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Streit um Körperwelten-Museum
Leichenschau oder Volksbildung?

Sind die Plastinate Gunter von Hagens nun tote Menschen oder "entpersonalisierte" Kunststoffkörper? Darüber verhandelt heute das Verwaltungsgericht in Berlin. Von der Entscheidung der Richter hängt ab, ob das "Körperwelten"-Museum im Berliner Fernsehturm eröffnet werden darf - oder nicht.

Von Michael Castritius | 16.12.2014
    Kunstausstellung Einschnitte durch Günther von Hagens, im Rahmen der Körperwelten, Kleine Olympiahalle, München. 30.07.2014
    Das Berliner Verwaltungsgericht entscheidet, ob die Plastinate von Gunther von Hagens (Bild) tote Menschen oder "entpersonalisierte" Kunststoffkörper sind. (Imago / Plusphoto)
    Es geht um ein Gesetz – jedenfalls formal. Im Kern aber geht es um Würde und Moral. Das Bezirksamt Berlin-Mitte hat das Museum nicht genehmigt, es beruft sich auf das Bestattungsgesetz des Landes. Das ist im Paragrafen 14.1 eindeutig: "Leichen dürfen nicht öffentlich ausgestellt werden". Den Absatz 14.2 aber, der Ausnahmen zulässt, will Bezirksbürgermeister Christian Hanke, SPD, nicht anwenden:
    "In diesem Bestattungs-Gesetz ist ganz klar, dass es auch eine postmortale Würde des Menschen gibt und deshalb die ethisch fundierte Regelung, dass Leichen nicht öffentlich aufgebahrt werden. Das heißt, hier hat der Gesetzgeber ethische Entscheidungen getroffen, die mir sehr nahe kommen. Die Ausnahmen sind sehr begrenzt, wir sehen nicht, dass diese Ausstellung notwendig ist, um beispielsweise im Rahmen der Wissenschaftsfreiheit über die Gesundheit des Menschen zu informieren, weil dafür andere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, ohne dass man Leichen oder Leichenteile zeigt."
    Leichen? Schon diese Bezeichnung der Ausstellungsstücke kann der Philosophie-Professor Franz-Josef Wetz nicht nachvollziehen. Er ist Berater der Körperwelten-Ausstellungen und des geplanten Museums:
    "Die selbsterklärten Moraltherapeuten unserer Zeit sollten die Bürger nicht durch fürsorgliche Entmündigung zu kulturpolitischen Pflegefällen machen. Die Anatomie ist ja geradezu die Kunst, das Dunkele des Lebens mit dem Licht des Todes zu erhellen. Es ist völlig falsch zu glauben, dass so eine Ausstellung eine Art Friedhof sei und dass Plastinate so etwas wie Trauerleichen darstellen. Zu einer Trauerleiche gehört eine Gemeinde, die um eine identifizierte Person trauert, die verwest. Die Hintergründe der Bestattung von Leichen sind ja in erster Linie hygienische und gesundheitliche Gründe. Also die Frage, ob diese Plastinate wirklich Leichen sind, das ist ein höchst umstrittenes Thema."
    Selbstbetrachtung ohne Spiegel
    Die Körperwelten, so Wetz, ermöglichten dem Besucher eine Selbstbetrachtung – ohne Spiegel. Darauf verweisen auch die Selbstdarstellung der Betreibergesellschaft sowie Angelina Whalley. Die Ärztin ist Kuratorin des Museums und Ehefrau des Plastinators Gunther von Hagens:
    "Wir möchten die Menschen faszinieren. Wir haben unseren Körper ein Leben lang, aber als Laie hat man nie die Möglichkeit zu sehen, wie wir wirklich von innen aussehen. Und hier haben wir echte, präparierte anatomische Körper, und wenn wir sie anschauen dann entdecken wir doch eigentlich nur eines - und zwar uns selbst."
    "Der menschliche Körper ist unsere ureigene Natur. Sein Wachsen und Vergehen, seine äußere Schönheit und die Faszination seines Inneren beschäftigen die Menschen seit Alters her. Jeder Mensch ist einzigartig, jeder von uns hat ein individuelles, inneres Gesicht."
    Soweit die Selbstdarstellung. Im ersten Sockel-Stock des Berliner Fernsehturms auf dem Alexanderplatz sind die Arbeiten an dem Museum fast abgeschlossen. Falls die juristische Hürde heute genommen wird, soll Ende Januar eröffnet werden. 20 Körper und 200 Präparate wären dann zu sehen. Potentielle Besucher spiegeln die unversöhnlichen Pros und Contras wieder.
    "Ein bisschen abschreckend."
    "Fürchterlich."
    "Bisschen provozierend, aber okay."
    "Das find ich wesentlich mehr okay, als wenn irgendwelche makellosen Frauen mit nackten Körpern da hängen, weil das einfach was mit dem Leben zu tun hat."
    Keine "Disneyisierung" der Berliner Innenstadt
    Bezirksbürgermeister Christian Hanke aber will auf dem Alexanderplatz kein pietätloses Gruselkabinett, wie er es nennt:
    "Die Frage ist: Was gehört eigentlich ins Zentrum der deutschen Hauptstadt, als Touristen-Magnet, als Visitenkarte. Ob dort ein Museum hingehört, das doch sehr stark auf Sensation und Attraktion setzt, das bezweifele ich. Einer Disneysierung des Zentrums Berlins muss man entgegen wirken."
    Sensationsgier oder Voyeurismus hat der Philosoph Franz-Josef Wetz allerdings nie in Körperwelten-Ausstellungen beobachtet. 40 Millionen Menschen weltweit hätten sie bereits gesehen, zehn Millionen davon in Deutschland. Auch in Berlin wurde sie schon dreimal gezeigt. Wetz erklärt den Erfolg mit der "Faszination des Authentischen":
    "Es ist nun offenbar immer so, dass das Original für uns Menschen einen höheren Erlebniswert hat, eine größere Glaubwürdigkeit. Es ist auch der Unterschied zwischen einem Spaziergang durch die Natur und der Betrachtung der Natur etwa am Bildschirm oder in einem Atlas."
    Leichenschau oder Volksbildung. Entwürdigung oder Ästhetik. Bestattungsgesetz oder Freiheit von Kunst und Wissenschaft. Das Berliner Verwaltungsgericht beurteilt ein weites Feld, will aber voraussichtlich noch heute entscheiden.