikverdrossenheit werde zunehmen, meint Todó. An den letzten Parlamentswahlen beteiligten sich 2006 noch 56 Prozent, bei den kommenden Wahlen in einem Jahr könnten es noch weniger werden, warnt er. Einen Kampf der Kulturen befürchtet er hingegen nicht:

    "Katalanen und Spanier streiten sich seit Jahrhunderten, das Verhältnis ist manchmal besser und manchmal schlechter. Aber ich sehe hier keine Absichten, den anderen auszulöschen. Die Hälfte der Katalanen lebt in Barcelona, etwas mehr als 50 Prozent geben dabei Spanisch, die anderen Katalanisch als Muttersprache an - und sie harmonieren gut miteinander. Auf der Straße gibt es keine Identitätskämpfe - und es wird sie auch nicht geben."